Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Kleiner Dienstweg führt durch ihren Laden
Xuan Thi Bui erhält den Ehrenbrief der Stadt Erfurt für ihre langjährige gesellschaftliche Arbeit
Xuan und ihre Familie gehören zu den 682 Vietnamesen in Erfurt. Kürzlich erhielt Xuan Bui Thi den Ehrenamtspreis der Stadt. Vorgeschlagen hatte sie dafür bereits 2020 der Vorstand des Ostasiatischdeutschen Kreativvereins (ODKV). Nicht nur für Lena Mörl, die Leiterin und Mitgründerin des ODVK, ist Xuan ein Beispiel für Integration.
Seit Jahren ist Xuan ihre Stellvertreterin, leitet zudem selbst zwei Gruppen. Mit ihrer Tanzgruppe gestaltete sie Ausstellungseröffnungen wie im Baumbachhaus in Kranichfeld, vertrat Erfurt bei bundesweiten Ausscheiden, trat zur Interkulturellen Woche auf. Wichtig ist den Tänzerinnen dabei die Traditionspflege, die Kostüme für die fünf Frauen nähte Xuan teils selbst. Und sie kochen zusammen, ihre Gruppe nutzt dafür die Küche im Zentrum für Migration (ZIM).
Gut bekannt ist Xuan auch beim Verein der Buddhistischen Pagode in Gispersleben, wo sie im November ein nächstes Projekt starten wird. So gibt es viele Gelegenheiten, um offen das Gespräch zu suchen, Kontakte zu knüpfen und sich zu kümmern: ob um ausländische Kinder, die Nachhilfe brauchen oder um Mütter, die Rat suchen. „Ich rufe überall an.“Für die frühere Stadtverordnete und jetzige EU-Parlamentarierin Marion Walsmann ist Xuan ein Mensch, „der mit wachen
Augen sieht, wo Hilfe gebraucht wird“. Gemeinsam mit ihrem Mann, Dan Vu Hon, der sich im Erfurter Ausländerbeirat engagiert.
Der „kleine Dienstweg“zwischen ihnen ist oft ihr Laden in der Krämpfervorstadt. Dan Vu Hon hat den Laden 2004 aufgebaut, übernimmt den Einkauf, sucht die Erzeuger auf. So können sie Qualität weitergeben. Xuan liegt vor allem der Verkauf, ihr Refugium ist der Laden. Sie ist eine umtriebige Unternehmerin. Dabei findet sie stets freundliche Worte, nimmt sich Zeit für den Plausch mit den Kunden.
Wie gut, dass beide Deutsch sprechen. Xuan hat inzwischen auch die Prüfungen zur Einbürgerung gut bestanden. Ist Vietnam für sie also weit weg? Im Herzen nicht. Der Vater trägt eine Armeeuniform, die Mutter war Bürgermeisterin im Ort. Wenngleich der Buddhismus der Glaube ihrer Vorfahren ist, waren sie zuhause katholisch. Nicht nur als Schutz in den Kriegs- und Umbruchzeiten, für Xuan blieb es ihr Glaube, sie ist Katholikin.
Als sie 1987 als vietnamesische Vertragsarbeiterin nach Erfurt kam, war Xuan 18 Jahre jung. Im Bekleidungswerk war sie als Näherin schnell geachtet. Als der Staatsvertrag zwischen ihrer Heimat und der nicht mehr existenten DDR wegbrach, musste sie zunächst zurück in ihr Land. Da man ihr einen Arbeitsplatz im Bekleidungswerk versprochen hatte, kam sie nach wenigen Monaten zurück. Keiner ahnte, dass Erfurts Betriebe sich auflösen würden.
Xuan spricht von Arbeitslosigkeit, wie sich die junge Familie mit einem Wohnheim-Zimmer begnügte, bis auch dieses schloss. Zum Arbeitslosengeld verdienten sie mit Nähen was dazu. Sie schulte um auf Altenpflege. Sie ging zeitweise in aller Frühe putzen, kämpfte um die Verlängerung der Aufenthaltsbescheinigungen. Ihr Mann rackerte sich auf dem Bau ab, wechselte in den Handel, zu einem Mini-Markt in Hochheim. „Für uns hat es immer gereicht“, sagt Xuan bescheiden. Nur Zeit sei stets knapp.
Im Corona-Lockdown Mahlzeiten für Nachbarn gekocht
Als in der ersten Corona-Welle die Maskenpflicht kam, setzte sich das Ehepaar nachts an die Nähmaschine. Mit bunten Stoffmasken halfen sie ihren Kunden im Viertel sowie den Mitarbeitern bei den Ämtern, in den Bürgerbüros über den Engpass. Und weil Gaststätten schließen mussten, aber viele Nachbarn allein leben, kochte Xuan fortan für sie kleine Mahlzeiten zum Mitnehmen, nutzt dafür die Küche ihrer Nachbarn im „Russischen Hof“.
Mit Lebenspraxis leben sie ihren Kindern so auch Integration vor. Nach dem Abitur wurde Linh Medizin-Ökonomin. Der Sohn war Schülersprecher und im Schülerparlament, ist im Sport aktiv. Derzeit studiert er Medizintechnik. Und Xuan sieht man häufiger am Kinderwagen vor dem Laden, eine stolze Oma. Selbstbewusst nennt sich Xuan nach 35 Jahren eine „Erfurterin“. Das lebt sie alltäglich.