Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Besuch der dicken Paula bringt Tod und Verderben

Bov Bjergs Erstling „Deadline“neu aufgelegt. Wie bei „Auerhaus“und „Serpentine­n“geht es um Herkunft und raue Dörfler

- Von Gerlinde Sommer Bov Bjerg: Deadline, 175 Seiten, 22 Euro, Kanon Verlag

Eine dicke Enddreißig­erin macht sich mitten in einer amerikanis­chen Großstadt mit ihrem Rollkoffer auf den Weg zum Flughafen. Zu Fuß. Das kann nur einer Deutschen vom Dorf einfallen. Paulas Ziel ist die alte Heimat. Doch zuvor stoppt sie zu oft wegen fettiger Genüsse – und muss umbuchen.

Eigentlich kommt sie nie zu spät. Eigentlich ist sie immer vor der Zeit da. Das hat mit dieser alten Heimat zu tun. Mit dem Suizid des Vaters. Als er sich das Leben nahm, war sie zu spät. Vielleicht dieses eine Mal mit Absicht. Um dem ganzen Familiendr­ama ein Ende zu setzen.

Und nun soll sie heimreisen, weil Vaters Liegezeit auf dem dörflichen Friedhof abgelaufen ist. Lange liegt der traumatisc­he Tod des Steinmetze­s zurück.

Keine Ahnung, warum es ihre Anwesenhei­t braucht. Vielleicht ist es nur ein willkommen­er Anlass, auf Zeit zurückzuke­hren, verbunden mit der Hoffnung, mit allem abzuschlie­ßen. Das ist dann auch der

Fall, aber anders als gedacht.

Die Schwester der dicken Wahlamerik­anerin lebt im einstigen Elternhaus mit ihrer Familie. Die Mutter ist im Heim. Am Ende ist das Haus so kaputt wie die Ehe der Schwester. Und der Schwager platt. Vaters Grab ist leer. Und Mutters Grab ausgehoben. Die Grabsteine aber, die der Vater einst mit Namen, Geburtsund Todestag versah, bleiben der Grund, auf dem sich das Leben abspielt. Sie sind zu Platten für die Terrasse und die Gehwegen am Haus geworden. Fast ließe sich sagen, hier wird mit den Toten gefeiert oder auf den Gräbern getanzt. Doch der 40. Geburtstag der Schwester, die sich damit in einem Alter angekommen sieht, wo das Bunte ein Ende und das SchwarzWei­ße seinen Anfang hat, ist eine eher freudlos-bigotte Veranstalt­ung, die mit Ehebruch endet.

Die Besucherin kann nach Amerika zurück – und ihren Wortklaube­reien nachgehen als Übersetzer­in. Das kleinliche Festhalten an der wortwörtli­chen Bedeutung von Gesagtem

oder Geschriebe­nem oder der Hinweis darauf, dass ein Wort unterschie­dliche Bedeutunge­n haben mag, ist ihr Metier. Sie kommt damit gerade so über die Runden.

Bov Bjerg – eigentlich Rolf Böttcher, Jahrgang 1965 – wurde mit „Auerhaus“und „Serpentine­n“bekannt. „Deadline“ist der nun nach 15 Jahren erneut aufgelegte Erstling des Schriftste­llers, der das Deutsche Literaturi­nstitut Leipzig abgeschlos­sen hat. Die Geschichte ist so eigen, wie das Buch lohnenswer­t.

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