Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die Alpen – bedrohter Schutzschild Europas
Der bekannte Meteorologe Sven Plöger warnt vor den Folgen des Klimawandels. Das Gebirge habe sich schon mehr als zwei Grad erwärmt
Zehntausende Urlauber pilgern jedes Jahr in die kolossalen Gebirgsregionen der Alpen. In ein Gebirgsmassiv, das schon lange durch den Klimawandel bedroht ist. Der Wettermoderator Sven Plöger und der Wissenschaftsjournalist Rolf Schenker zeigen in ihrem jüngst erschienenen Buch „Die Alpen und wie sie unser Wetter beeinflussen“, dass die Alpen mehr sind als eine Touristen-Hochburg. Denn sie schützen uns vor katastrophalen Naturgewalten.
Sven Plöger (55) liebt nicht nur die sehr gute Luft der Alpen, sondern das Durchatmen in jeder Weise. Viele Jahre lebte er in der Gebirgsregion auf einer Höhe von 1000 Metern und reist bis heute regelmäßig dorthin. Dann werde das Handy ausgeschaltet oder bleibe ganz zu Hause, sagt der Meteorologe: „Dieser Naturraum gibt mir eine unglaubliche Entschleunigung. Wenn ich in den Alpen bin, werde ich eins mit der Natur. Hier erlebe ich ihre unglaublichen Kräfte, vor denen ich großen Respekt habe. Die Alpen schaffen es, dass ich mich zurücknehme und einfach auf die Natur blicke.“
Die Ausmaße der Alpen sind gigantisch: 1200 Kilometer ist das Hochgebirge lang, die Gipfelhöhen vieler Berge sind weit über 4300 Meter hoch – der Montblanc ist mit 4807 Metern der höchste. Ein gigantischer Gebirgsriegel, der eine wichtige Aufgabe für das Klima in Europa hat. Denn würde es die Alpen nicht geben, käme es zu teils katastrophalen Unwetterereignissen, erklärt Plöger: „Ohne die Alpen würde Kaltluft aus dem Norden ungehindert bis in den Süden nach Italien rauschen. In Neapel oder Rom könnte das winterliche Blizzards auslösen. Gleichzeitig würde schwülwarme Mittelmeerluft ungestört nach Norden durchbrechen. Wenn sehr kalte und sehr schwüle Luft zusammentreffen, dann sind Schauer, Gewitter, aber auch Tornados die Folge. Wir hätten in Deutschland eine Tornado-Schneise wie in einigen US-Staaten“, so der Diplom-Meteorologe.
Gerade weil das Gebirgsmassiv eine so wichtige Schutzschildfunktion übernimmt, zeigt sich Plöger erschüttert über die Folgen des Klimawandels, wie etwa die Gletscherschmelze. Der Wetterexperte beobachtet vor Ort seit über 25 Jahren, wie sich die Schneelage verändert: „Oftmals bleibt nun mitten im Winter der Schnee weg. Die Schneefälle sind unregelmäßiger. Das Wetter wird überall extremer, aber vor allem in den Alpen.“
Das Problem: Die Alpen erwärmten sich schneller als die restliche Welt, die über sehr viel Wasserfläche verfügt und somit viel Wärme absorbieren kann, erklärt Plöger: „Die Alpen haben keinen Ozean.
haben sie sich seit der vorindustriellen Zeit von 1850 bis 1900 schon mehr als zwei Grad erwärmt. Außerdem verschwindet das Eis der Gletscher. Eis wirkt aber für die Sonneneinstrahlung wie ein Spiegel, der die eintreffende Energie zu einem sehr großen Anteil direkt wieder ins Weltall zurückwirft. Verschwindet nun dieser Spiegel, dann erwärmt sich die Bergoberfläche immer weiter. Diese beiden Faktoren führen zu dieser starken Erwärmung des empfindlichen Naturund Lebensraumes.“
Wenn es so weitergeht, könnten die Alpen laut Plöger in 100 Jahren ohne Gletscher sein. Schon jetzt schmelzen die Permafrostböden, die das Berggestein zusammenhalten. Die Berge der Alpen werden bröckeliger, Hochtouren müssen immer häufiger wegen Steinschlaggefahr abgesagt werden.
Das Hochgebirge sei aber nicht nur Schutzschild, sondern auch ein
Wasserreservoir. Das Wasser des Rheins etwa wird im Sommer bis zu 60 Prozent durch Regen- und Gletscherwasser aus den Alpen gespeist, so Plöger: „Dürren werden zunehmen und wir werden einen stärkeren Wechsel aus Trockenheit und Starkregenfällen haben. Wenn die Gletscher der Alpen weg sind, können sie kein Wasser mehr liefern. Manche Flusspegel in Deutschland werden dann instabiler.“
Es bringe aber nichts, in Panik zu verfallen, denn es gebe auch positive Entwicklungen, sagt Plöger. So werde derzeit das Leben des Morteratschgletschers in Graubünden künstlich verlängert. Dafür werde Gletscherwasser in den HöhenlaDeswegen
ge n zurückgehalten. Sind die Temperaturen tief genug, wird Wasser bergab durch Turbinen gelassen, die Strom erzeugen.
Mit diesem Strom werden Schneekanonen angetrieben, die den Gletscher mit neuem Schnee versorgen. „Man kann den Gletscher wesentlich besser erhalten, denn er schiebt sich ja sehr langsam unter den Schneekanonen durch und wird so immer wieder mit neuem Schnee bedeckt. Und das mit dem Strom, den das Wasser selbst erzeugt. Genial“, erklärt Plöger.
Doch kann nicht jeder etwas tun, um die Schönheit der Alpen zu bewahren? Sven Plöger hat hierfür eine Idee: „Es könnte ein verpflichtendes Umweltjahr geben. In diesem könnte man sich etwa mit Naturräumen beschäftigen. Da wäre jeder gefragt und nicht nur die Idealisten“, sagt der Meteorologe. „Wenn man Menschen bewusst mit einem Lehrplan an die Alpen heranführt, kann man den Satz ‚Der Planet braucht nicht uns, sondern wir brauchen ihn‘ noch viel deutlicher wirken lassen.“