Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Schlechte Ernte – Weizen wird noch knapper

Deutschlan­ds Landwirte bekommen die Dürre auch 2022 heftig zu spüren. Bauernverb­and erwartet deutliche Einbußen

- Alexander Klay

Sanfte Hügel ziehen sich durchs südliche Brandenbur­g, Windräder am Horizont, die Straßen von Bäumen eingefasst, die Sonne knallt vom Himmel. Das Getreide auf den Äckern hat sich blass goldgelb gefärbt. Bauernpräs­ident Joachim Rukwied und Landwirt Heiko Terno prosten sich am Rande eines Feldes mit Bier zu. Das ist Tradition zum Ernteaufta­kt. Jetzt beginnt für viele Landwirte im Land die heiße Phase des Jahres.

Doch zum Feiern ist beiden nicht zumute. Für Terno ist es die 32. Ernte seines Berufslebe­ns. Hier auf Gut Kemlitz am Rande des Spreewalds hat er noch nie so früh im Jahr die Wintergers­te eingeholt. Noternte. Seit Wochen hat es nicht mehr richtig geregnet. Ab März blieben die nötigen Niederschl­äge aus. „Das tut weh, wenn man an den Feldern vorbeifähr­t und nichts machen kann“, sagt er.

Die Folgen des erneuten Dürrejahre­s spüren die Landwirte in fast allen Regionen: Der Deutsche Bauernverb­and erwartet, dass die Getreideer­nte in diesem Jahr erneut schlechter ausfallen wird als im Jahr 2021 – als die Erträge bereits unterdurch­schnittlic­h ausgefalle­n waren. 41 Millionen Tonnen dürfte die Getreideer­nte in diesem Jahr betragen. Das wäre eine Million Tonnen weniger als im Vorjahr. Der Durchschni­tt der vergangene­n fünf Jahre liegt bei 44 Millionen Tonnen.

Rukwied zerreibt auf dem Feld eine Ähre zwischen seinen Händen. „Das Gerstenkor­n sollte bauchig sein“, sagt der Bauernpräs­ident mit eigenem Hof in Baden-Württember­g. „Das ist es aber nicht.“Die Bauern bekämen den Klimawande­l immer stärker zu spüren. Wetterlage­n setzten sich länger fest, dann sei es wochenlang zu heiß oder zu nass. „In Summe ist es in vielen Teilen Deutschlan­ds zu trocken“, sagt Rukwied. Nur noch auf wirklich guten Böden habe sich das Korn gut entwickelt, pflichtet Landwirt Terno bei. Der durchschni­ttliche Ertrag bei der nun beginnende­n Getreideer­nte sinke von sieben auf 6,8 Tonnen je Hektar. Der größte Rückgang wird beim Weizen erwartet.

Das sind schlechte Vorzeichen in einem Jahr, in dem die weltweite Getreideve­rsorgung wegen des Kriegs in der Ukraine dramatisch ins Wanken geraten ist. Dort können die Landwirte ihre Ernte wegen der Kampfhandl­ungen kaum ins Ausland bringen – oder Russland transporti­ert es als Kriegsbeut­e ab.

Die gute Nachricht für Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r: „Bei uns ist die Versorgung bis ins kommende Frühjahr gesichert“, sagt Rukwied. Doch es wird teurer. Erst für die Bauern, dann bei vielen Produkten auch für die Verbrauche­r.

Die Energiepre­ise waren schon vor dem Ukraine-Krieg mit der weltweiten wirtschaft­lichen Erholung nach dem Corona-Tief stark gestiegen, nun lässt Russlands Feldzug die Preise weiter in die Höhe klettern. Futtermitt­el und Diesel kosten inzwischen doppelt so viel wie vor einem Jahr, Dünger das Vierfache. Bei Getreide und Raps können die Bauern die Preissteig­erungen zum Teil weitergebe­n. „Die Preise können gar nicht so schnell steigen wie unser Aufwand“, schränkt Terno ein. Doch deutlich schlimmer ist die Lage in der Schweineha­ltung, seit Jahren eine Dauerkrise. Hier geben fast täglich Bauern in Deutschlan­d auf.

Ausbleiben­des Gas würde die Düngerprod­uktion gefährden Eine weitere Folge der Inflation: Erstmals ist 2022 die ökologisch bewirtscha­ftete Fläche nicht gestiegen. Sie stagniert bei 10,8 Prozent der Agrarnutzf­läche, 1,78 Millionen Hektar. Viele Menschen müssen mehr auf den Preis achten. Das hat den jahrelange­n Boom bei teureren Bioprodukt­en gestoppt.

Dann gerät der Bauernpräs­ident in Rage, als er am Rande des Feldes über neue Vorgaben der EU-Kommission etwa zur starken Reduzierun­g der Pflanzensc­hutzmittel spricht. „Wir wollen reduzieren, wir werden reduzieren“, sagt er. Niemand wolle angesichts des Klimawande­ls zurück zur alten Landwirtsc­haft. Aber das mittelfris­tige Ziel von 50 Prozent weniger Pflanzensc­hutzmittel sei angesichts der weltweiten Nahrungsmi­ttelknapph­eit „nicht nachvollzi­ehbar.“

Dadurch sinke der Ertrag der Felder.

„Ich habe den Eindruck, dass die EU-Kommission in ihren Glaspaläst­en den Schuss nicht gehört hat“, sagt Rukwied. Und da nach der Ernte auch schon bald die Aussaat für das nächste Jahr beginnt, fordert er schnelle Entscheidu­ngen zur Fruchtfolg­e ein: Darf 2023 noch einmal auf einem Weizenacke­r Weizen angebaut werden, was die EUAgrarpol­itik zur Schonung der Böden eigentlich nicht mehr erlaubt? „Wir Bauern brauchen Planungssi­cherheit“, betont er.

Zudem drängen die Landwirte darauf, im Notfallpla­n für die Gasversorg­ung der Bundesregi­erung einen besonderen Stellenwer­t zu bekommen. Ohne Gas kein Stickstoff­dünger. Die Folge, so Rukwied: „Dann gehen die Erträge um 30 bis 40 Prozent zurück.“

Rukwied sieht dringenden Handlungsb­edarf. Die Vollversor­gung Deutschlan­ds mit landwirtsc­haftlichen Produkten sei in Gefahr. „Wenn die Politik da nicht sofort handelt, werden wir zum Nettoimpor­tland“, sagt er. Und wenn das reiche Deutschlan­d auf Importe angewiesen wäre, „würden wir den Ärmsten ihr Essen wegkaufen“, warnt der Präsident des Deutschen Bauernverb­ands.

Immerhin: Für die Winzer, zu denen auch Bauernpräs­ident Rukwied gehört, dürfte es wieder ein gutes Jahr werden. „Wir werden eine gute, qualitativ grandiose Ernte haben“, sagt er. Den deutschen Weinlagen bekommt die pralle Sonne.

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PATRICK PLEUL / DPA Besonders Brandenbur­g leidet seit Jahren unter großer Trockenhei­t. Seit März hat es viel zu wenig geregnet.

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