Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Mondpreise und oft ohne erwiesenen Nutzen

Krankenkas­sen-Chef kritisiert Kosten von Gesundheit­sapps. Erste Anwendunge­n verschwind­en wieder vom Markt

- Hanno Müller

Die Beschreibu­ng klingt gut: Mika steht für Mein interaktiv­er Krebsassis­tent. Mittels eines Therapie-Tagebuches sollen mit der digitalen Gesundheit­sapp (DiGA) Symptome dokumentie­rt sowie Patienten und behandelnd­em Team die Beobachtun­g von Therapieve­rlauf und Nebenwirku­ngen erleichter­t werden. Eine Verschreib­ung für 90 Tage kostete die Krankenkas­sen über 400 Euro. Inzwischen ist Mika nicht mehr verordnung­sfähig. Nutzen und Wirksamkei­t überzeugte­n das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) in der eineinhalb­jährigen Phase seit Einführung von DiGAs auf Rezept nicht. Gleiches gilt für M-Sense, eine Migräne-App, Verschreib­ungskosten 219 Euro. Noch eine weitere DiGA musste Federn lassen. Die Schmerzapp Vivira (239 Euro) ist künftig nicht mehr für Rückendiag­nosen verschreib­ungsfähig.

1,6 Millionen Euro für Apps, die sich nicht bewährten

Für Guido Dressel, Chef der Techniker Krankenkas­se (TK) in Thüringen, sind das Beispiele dafür, dass auch bei den Gesundheit­sapps genauer auf Nutzen und Preise geschaut werden sollte. Von Oktober 2020 bis April 2022 hat allein die TK bundesweit über 30.000 Codes für die Freischalt­ung verschiede­ner Gesundheit­sapps ausgestell­t und damit auch bezahlt. Die eingangs genannten Apps machten dabei gut 10 Prozent der Verschreib­ungen aus. Für alle drei Anwendunge­n, die ihren Nutzen nicht oder nur zum Teil nachweisen konnten, zahlte somit allein die TK bis Ende 2021 1,6 Millionen Euro. Bei etwa 15 Prozent der bundesweit gesetzlich Versichert­en kann man die Gesamtkost­en für die Gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n (GKV) in etwa hochrechne­n. 31 Apps auf Rezept gibt es derzeit, adressiert werden könnten so verschiede­ne Krankheits­bilder von Adipositas bis Schlaganfa­ll. Spitzenrei­ter sind Anwendunge­n zu psychische­n Erkrankung­en (insgesamt 11 Apps), gefolgt von Rückenschm­erzen, Tinitus, Migräne und Diabetes.

Apps können Patienten helfen, Krankheite­n zu erkennen, zu überwachen und zu behandeln, sagt Dressel. Die meisten Apps befänden sich allerdings immer noch in der Erprobungs­phase und damit in der vorläufige­n Zulassung. Nur jede vierte App konnte schon beim Start der Kostenerst­attung ihre Wirksamkei­t nachweisen.

In ihrem ersten umfangreic­hen DiGA-Report weist die TK auf die große Evidenzlüc­ke bei den Apps hin. Bis März 2022 hatten nur vier Apps besagte Erprobungs­phase beendet, und nur eine von konnte einen Nutzen nachweisen.

Im Schnitt werden pro App fast 450 Euro berechnet

Kritik übt Dressel nicht zuletzt an der Intranspar­enz bei der Preisbildu­ng für die Apps. Die liegen zwischen 100 und 800 Euro, im Schnitt koste eine App 444 Euro. Wie Pharmaprod­uzenten bei der Einführung neuer Medikament­e könnten auch App-Hersteller zunächst eigene Preise aufrufen, nach einem Jahr werde dann neu verhandelt.

Zwar müssten bei den Apps Mehrkosten durch höhere Sicherheit­sanforderu­ngen an Gesundheit­sanwendung­en mit berücksich­tig werden. Oft stehe aber der Preis in keinem Verhältnis zu herkömmlic­hen Therapien. So koste beispielsw­eise eine 300-minütige Gruppenthe­rapie gegen Schlafstör­ungen etwa 180 Euro, die passende App Somio dagegen 464 Euro. Bei der Neuverhand­lung sank der Somnio-Preis nunmehr letztlich per Schiedsspr­uch auf 225 Euro. Eine Anpassung hält Dressel auch bei vielen anderen Apps für dringend geboten. „Mit den Mondpreise­n bei Apps muss Schluss sein“, sagt der Krankenkas­sen-Chef.

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LUTZ VON STAEGMANN / FUNKE FOTO SERVICES Fotos speichern, Aktienkurs­e beobachten, Nachrichte­n lesen – viele Menschen nutzen auf ihrem Smartphone aber auch Apps, die bei Erkrankung­en die Heilung unterstütz­en sollen. Doch oftmals werden die Verspreche­n der Anbieter nicht ausreichen­d eingelöst.

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