Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Der Besuch der dicken Paula bringt Tod und Verderben
Bov Bjergs Erstling „Deadline“neu aufgelegt. Wie bei „Auerhaus“und „Serpentinen“geht es um Herkunft und raue Dörfler
Eine dicke Enddreißigerin macht sich mitten in einer amerikanischen Großstadt mit ihrem Rollkoffer auf den Weg zum Flughafen. Zu Fuß. Das kann nur einer Deutschen vom Dorf einfallen. Paulas Ziel ist die alte Heimat. Doch zuvor stoppt sie zu oft wegen fettiger Genüsse – und muss umbuchen.
Eigentlich kommt sie nie zu spät. Eigentlich ist sie immer vor der Zeit da. Das hat mit dieser alten Heimat zu tun. Mit dem Suizid des Vaters. Als er sich das Leben nahm, war sie zu spät. Vielleicht dieses eine Mal mit Absicht. Um dem ganzen Familiendrama ein Ende zu setzen.
Und nun soll sie heimreisen, weil Vaters Liegezeit auf dem dörflichen Friedhof abgelaufen ist. Lange liegt der traumatische Tod des Steinmetzes zurück.
Keine Ahnung, warum es ihre Anwesenheit braucht. Vielleicht ist es nur ein willkommener Anlass, auf Zeit zurückzukehren, verbunden mit der Hoffnung, mit allem abzuschließen. Das ist dann auch der
Fall, aber anders als gedacht.
Die Schwester der dicken Wahlamerikanerin lebt im einstigen Elternhaus mit ihrer Familie. Die Mutter ist im Heim. Am Ende ist das Haus so kaputt wie die Ehe der Schwester. Und der Schwager platt. Vaters Grab ist leer. Und Mutters Grab ausgehoben. Die Grabsteine aber, die der Vater einst mit Namen, Geburtsund Todestag versah, bleiben der Grund, auf dem sich das Leben abspielt. Sie sind zu Platten für die Terrasse und die Gehwegen am Haus geworden. Fast ließe sich sagen, hier wird mit den Toten gefeiert oder auf den Gräbern getanzt. Doch der 40. Geburtstag der Schwester, die sich damit in einem Alter angekommen sieht, wo das Bunte ein Ende und das SchwarzWeiße seinen Anfang hat, ist eine eher freudlos-bigotte Veranstaltung, die mit Ehebruch endet.
Die Besucherin kann nach Amerika zurück – und ihren Wortklaubereien nachgehen als Übersetzerin. Das kleinliche Festhalten an der wortwörtlichen Bedeutung von Gesagtem
oder Geschriebenem oder der Hinweis darauf, dass ein Wort unterschiedliche Bedeutungen haben mag, ist ihr Metier. Sie kommt damit gerade so über die Runden.
Bov Bjerg – eigentlich Rolf Böttcher, Jahrgang 1965 – wurde mit „Auerhaus“und „Serpentinen“bekannt. „Deadline“ist der nun nach 15 Jahren erneut aufgelegte Erstling des Schriftstellers, der das Deutsche Literaturinstitut Leipzig abgeschlossen hat. Die Geschichte ist so eigen, wie das Buch lohnenswert.