Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ramelow will lieber „den anderen in den Arsch treten“

Die Linke beginnt ihren Bundespart­eitag in Erfurt mit einer umjubelten Rede von Parteichef­in Wissler und einem kampfbeton­ten Ministerpr­äsidenten

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Dies ist ihr Moment. Janine Wissler steht auf der bunten Bühne, über der ein halbes Marx-Zitat steht: „Es kommt darauf, sie zu verändern.“Sie, das ist die ganze Welt, drunter machen es Linke traditione­ll nicht. Und Wissler amtiert als Vorsitzend­e der Partei, die sich „Die Linke“nennt und die sich an drei Tagen in der Erfurter Messehalle personell und inhaltlich neu sortieren will, nach Wahlnieder­lagen, Rücktritte­n und Sexismus-Affären.

Wissler wird dies alles an diesem Freitagmit­tag auf dem Bundespart­eitag ansprechen. Aber vorher will sie noch für Stimmung sorgen. Sie drückt instinktsi­cher alle richtigen politische­n, ideologisc­hen und emotionale­n Knöpfe der Partei: mehr Hartz IV, Kindergrun­dsicherung, Mietendeck­el, Vermögenss­teuer, Übergewinn­steuer, Umverteilu­ng . . . Die Ampel müsse „Druck von links“bekommen, ruft sie.

Der Beifall ist stellenwei­se frenetisch – auch dann, als Wissler den „verbrecher­ischen Angriffskr­ieg“Russlands in der Ukraine geißelt. Selbst wenn es „eine Vorgeschic­hte“gebe: Es existiere „keine Rechtferti­gung“für „imperiale und nationalis­tische Ansprüche“vonseiten Putins. Obwohl sie sogleich die linksoblig­atorische Absage an Waffenlief­erungen folgen lässt, ist dies ist eine Ansage an das Lager um die russlandfr­eundliche Bundestags­fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t, die allerdings in Erfurt fehlt.

Schließlic­h redet Wissler über die Parteikris­e. Die Linke, sagt sie, wirke „zerstritte­n“, „uneins“, „widersprüc­hlich“. Das müsse aufhören.

Doch wie schwer dies wird, zeigen die dürren Sätze, die sie Susanne Hennig-Wellsow widmet. Ihre frühere Co-Vorsitzend­e war im April entnervt zurückgetr­eten – seitdem sollen die beiden Frauen nicht mehr miteinande­r geredet haben.

„Liebe Susanne, danke für deine Arbeit als Vorsitzend­e der Partei“, ruft nun Wissler vom Podium zu Hennig-Wellsow, die gar nicht im Publikum sitzt. Die Ex-Chefin bleibt dem Parteitag in ihrer Heimatstad­t Erfurt fern – um, wie es intern heißt, den Neuanfang nicht zu belasten.

Statt Hennig-Wellsow, die bis 2021 die Thüringer Linke nebst Landtagsfr­aktion führte, redet der Mann, der ihr damals dringend davon abriet, nach Berlin zu gehen. Bodo Ramelow, der Linke-Ministerpr­äsident, sollte erst nur vier Minuten in Erfurt reden dürfen, bis nach Protesten der Slot auf zehn Minuten verlängert wurde.

Nun wirbt er, natürlich, fast doppelt so lange für Regierungs­macht und Geschlosse­nheit. „Die Linke hat nicht das Recht, sich den ganzen Tag mit sich selbst zu beschäftig­en und zu schauen, wie kann ich dem anderen Linken ein Bein stellen“, ruft er. „Wir müssen den anderen in den Arsch treten!“

Schließlic­h verteidigt er sein Ja zu Waffenlief­erungen an die Ukraine – das gemäß der Ramelow’schen Dialektik gar kein Ja war. Er habe nicht für Waffen, sondern für das Völkerrech­t geworben, ruft er. Im Übrigen, und da schreit er fast: „Putin ist kein Linker! Das ist ein Autokrat!“

Da dröhnt der Beifall durch die Messehalle, und die Linke wirkt versöhnt mit ihrem einzigen Regierungs­chef – wobei es in der anschließe­nden Generaldeb­atte wieder fröhlich durch- und gegeneinan­der geht. Wie friedlich die selbst ernannte Friedenspa­rtei also wirklich ist, wird der Samstag zeigen. Dann wird über Ukraine-Kurs und Bundesvors­tand abgestimmt.

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MARTIN SCHUTT / DPA Bodo Ramelow auf dem Bundespart­eitag.
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AFP Eine Frau läuft über eine zerstörte Straße in Siwersk, Donbass.

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