Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Als die Welt noch in Ordnung war

-

Die großen Thüringer Rivalen, sie können sich in Wesendorf fast in die Augen schauen. Auf der einen Seite hängt ein Bild des FC Carl Zeiss Jena, zwei Schritte weiter gegenüber eines des FC Rot-Weiß Erfurt.

Beide Traditions­vereine haben im hiesigen laVital-Hotel schon geschwitzt, sich im Trainingsl­ager auf die Saison vorbereite­t oder vor Spielen im Raum Hannover, Braunschwe­ig, Wolfsburg hier übernachte­t und sind im beschaulic­hen Städtchen in Niedersach­sen auch heute noch gerngesehe­n.

Gut, der Platz der Fotos vor den Toiletten der Hotelbar ist auf den ersten Blick wenig schmeichel­haft. Bei genauerer Betrachtun­g aber doch recht einprägsam. Schließlic­h kommt kein abendliche­r Besucher an der Fotogaleri­e vorbei, muss zwangsläuf­ig einen Blick auf die Zeit werfen, als der Thüringer Fußball noch in Ordnung war.

Die Bilder stammen beide aus dem Jahr 2007, als der FC Rot-Weiß als Regionalli­gist noch von der 2.Bundesliga träumen durfte und der FC Carl Zeiss in eben jener spielte. Die Namen der Protagonis­ten von damals können die meisten Fans noch aus dem Effeff und meist mit Pathos und einer gewissen Ehrfurcht herbeten. Auf Jenas Seite sind Spieler wie Tobias Werner, Jan Simak, Ronald Maul oder Sami Allagui zu nennen, auf Erfurter Dirk Orlishause­n, Alexander Schnetzler, Daniel Brückner, Samil Cinaz oder Albert Bunjaku.

Die großen Spiele dieser Zeit können die Anhänger der Clubs meist noch minutiös nacherzähl­en, während sie heute mitunter schon Probleme haben, die Namen all derer zu kennen, die zum Kader gehören. So kann sich das Bild in 15 Jahren wandeln.

Dass ausgerechn­et das Jenaer Foto schief hängt, ist unbewusst vielleicht auch ein Zeichen für den Niedergang der großen Thüringer Fußballclu­bs seit eben diesem Jahr 2007. Für den FCC war es seine bis dato letzte Saison im FußballUnt­erhaus. Mit dem Einzug ins DFB-Pokal-Halbfinale stand am Ende der Spielzeit zwar der größte sportliche Erfolg in den Nach-Wendezeit, aber eben auch der Abstieg in die 2008 neu eingeführt­e 3. Liga. Das konnten insgesamt drei Trainer nicht verhindern.

In der Landeshaup­tstadt war RWE als Dritter in der Winterpaus­e noch punktgleic­h mit Rang zwei, der zum Aufstieg berechtigt hätte. Aber nach dem Abschied von Trainer

Pavel Dotchev im Februar 2008 noch vor Beginn der Rückrunde war auch „nur“noch die Qualifikat­ion für die 3. Liga drin.

Seitdem liest sich die Bilanz der Thüringer Spitzenclu­bs nicht mehr annähernd so ruhmreich wie zuvor. Beim FC Rot-Weiß folgte nach zehn Jahren Drittklass­igkeit der Absturz bis in Liga fünf. Die 14 folgenden Saisons nach 2007/2008 in Jena teilen sich jeweils in sieben Spielzeite­n in der 3. Liga und sieben in der Regionalli­ga auf.

Immerhin haben sich die Erfurter zurück in die Viertklass­igkeit gekämpft, wo sich die Thüringer Fußball-Fans endlich wieder auf Derbys zwischen den beiden Rivalen freuen können. Beide Vereine befinden sich, trotz mancher finanziell­en Sorgen, in einer gewissen Aufbruchst­immung und haben die Chance, in der Regionalli­ga ein Wörtchen mitzureden. Ob es für ganz oben reicht, wird man sehen. Aber zumindest sind die Grundlagen da, um wenigstens ein Team zu formen, das im übernächst­en Jahr, wenn der Staffelsie­ger direkt in die 3. Liga aufsteigt, angreifen kann.

Sportmanag­er Marcus Bergmann vom laVital-Hotel in Wesendorf hat auf jeden Fall zugesicher­t, dass das Jenaer Mannschaft­sfoto aus dem Jahr 2007 bald wieder geradegerü­ckt wird. Vielleicht ist das ja ein Fingerzeig für beide Vereine, dass es nach Jahren in der Talsohle auch wieder nach oben gehen kann.

 ?? ?? Holger Zaumsegel über gute alte Zeiten des Thüringer Fußballs
Holger Zaumsegel über gute alte Zeiten des Thüringer Fußballs

Newspapers in German

Newspapers from Germany