Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Horrende Steigerung­en bei den Nebenkoste­n“

SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich über die deutschen Ukraine-Hilfen – und wie die Unternehme­n die Bürger entlasten könnten

-

Julia Emmrich und Jochen Gaugele

Er sieht Deutschlan­d vor einer existenzie­llen Herausford­erung: SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich sagt im Interview mit unserer Redaktion, was auf die Menschen zukommt – und wie es in der Ukraine weitergehe­n soll. In der Debatte über Deutschlan­ds Rolle in der Welt geht er auf Distanz zu seinem Parteichef Lars Klingbeil.

Herr Mützenich, der Krieg geht in den fünften Monat. Wollen Sie, dass die Ukraine gewinnt?

Mich beeindruck­t die Entschloss­enheit der Ukraine, auch wenn der Krieg sich offenbar zu einem Abnutzungs- und Stellungsk­rieg entwickelt. Mein Eindruck ist: Er frisst sich fest im Osten der Ukraine. Die ganze Situation ist für die Menschen dort furchtbar und zudem erhöht jeder neue Kriegstag die Eskalation­srisiken und die Wahrschein­lichkeit, dass weitere Staaten in diesen Krieg hineingezo­gen werden. Vielleicht ergibt sich in einer solchen Lage und angesichts der großen Verluste in den russischen Streitkräf­ten auch bei Putin die Bereitscha­ft für Waffenruhe­n und Verhandlun­gen. Wenn sich dann auch die Ukraine für diesen Weg entscheide­n würde, dann hätte sie dabei natürlich unsere Unterstütz­ung.

Geht es nicht darum, dass Putins Armee aus der Ukraine verschwind­et?

Ich beteilige mich nicht an der Diskussion um Kriegsziel­e. Das ist Sache der Ukraine. Aber was auch klar ist: Niemand darf einen endlosen Krieg wollen. Es geht mir darum, den Zivilisten humanitäre Hilfe zu geben und Fluchtkorr­idore zu schaffen. Es geht um den Austausch von Gefangenen. Diese Möglichkei­t besteht, wenn die Waffen vielleicht auch nur für einen Augenblick schweigen.

Ist Deutschlan­d deswegen so zurückhalt­end bei den Waffenlief­erungen?

Die innenpolit­ische

Diskussion über die Waffenlief­erungen ist manchmal erstaunlic­h uninformie­rt und maßlos. Deutschlan­d hat schon zu Beginn des russischen Angriffskr­ieges die Waffensyst­eme geliefert, die in den ersten Tagen dazu beigetrage­n haben, die schweren russischen Panzervors­töße abzuwehren.

Wird es weitere Lieferzusa­gen für schwere Waffen beim G7-Gipfel in Elmau geben?

Es wird beim G7-Gipfel eine enge Abstimmung über weitere Hilfen geben. Dabei geht es auch um humanitäre Unterstütz­ung und den wirtschaft­lichen Wiederaufb­au nach einer hoffentlic­h bald zu erreichend­en Waffenruhe. Bundeskanz­ler Scholz hat auch Staaten nach Elmau eingeladen, die nicht mit den Augen des Westens auf die Aggression Russlands schauen: Südafrika, den Senegal, Argentinie­n, Indien. Es lohnt den Versuch, mit diesen Demokratie­n einen gemeinsame­n Weg aus dem Krieg herauszufi­nden.

Einen ganz anderen Akzent hat der SPD-Vorsitzend­e Lars Klingbeil gesetzt. In einer Grundsatzr­ede hat er sich für eine deutsche „Führungsma­cht“ und für militärisc­he Gewalt als Teil der Friedenspo­litik ausgesproc­hen. Tragen Sie das mit?

Es ist unvermeidb­ar, dass die Zeitenwend­e zu einer Nachjustie­rung unserer Politik führt. Der Parteichef der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds hat die Aufgabe, vor dem Hintergrun­d des russischen Angriffskr­ieges eine solche Debatte anzustoßen und auch neue Akzente zu setzen. Sicherheit in Europa ist offensicht­lich für einen längeren Zeitraum nicht mehr gemeinsam mit, sondern gegen Russland zu schaffen.

Sind die Schlüsse, die Klingbeil zieht, auch Ihre?

Lars Klingbeil hat von einer Führungsma­cht mit einem kooperativ­en Führungsst­il gesprochen, das sollte man schon beachten. Und er besteht auf internatio­nalen Regeln und Diplomatie, auf Abrüstung und Rüstungsko­ntrolle. Das sehe ich auch so. Meine Begriffswa­hl ist allerdings eine andere. Ich bevorzuge den Begriff des Zusammenfü­hrens. Darin sehe ich die Rolle Deutschlan­ds. Das hat etwa Bundeskanz­ler Scholz bei seinem Besuch in Kiew deutlich gemacht, als er das Ziel formuliert­e, die Europäisch­e Union zu einen, also zusammenzu­führen. Zu einer solchen Rolle Deutschlan­ds gehört auch, dass wir das grundsätzl­iche Gewaltverb­ot, das in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist – und gegen das Russland in eklatanter Weise verstoßen hat –, wieder stärken.

Russland drosselt die Gaslieferu­ngen nach Deutschlan­d, die Bundesregi­erung aktiviert im Notfallpla­n Gas die

 ?? RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES ?? „Meine Begriffswa­hl ist eine andere“: SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich setzt sich im Interview von dem SPD-Vorsitzend­en Lars Klingbeil ab.
RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES „Meine Begriffswa­hl ist eine andere“: SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich setzt sich im Interview von dem SPD-Vorsitzend­en Lars Klingbeil ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany