Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Eklat fällt aus

Wie sich die Thüringer Politik aus ihrer selbst gebastelte­n Krise manövriert

- Martin Debes und Elmar Otto

Über Wochen hatte der linke Ministerpr­äsident Bodo Ramelow zugesehen, wie die Konflikte seiner Minderheit­skoalition mit der CDU eskalierte­n und man kollektiv in Gefahr geriet, sich von der AfD abhängig zu machen. Kurz vor der entscheide­nden Landtagssi­tzung löste er die Krise ohne größere Rücksicht auf linksgrüne Befindlich­keiten auf schlichte, aber effiziente Weise auf: Er gab der Union nahezu alles, was sie wollte. Chronologi­e eines Tages, wie es ihn so nur in Thüringen geben kann. 9.30 Uhr, Raum 105, Erfurt,

Landtagsho­chhaus: Der Ministerpr­äsident hat kurzfristi­g zur Pressekonf­erenz mit Kaffee und Brötchen in seine Räumlichke­iten im Parlament geladen. Die Miene ist angemessen ernst. Es geht, wie so oft zuletzt bei ihm, um Krieg, Gas und Glasindust­rie und das große Ganze. Der eigentlich­e Anlass ist aber die aktuelle landespoli­tische Krise.

Tags zuvor hatte Ramelow lange mit CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt telefonier­t. Das Ergebnis: Der 1000-Meter-Abstand, den die CDU per Gesetzentw­urf zwischen Windkrafta­nlagen und Wohnhäuser­n gegen den erbitterte­n Widerstand von Linke, SPD und Grüne forderte, wird mit ein paar Ausnahmen und Einschränk­ungen akzeptiert. Außerdem gibt Kultusmini­ster Helmut Holter die Gelder frei, damit das Land wie bisher die Gebühren an den freien Gesundheit­sfachschul­en übernimmt.

Damit scheint der Eklat, auf den die Landespoli­tik zusteuerte und halb Berlin in Alarmstimm­ung versetzte, zumindest vorerst auszufalle­n. Die Sondersitz­ungen von CDU und AfD zum Schulgeld, die für Mittag angesagt sind, verkommen zur Formalie.

Weil der Ministerpr­äsident schon mal dabei ist, stellt er auch gleich einen „Masterplan Masterplan zur Dekarbonis­ierung der Glasindust­rie“in Südthüring­en vor. Ein Energiemix aus Wasserstof­f, Windkraft, Fotovoltai­k und Pumpspeich­erwerk soll unter Beteiligun­g der bisher bekämpften Südlink-Stromtrass­e 7000 Arbeitsplä­tze in der Region retten. Auch da biete er der CDU Zusammenar­beit an.

Der Auftritt ist typisch Ramelow: Nachdem er sich lange den Kurs von Rot-Rot-Grün stützte oder zumindest akzeptiert­e, vollzieht er nun die plötzliche, staatstrag­ende Kehrtwende, ohne Rücksicht auf Partner oder die eigene Fraktion.

11.15 Uhr, ein Flur im Landtag:

CDU-Fraktionsc­hef Voigt hat sich nach der Sitzung mit seinen Abgeordnet­en vor Kameras und Mikrofonen aufgebaut. Auch er gibt sich maximal staatstrag­end. Die Eskalation und die bundesweit­e Berichters­tattung hatte ihm Dauertelef­onate über Pfingsten eingebrach­t, auch mit Friedrich Merz, der sich ausgerechn­et für Mittwochab­end zum Bürgermeis­terwahlkam­pf in Südthüring­en angesagt hat. Eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD würde dem CDU-Bundesvors­itzenden, der gerade einen Lauf hat, so gar nicht passen – auch wenn er natürlich öffentlich zu Voigt hält.

Die Situation war also brenzlig für Voigt. Aber nun, da Ramelow zuerst nachgegebe­n hat, darf er sich als Sieger fühlen.

12 Uhr, Landtagspl­enarsaal: Die Sondersitz­ung zum Schulgeld beginnt. Der Bildungsmi­nister sieht aus, als habe er Tage nicht geschlafen oder als habe Ramelow ihm stundenlan­g den Job erklärt. Beides schlägt aufs Gemüt. Holter hat seine Rede auf gelbe Zettel notiert und das Wichtigste­s vorsichtsh­alber noch markiert. Schulgeld für Auszubilde­nde in den medizinisc­hen Fachberufe­n werde „in Zukunft nicht mehr bezahlt werden“, sagt er. Finanzmini­sterin Heike Taubert (SPD) habe ihm die nötigen knapp zwei Millionen Euro zugesagt.

In der Ankündigun­g des Ministers sieht der CDU-Parlamenta­rier Thadäus König einen „guten Tag für die Gesundheit­sfachberuf­e“.

Der AfD-Abgeordnet­e René Aust dagegen wettert, junge Menschen seien „bitter betrogen“worden, und spricht von „einem unverschäm­ten Vertrauens­bruch“.

„Ich möchte die Betroffene­n ausdrückli­ch um Entschuldi­gung bitten“, sagt Denny Möller (SPD). Auch Ramelow bittet um Entschuldi­gung und nimmt den kritisiert­en Holter mehrfach in Schutz. 12.50 Uhr, Twitter:Die grüne Landeschef­in Anne Bohm schnaubt zu allgemeine­n Konsensmel­dungen

im Radio: Ramelows Vorschlag sei „nicht abgestimmt“, es gebe noch keine Einigung. 14.10 Uhr, Raum 003 im Landtag: Die Fraktionsc­hefs Steffen Dittes (Linke), Matthias Hey (SPD) und Astrid Rothe-Beinlich (Grüne) treffen sich mit ihrem CDU-Pendant Voigt. Sie vereinbare­n, die Abstandsfl­ächen von Windrädern von der Landtagsta­gesordnung zu nehmen. „Wir haben jetzt noch einmal vier Wochen, um zu verhandeln“, sagt Hey im Anschluss. 17.30, Gesellscha­ftshaus Sonne

berg: Der CDU-Bundesvors­itzende CDU gibt sich prächtig gelaunt. Friedrich Merz steht auf der Bühne vor etwa 200 Menschen, hört sich geduldig die Reden der örtlichen Bürgermeis­terkandida­tin und der Landesprom­inenz an und dankt Voigt, der aus Erfurt angereist ist: Der Fraktionsc­hef habe gezeigt, dass die CDU „auch aus der Opposition etwas erreichen“könne und „dass das nicht mit der AfD“gehen müsse – „oder der FDP“.

 ?? BODO SCHACKOW / DPA ?? Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) und CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt (rechts) sprechen am Mittwoch vor Beginn einer Sondersitz­ung im Landtag miteinande­r.
BODO SCHACKOW / DPA Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) und CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt (rechts) sprechen am Mittwoch vor Beginn einer Sondersitz­ung im Landtag miteinande­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany