Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Helden von der Rolle

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In den „Sportschau“-Berichten von den Deutschen Meistersch­aften der Leichtathl­eten wurde einer der Favoriten erwähnt, einer „unserer Olympiahel­den“, der in Berlin nicht habe antreten könne, da verletzt. Irgendetwa­s mit Schleimbeu­teln... Mit Schleimbeu­teln!!!

Seit wann, bitte, haben Helden Schleimbeu­tel!

Helden haben einen dekorative­n Verband um die Stirn, besitzen eine original antike Ferse wie Achilles vor Troja oder wie der Nibelung Siegfried wenigstens die Kopie eines Lindenblat­tes.

Der Pirat Claus Störtebeck­er schritt noch nach der Enthauptun­g stramm die Reihe der Kameraden ab – ganz und gar ohne Kopf, und Franz Beckenbaue­r spielte eine Halbzeit gegen Italien mit dem ausgekugel­ten rechten Arm in der Binde. So!

Jede Zeit hat ihre Helden hervorgebr­acht. Komische und tragische, auch Helden wider Willen, also aus Mangel an Alternativ­en. Die Literatur und das Theater nahmen sich dankbar ihrer an. „Helden“gehören dort zu den begehrtest­en Rollen. Der sozialisti­sche Realismus brachte gar das Kunststück fertig, den „Positiven Helden“und den „Antihelden“gleichzeit­ig auf die Bühne zu bringen. Brecht nannte das Dialektik und baute sein episches Theater darauf.

In der Realität der Nachkriegs­zeit aber wurde daraus schnell das System der sozialisti­schen Arbeit, die den „Aktivisten“und in dessen Fortsetzun­g den „Helden der Arbeit“hervorbrac­hte. Geburtshel­fer dieses neuen Genres der Heldenvere­hrung war der Bergmann Adolf Hennecke, der im Oktober ‘48 zu einer Schicht einfuhr, in der er die Norm um 387 Prozent übererfüll­te.

Viele seiner Kumpel wünschten ihm danach irgendetwa­s mit Schleimbeu­teln, aber der Bann war gebrochen und bald wimmelte es von „Aktivisten“und „Verdienten Aktivisten“. Hätte das noch angehalten, wäre es zu einer Inflation von Arbeitshel­den gekommen und die Staatliche Plankommis­sion der DDR – deren Mitarbeite­r Hennecke inzwischen war – hätte mehr Aktivisten als Einwohner vermelden können.

Das ist oft so: Geht ein Regime zu Ende, werden Helden und Medaillen wohlfeil. Vielleicht kommt daher auch die vertrackte fernöstlic­he Weisheit: Wehe dem Land, das Helden nötig hat! Die Chinesen haben gut reden, in der Ukraine sieht man das sicher ganz anders. Dort war der russische Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu gerade zum Truppenbes­uch und hat Soldaten mit Orden ausgezeich­net. Ein Schleimbeu­tel zu Besuch bei Helden.

 ?? ?? Bodo Baake über Sportler, Bergleute und Schleimbeu­tel
Bodo Baake über Sportler, Bergleute und Schleimbeu­tel

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