Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Einzelzelle mit Beobachtung
Komplizin des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein wegen Suizidgefahr unter Sonderbeobachtung
Nachdem sich der zu Lebzeiten in Politik, Königshäusern und High Society blendend vernetzte Sexualstraftäter Jeffrey Epstein im August 2019 mit einem Bettlaken in seiner Zelle im berüchtigten Metropolitan Correctional Center von New York City aufgehängt hatte, kam eine dubiose Geschichte aus Wegsehen und Versagen ans Tageslicht. Wegsehen und Versagen der Gefängnisleitung. Das soll sich vor der für Dienstag angesetzten Strafmaßverkündung für Epsteins Komplizin bei der sexuellen Ausbeutung minderjähriger Frauen nicht wiederholen. Also ist Ghislaine Maxwell am Wochenende wegen Selbstmordgefahr unter Sonderbeobachtung gestellt und in eine Einzelzelle verlegt worden.
Ohne ihre Kleidung. Ohne Zahnpasta und Seife, wie ihre Anwältin Bobbi Sternheim klagt. Und ohne alle nötigen Unterlagen, um sich angemessen auf den Moment vorbereiten zu können, der darüber entscheidet, ob die Milliardärstochter den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen muss oder nicht.
Sternheim, die vor Tagen anführte, dass ihre Mandantin im Knast von einem Scharfschützen erschossen oder von einer Mitinhaftierten ermordet werden könnte, hält die mit Schlafentzug verbundene „suicide watch“für Schikane. Maxwell sei von einer Gutachterin als nicht lebensmüde eingestuft worden, erklärte die bekannte Strafverteidigerin. Sternheim will am heutigen Montag bei Richter Alison Nathan eventuell einen neuen Termin für die Bekanntgabe des Strafmaßes einfordern. Bekommen dabei ihre Ankläger recht, müsste Ghislaine Maxwell mindestens 90 Jahre alt werden, um noch einmal die Welt in Freiheit zu erleben. Im schlimmsten Fall – das wären 55 Jahre Gefängnis – würde die 60-Jährige ihre letzten Atemzüge nach menschlichem Ermessen hinter Gittern tun.
Die geforderte Spanne stammt von der Staatsanwaltschaft. Sie hatte es geschafft, dass Maxwell Ende vergangenen Jahres wegen Führung eines Sexhandelsrings in mindestens fünf Fällen für schuldig befunden wurde. Anklägerin Lara Pomerantz damals: „Sie ist ein Raubtier, das verletzlichen jungen Mädchen auflauerte, sie manipulierte und zum Missbrauch servierte.“Das und vor allem die Tatsache, dass die seit 2020 im Gefängnis einsitzende Ex-Jetset-Dame bis heute „keinen Funken Verantwortung übernimmt und auf schockierende Weise auch kein bisschen Reue zeigt“, nahmen die Ankläger zum Anlass für ihre knallharte Straf-Forderung.
Maxwells Verteidiger sehen den Fall völlig anders. Danach seien maximal vier Jahre und drei Monate als Strafe angemessen. Schließlich sei Frau Maxwell von dem Wunsch beseelt, „Gutes in der Welt zu tun“. Etwa durch Unterstützung der gemeinnützigen Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton (der ein häufiger Gast in Epsteins Privatflugzeug war).
Wie das zusammengeht mit Schilderungen von Opfern, die im Prozess mit erschütternden Details nachzeichneten, wie Maxwell junge Frauen für Epsteins unstillbare Gier in Einkaufszentren oder auf der Straße mit falschen Versprechen rekrutierte, erschließt sich Prozessbeobachtern nicht. Beim Schuldspruch am 29. Dezember 2021 wiesen die Geschworenen den Vorwurf zurück, Maxwell sei nach dem Ableben Epsteins das Opfer eines Stellvertreterprozesses geworden. Vielmehr sei sie die „rechte Hand“Epsteins gewesen und habe, um ihren privaten Luxus zu bewahren, das brutale Missbrauchsspiel mitgespielt und die jungen Opfer zu einer „Kultur des Schweigens“gezwungen.
Die wollen die Staatsanwälte beim vorläufig letzten Auftritt Maxwells aufbrechen. Mehrere Opfer, darunter die durch ihren von Epstein vermittelten Sexkontakt zum englischen Royal Prinz Andrew bekannte gewordene Virginia Giuffre, sollen bei der Strafmaß-Zuteilung über ihre Leidensgeschichten berichten. Giuffre schreibt in ihrem Opferbericht: „Du hättest die Behörden alarmieren und gestehen können, dass du an etwas Furchtbarem beteiligt warst. Ghislaine, du verdienst es, den Rest deines Lebens in einer Gefängniszelle zu verbringen. Du verdienst es, in einem Käfig gefangen gehalten zu werden, genau so wie du deine Opfer eingeschlossen hast.“
Du verdienst es, in einem Käfig gefangen gehalten zu werden. Virginia Giuffre, eines der Opfer, hat kein Mitleid mit Ghislaine Maxwell