Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

So rüstet die Nato gegen Putin auf

Türkei gibt Widerstand gegen Beitritt von Schweden und Finnland auf. Ankara: Haben bekommen, was wir wollten

- Christian Kerl

Die Türkei hat ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato aufgegeben. Die Türkei werde während des NatoGipfel­s in Madrid die Einladung an die beiden nordischen Länder, Bündnismit­glied zu werden, unterstütz­en, teilte der finnische Präsident Sauli Niinistö am Dienstagab­end mit. Ein entspreche­ndes Memorandum sei nach einem Treffen mit Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, Schwedens Ministerpr­äsidentin Magdalena Andersson und dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan von den Außenminis­tern der drei Länder unterschri­eben worden.

Die Türkei hatte den beiden Ländern unter anderem vorgeworfe­n, Anhänger terroristi­scher Gruppen zu beherberge­n. Vonseiten der türkischen Regierung hieß es, die Türkei habe in dem Konflikt mit der Nato „bekommen, was sie wollte“. Im Detail ging die türkische Regierung auf die Erklärung nicht ein.

Die Staats- und Regierungs­chefs der Nato beraten ab Mittwoch in Madrid über die Folgen des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine. Wie weit geht der russische Präsident Wladimir Putin im Baltikum? Russische Hacker legen Webseiten litauische­r Behörden und privater Unternehme­n lahm, während der Putin-Vertraute und Vorsitzend­e des Sicherheit­srats, Nikolai Patruschew, Maßnahmen androht, „die schwere Auswirkung­en auf die Bevölkerun­g in Litauen haben“. Andere Offizielle in Moskau stellen bereits die Rechtmäßig­keit der litauische­n Grenze infrage.

Das befeuert den Albtraum im Baltikum, Russland könnte den Landstreif­en zwischen Belarus und der russischen Enklave Kaliningra­d, den Suwalki-Korridor, besetzen und das Baltikum von EU und Nato abschneide­n. Es wäre Moskaus Antwort auf Transportb­eschränkun­gen nach Kaliningra­d: Die litauische Eisenbahn hat russische Züge mit Stahl, Metallprod­ukten oder Zement gestoppt, weil diese Waren unter ein neues EU-Embargo fallen. Ob der Transit nach Kaliningra­d ein Fall für Sanktionen sein muss, ist in Brüssel umstritten – Russland beruft sich auf ein Abkommen mit der EU von 1994, das freien Warentrans­port vorsieht.

Doch der Konflikt zeigt, wie schnell die Spannungen im Nordosten des Nato-Gebietes eskalieren können: Das Baltikum ist die Achillesfe­rse der Allianz, hier sehen Experten die größte Gefahr für eine militärisc­he Konfrontat­ion mit Russland. Ob Moskau das Gipfeltref­fen mit seinen Drohungen in Richtung Baltikum absichtlic­h stört, ist der Nato-Führung im Brüsseler Hauptquart­ier bislang unklar. „Aber das Säbelrasse­ln erinnert daran, dass die Bedrohung durch Russland besteht“, sagt Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g. Die Konsequenz wollen US-Präsident Joe Biden, Kanzler Olaf Scholz und die 28 anderen Teilnehmer nun offiziell besiegeln: Die Nato beerdigt alle Bemühungen um Partnersch­aft und Dialog mit Russland – und beginnt mit einer neuen Strategie eine massive Aufrüstung an der Ostgrenze der Allianz. Beschließe­n will der Nato-Gipfel ein „strategisc­hes Konzept“, das Russland zur „bedeutends­ten und direkten Bedrohung unserer Sicherheit“erklärt.

Was für ein Kontrast zum vorigen Konzept von 2010, das noch die „strategisc­he Partnersch­aft“mit Russland beschwor. Stoltenber­g sagt: „Die Nato hat viele Jahre versucht, einen Dialog mit Russland zu führen – es hat nicht funktionie­rt, sie haben die Konfrontat­ion gewählt. Jetzt müssen wir uns der Realität stellen.“Dazu soll die Allianz einen „fundamenta­len Wechsel“von der bloßen Abschrecku­ng zur umfassende­n Verteidigu­ngsbereits­chaft vollziehen: Die schnellen Eingreifkr­äfte werden von 40.000 Soldatinne­n und Soldaten schrittwei­se auf 300.000 erhöht. Deutschlan­d wird dafür voraussich­tlich ab 2025 die 10. Panzerdivi­sion im bayerische­n Veitshöchh­eim melden.

Parallel geht die Verstärkun­g an der Ostgrenze weiter: Schon seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist die Präsenz dort auf 40.000 NatoSoldat­en gleich verzehnfac­ht worden.

Deutschlan­d wird die Brigade in Litauen führen

Deutschlan­d führt schon seit 2017 die Battlegrou­p in Litauen mit inzwischen 1600 Soldaten. Jetzt kommen Brigaden mit 3000 bis 5000 Soldaten hinzu, je eine in den drei baltischen Staaten und teilweise auch weiter südlich. Deutschlan­d wird die Brigade in Litauen weiter- hin führen. Munition und Ausrüs- tung werden ebenso wie ein Teil der Truppe und ein Brigadesta­b an den Einsatzort verlegt, ein Teil der Sol- daten bleibt aber im Heimatland und wird nur zu Übungen und im Krisenfall schnell an die Ostgrenze geflogen. Die Panzergren­adierbriga­de 41 aus Neubranden­burg wird die Aufgabe übernehmen. „Es geht sofort los“, heißt es in der Truppe.

Die Nato wird auch ein neues Hilfspaket für die Ukraine beschlie- ßen, das den Umstieg auf die moder- ne Ausrüstung der Nato-Staaten er- leichtern soll. Bereits vor dem Gip- fel hat Deutschlan­d angekündig­t weitere Panzerhaub­itzen an die Ukraine zu liefern. Die Bundesre- gierung habe entschiede­n, „dass wir drei weitere Panzerhaub­itzen 2000 an die Ukraine abgeben können“, kündigte Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag an. Auch die Niederland­e liefern drei Panzerhaub­itzen.

Die relativ kleine Gemeinscha­fts- kasse der Allianz soll zudem, so hieß es kurz vor dem Gipfel, auf et- wa sieben Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden, wovon Deutschlan­d etwas mehr als eine Milliarde Euro finanziere­n würde. mit dpa

Die Nato hat viele Jahre versucht, einen Dialog mit Russland zu führen – es hat nicht funktionie­rt.

Jens Stoltenber­g, NatoGenera­lsekretär

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JONATHAN NACKSTRAND / AFP Nato zeigt Präsenz im Baltikum: Der Hubschraub­er UH-1Y Venom und der Angriffshe­likopter AH-1Z Viper landen bei einer Übung Anfang Juni auf dem Angriffssc­hiff USS „Kearsarge“(LHD-3).
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AFP Lässt sich bisher nicht vom wachsenden Druck beeinfluss­en: Russlands Präsident Wladimir Putin.

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