Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Countdown für Matthias Maurer

Der deutsche Astronaut bricht am Sonntag zu seinem ersten Flug in den Weltraum auf. Der Saarländer hat jahrelang das Überleben in Extremsitu­ationen trainiert

- Von Jonas Erlenkämpe­r Cape Canaveral. Eine Space-X-Rakete bringt Maurer und sein Team zur ISS.

Eigentlich könnte es heute losgehen. Matthias Maurer ist vorbereite­t, auch musikalisc­h. 113 Lieblingss­ongs hat er ausgewählt, er wird sie in den nächsten Monaten häufig hören. „Sternenhim­mel“von Hubert Kah ist dabei, „The Final Countdown“von Europe und „Schwerelos“von Max Mutzke. „Ich denke, sie ist ziemlich gut geworden“, sagt der Astronaut der europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa über seine Playlist fürs All.

Der 51-jährige gebürtige Saarländer kann die Ouvertüre am Sonntag kaum erwarten. Erstmals seit drei Jahren fliegt wieder ein Deutscher auf die Raumstatio­n ISS. Rund ein halbes Jahr lang wird er auf dem 400 Kilometer von der Erde entfernten Außenposte­n der Menschheit leben. Maurer verbringt seine vorerst letzten Erdentage am Weltraumba­hnhof Cape Canaveral in Florida. „Ich genieße es einfach nur, es ist wirklich eine tolle Woche“, jubelte Maurer unlängst vor Medienvert­retern. „Ich hoffe, ich kann jeden Moment wirklich tief in meine Erinnerung­en aufsaugen.“Bis zum Start erfreut er sich an all dem, was er ab Sonntag entbehren muss: einer knusprigen Pizza etwa oder daran, einfach im Regen zu stehen und die Wassertrop­fen auf der Haut zu spüren.

Einen Tag in der Woche hat Maurer frei

Musikliebh­aber Maurer wird allerdings nicht als DJ in den Weltraum geschossen, sondern weil der körperlich fitte Naturwisse­nschaftler viele Talente besitzt. Er ist Doktor der Materialwi­ssenschaft­en, hat in England, Frankreich und Spanien studiert, wurde mit mehreren Wissenscha­ftspreisen ausgezeich­net. Vor seiner Astronaute­nkarriere arbeitete er für ein Medizintec­hnikuntern­ehmen und forschte etwa an Blutfilter­n für die Dialyse.

Als die Esa im Jahr 2008 neue Astronaute­n suchte, schickte Maurer eine Bewerbung hin. „Mir war sofort klar: Das ist mein Ding.“Neben seiner Technikbeg­eisterung und dem Wunsch, in einem internatio­nalen Team zu arbeiten, sei es „natürlich das Abenteuer“gewesen, das ihn antrieb.

Seine Grundausbi­ldung zum Astronaute­n schloss er im Jahr 2018 ab. Für die ISS-Expedition kämpfte sich Maurer durch ein kräftezehr­endes Vorbereitu­ngsprogram­m, absolviert­e Überlebens­trainings in der Kälte und simulierte mit einem 200 Kilogramm schweren Raumanzug unter Wasser, wie sich ein Weltraumsp­aziergang so ungefähr anfühlt.

Er hat sogar gelernt, Wunden zu nähen, Katheter zu legen und Zähne zu ziehen. Im Weltraum ist die ISS-Besatzung auf sich gestellt.

Nur wenige Menschen wissen aus eigener Erfahrung, was Maurer erwartet, wenn er um 7.21 Uhr unserer Zeit zusammen mit drei USKollegen an Bord einer Space-XRaumkapse­l des Tesla-Chefs Elon Musk (50) zur ISS reist. Nach Angaben der Esa umfasst der Wohn- und Arbeitsrau­m etwa 1200 Kubikmeter – die insgesamt sieben Bewohner „haben so viel Platz wie in einem leeren Jumbojet“, vergleicht Volker Schmid, der beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln Maurers Mission „Cosmic Kiss“leitet. Mit futuristis­chen Raumschiff­en aus Kinofilmen hat die mehr als 20 Jahre alte ISS wenig gemein. Astronaute­n sprechen von Retro-Charme. Alexander Gerst (45), der letzte Deutsche dort oben, hat mal in einem Fach Disketten mit den längst überholten Betriebssy­stemen Windows

95/98 gefunden – sie waren dort offenbar einst verstaut und dann vergessen worden. Der US-Biologe Rob Dunn schreibt in seinem Buch „Nie allein zu Haus“, dass es auf der ISS nach Plastik, Müll und Schweiß riecht.

Die ISS-Crew hat eine 5,5-TageWoche, da sie auch samstagvor­mittags arbeitet. „Samstagmit­tag wird die Station gereinigt“, so Maurer. Sonntag ist frei – Zeit zum Telefonier­en mit der Familie am Boden.

Maurer hat so wenig Gepäck dabei, dass er die Unterhosen nur alle drei Tage wechseln kann, die TShirts wöchentlic­h und die Hosen sogar nur jeden Monat. Die gute Nachricht für ihn: Er muss nicht waschen. Denn Schmutzwäs­che wird kurzerhand nach draußen verfrachte­t – wo sie verglüht.

 ?? FOTO: NASA / PA ?? Der 51-jährige Saarländer Matthias Maurer ist Naturwisse­nschaftler. Im All sucht er das Abenteuer.
FOTO: NASA / PA Der 51-jährige Saarländer Matthias Maurer ist Naturwisse­nschaftler. Im All sucht er das Abenteuer.
 ?? FOTO: SPACEX ?? Bereit für den Start: Maurer (l.) mit seinen Mitflieger­n Raja Chari, Thomas Marshburn und Kayla Barron.
FOTO: SPACEX Bereit für den Start: Maurer (l.) mit seinen Mitflieger­n Raja Chari, Thomas Marshburn und Kayla Barron.
 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany