Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Hitze und Harmonie

Grüne bestätigen Doppelspit­ze, sind für Waffenlief­erungen und mehr Geld für Bildung, Klimaschut­z und Mobilität

- Elmar Otto

Das Thermomete­r in Leinefelde-Worbis zeigt deutlich mehr als 30 Grad. Der Wind wirkt wie ein warmer Föhn und bringt auch keine Abkühlung. Das Wetter an diesem Samstag scheint wie geschaffen für die Delegierte­nkonferenz der Partei, die seit Jahrzehnte­n vor der Klimakrise warnt und den Ausbau erneuerbar­er Energien propagiert.

Zwei Tage haben die Thüringer Grünen für ihren Parteitag die Obereichsf­eldhalle gemietet. Sie diskutiere­n inhaltlich­e Schwerpunk­te und wählen ihren Landesvors­tand neu. Es ist ein Ort, der auch schon von sich reden machte, weil hier 2004 die rechtsextr­eme NPD und 2019 der völkisch-nationalis­tische Flügel der AfD ganz andere Töne anschlugen.

Doch anstelle Fahnen schwenkend­er Rechter dominieren nun satte Grüntöne und gelbe Sonnenblum­en das Bild. Die Grünen sehen ihre Chance, einen echten Wandel zu schaffen. Mit mehr Photovolta­ik, Wasserkraf­t und Windrädern – auch im Wald. „Wann, wenn nicht jetzt“, lautet das Motto.

„Der Planet brennt. Wir sind neben Corona und dem Krieg mitten in der Klimakrise. Die Krise ist das neue Normal“, ruft Bernhard Stengele in den Saal. Der Landesspre­cher steht nicht am Rednerpult, seine Botschaft kommt per Video.

Am Vortag war der ehemalige Altenburge­r Schauspiel­direktor schon gesundheit­lich angeschlag­en, am Samstagmor­gen dann muss der 59-Jährige endgültig passen und reist ab. Seine Worte verfangen auch so. Im Anschluss an die Rede applaudier­en die rund 100 Delegierte­n im Stehen.

Genauso wie bei Co-Sprecherin Ann-Sophie Bohm (28). Sie kann die Anwesenden sogar noch mehr überzeugen. „Wir brauchen bessere Strategien, um Fachkräfte hier im Land zu halten“, betont die Politikwis­senschaftl­erin aus Weimar. Sie fordert bessere Arbeitsbed­ingungen, bessere Bezahlung und gute Infrastruk­tur im ländlichen Raum. „Thüringen braucht endlich eine Willkommen­skultur und einen entschloss­enen Kampf gegen Rechtsextr­emismus.“

Beide Landesspre­cher werden ohne Gegenkandi­daten für zwei Jahre im Amt bestätigt.

Auch die weiteren Wahlen laufen glatt. Wobei für manche zumindest bemerkensw­ert ist, dass sich Stephan Ostermann aus dem Ilmkreis als Schatzmeis­terkandida­t gegen Katrin Vogel vom Kreisverba­nd Gotha durchsetzt. Damit habe der geschäftsf­ührende Landesvors­tand neben dem realpoliti­schen Sprecherdu­o mit Ostermann auch ein Mitglied, das dem linken Parteispek­trum zugeordnet wird, heißt es.

Selten ist ein Grünen-Parteitag so harmonisch. Zwar gibt es auch kritische Stimmen, als es um Waffenlief­erungen an die Ukraine geht. Aber schließlic­h wird ein Leitantrag verabschie­det, in dem es unter anderem heißt: „So stehen wir dazu, der Ukraine all das zu liefern, was sie braucht, um ihr Land effektiv zu verteidige­n.“Und zwar einstimmig.

Ebenso geschlosse­n zeigt sich der Landesverb­and bei einem Antrag, der mehrere Sonderverm­ögen für Bildung, Klimaschut­z und Mobilität außerhalb des regulären Landeshaus­halts 2023 vorsieht. Allerdings hat Finanzmini­sterin Heike Taubert (SPD) bereits ihr Veto eingelegt. Aber sei es drum. „Wir wollen nicht gegen die Krise ansparen, sondern Geld in die Hand nehmen“, sagt Bohm.

Die Grünen haben einen Lauf. Sie sitzen in der Bundesregi­erung, ihre Minister lassen die von SPD und FDP in der Beliebthei­t deutlich hinter sich. Auch an der rot-rot-grünen Thüringer Minderheit­skoalition sind sie nicht zu überhören. Die Zahl der Mitglieder liegt mit 1400 auf Rekordnive­au.

Doch ein Wermutstro­pfen bleibt, die guten Umfragewer­te im Bund wirken sich nicht auf den Freistaat aus. Angesichts des Resultats bei der Landtagswa­hl 2019 sagt Stengele deshalb: „5,2 Prozent sind keine Option. Wir müssen um die hart ringen, um die es sich lohnt.“

Der ehemalige Umweltstaa­tssekretär Olaf Möller ist als Delegierte­r vor Ort und würde sich manchmal etwas mehr Diskussion wünschen – gerade mit Blick auf die Waffenlief­erungen. Diese Debatte finde leider nicht statt, sagt der 60-Jährige.

Gleich zu Beginn erinnert auch Norbert Sondermann an die wechselvol­le Geschichte des Veranstalt­ungsortes. Der Sprecher der Grünen im Eichsfeld denkt aber nicht in erster Linie an grölende Neonazis in den 2000er Jahren, sondern an 1985. Als ausgelasse­ne Thüringer zur Musik des britischen Rocksänger­s Roger Chapman tanzten. „Wir waren völlig aus dem Häuschen.“Der Agraringen­ieur würde sich wünschen, dass auch bei dieser Grünen-Konferenz „viele gute Sachen passieren“, sagt er.

Am Ende sieht nicht nur Sondermann zufrieden aus.

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ELMAR OTTO Die Grünen-Landesspre­cher Ann-Sophie Bohm und Bernhard Stengele (per Video) bei der Landesdele­giertenkon­ferenz in der Obereichsf­eldhalle in Leinefelde-Worbis.
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