Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Rätsel um Altes und Neues entdecken
Sonderausstellung „Inter Judeos“bereitet das mittelalterliche jüdische Quartier rund um den Benediktsplatz auf
Bei Sonderausstellungen ist es selten, dass die sehenswerten Dinge bereits vor der eigentlichen Eröffnung sichtbar und zugänglich sind. „Bei uns ist das meiste schon da“, klingt daher überraschend, ist aber wahr, wie Maria Stürzebecher zur neuen Schau „Inter Judeos. Das mittelalterliche jüdische Quartier in Erfurt“sagt. Wie das kommt, erklärt sich anhand des Ausstellungskonzepts: Hier geht es nicht darum, einzeln ausgewählte Objekte in der Alten Synagoge zu inszenieren, sondern die jüdischen Orte des Areals rund um den Benediktsplatz als eben solche sprechen zu lassen.
Geschäfte in der Michaelisstraße spenden Ausstellungsflächen
„Hier wird im Sommer Eis gegessen oder sich zum Kuchen getroffen. Dass hier das Zentrum des jüdischen Lebens in Erfurt war, ist heute kaum noch bewusst“, wie die Kunsthistorikern reflektiert. Die Freiluftausstellung soll das nun ändern und insgesamt 17 besondere Standorte beleuchten. „Manchmal sind es die Häuser selbst, die eine Geschichte zu erzählen haben, manchmal sind es aber auch Objekte, die wir beispielsweise in der Michaelisstraße zeigen. Dafür haben uns einige Geschäfte im Quartier sogar Teile ihrer Schaufenster überlassen“.
So zeigt die Schmuckdesignerin Linda Hüther neben ihrem Goldschmiedewerken auch archäologische Funde, die möglicherweise von jüdischem Handwerk zeugen. „An Vielem wird noch geforscht. Deshalb sind einige Dinge auch mit Fragezeichen versehen. Da wissen wir einfach noch nicht, inwiefern sie das sind, was sie scheinen oder ob sie wirklich jüdisch sind“, so die Wissenschaftlerin. Ein anderes Rätsel ist nur wenige Meter entfernt in der Kleinen Waage zu finden. Ein von Brandschäden gezeichneter Stein zeigt hier eine Inschrift, die lange ein Geheimnis war. „Über Jahrzehnte ist sie nicht entziffert worden. Die Schrift ist auch nicht hebräisch, sondern jiddisch. Schließlich stellte sich heraus, dass es übersetzt so viel wie ,Kalter Keller’ heißt. Da stellt sich die Frage, welchen Zweck ein kalter Keller hatte, und ob es vielleicht auch so etwas wie einen warmen Keller gab“.
Neben diesen Ausstellungsstücken gibt es auch dezentere Hinweise auf die ehemalige jüdische Prägung des Viertels. So ist an der Glasfassade des Eiscafés Un Angelo ein weiß gestalteter Durchgang angedeutet, der an dieser Stelle im 14. Jahrhundert belegbar ist. Bei viel Touristenverkehr ebenfalls eher schwer zu entdecken sind auch die tatsächlich noch existierenden Durchgänge, in denen Wandtafeln mit historischem Bildmaterial und Texten zur Nutzung der Gebäude im Mittelalter zu finden sind.
„Es sind Orte, die man ganz ungeplant entdecken kann. Mit dem Flyer, der eine Karte enthält, kann man die Häuser aber auch gezielt aufsuchen. Die Platzierung in den Durchgängen ist auch eine bewusste Entscheidung gewesen, um in der ungemütlicheren Jahreszeit Standorte zu haben, an denen man witterungsgeschützt schauen und lesen kann“, so die Wissenschaftlerin.
Auch die Gemeindebäckerei, das jüdische Kaufhaus und die Mikwe sind in den Rundgang integriert. Ganz neu ist das Wandbild der Neuen Synagoge hinter dem Rathaus, das der Erfurter Graffitikünstler Johannes von Havranek nach einer Zeichnung von Samuel Fritz an genau die Garage gemalt hat, unter der die Überreste des Gotteshauses liegen. „Viele Leute schauen jetzt schon interessiert und eine Schulklasse hat sich auch schon angemeldet“, freut sich Maria Stürzebecher, „wie die Erfurter die Orte entdecken, wird sich dann nach und nach zeigen“.
Sonderausstellung „Inter Judeos", vom 28. Oktober bis 22. Mai 2022. Flyer mit Routenplan gibt es in der Alten Synagoge und der Touristinformation