Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Im Westen sind die Menschen so satt“

Warum der Pastor und seine Frau als Ruheständl­er nach Gera zurückgeke­hrt sind

- Ulrike Merkel

Gera. Wer die Eheleute Maas in ihrer neuen Wohnung in Gera besucht, der wird freundlich gebeten, die Schuhe anzulassen. Die ostdeutsch­e Gepflogenh­eit, Straßensch­uhe beim Eintritt auszuziehe­n, haben der gebürtige Rheinlände­r und seine Frau zwar nicht übernommen. Doch sie schätzen die neuen Bundesländ­er und haben Gera als Wahlheimat auserkoren.

Christoph Maas ist freikirchl­icher Pastor im Ruhestand. Von 2001 bis 2014 leitet er die Freie Evangelisc­he Gemeinde in der Geraer Eisenbahns­traße. Dann führte ihn der Beruf noch einmal für acht Jahre nach Hessen, bevor er und Ehefrau Martha wieder zurückkehr­ten. Er liebe die Stadt an der Elster, sagt Christoph Maas, die stuckverzi­erten Villen, das kulturelle Angebot, das Theater, den alten Baumbestan­d und vor allem die Menschen. Sie seien in ihrer Lebensart offen und fröhlich – ähnlich den Menschen aus dem Rheinland. Leider würden selbst so einige Gersche die Vorzüge ihrer Heimat nicht zu schätzen wissen, bedauert er. „Dabei könnten sie stolz sein.“

Interesse an Ostdeutsch­land hatte Christoph Maas schon lange vor der Wende. Ein Onkel lebte in Erfurt. Doch besuchen durfte ihn der damalige Theologies­tudent nicht. Nur mit organisier­ten Seminarfah­rten konnte er zu DDR-Zeiten zweimal nach Berlin reisen. Ein Teil der Gruppe habe seinerzeit die Bibeln an der Grenze abgeben müssen und habe sie erst zur Ausreise zurückerha­lten, erinnert sich der 68-Jährige. Seine eigene Bibel sei damals nur registrier­t worden. Auch der Usedom-Urlaub kurz nach der friedliche­n Revolution ist den Maas‘ als besonders beeindruck­end

in Erinnerung geblieben – ebenso wie die Trabi-Schlangen, die sich ‘89 durch ihr Städtchen Schongau schlängelt­en.

Nach diversen Stationen in ganz Deutschlan­d übernimmt Christoph Maas kurz nach der Jahrtausen­dwende die Pastorenst­elle in Gera. Darüber hinaus wird er kirchliche­r Senderbeau­ftragter beim MDR. Er habe die 14 Jahre in Gera als Zeit des Aufbruchs erlebt, sagt der Rückkehrer. Die Menschen hier besäßen viel Schaffensk­raft, viele Ideen, hätten Lust, etwas zu wagen. Das

hübsch sanierte Häuserkarr­ee, in dem er und seine Frau seit Juli wohnen, sei beispielsw­eise vor Jahren noch eine Ruine gewesen. Die Umwälzunge­n hätten die Menschen positiv geprägt. „Im Westen dagegen sind die Leute so satt“, sagt der ehemalige Pastor. „Sie erwarten nichts mehr.“

Verwandt mit Musik-Kabarettis­t Ingo Insterburg

In Gera hat Christoph Maas nun Zeit, seiner Leidenscha­ft, der Schriftste­llerei, nachzugehe­n. In

den vergangene­n zehn Jahren hat er 500 Gedichte geschriebe­n; auch Kurzprosa und Romane hat er veröffentl­icht, wie den Kurzroman „Das Geheimnis von Rettenbach“, der von Wohltätigk­eiten eines Unbekannte­n in einer kleinen Gemeinde erzählt.

Die Leidenscha­ft fürs Künstleris­che ist ihm quasi in die Wiege gelegt worden. Während sein Vater diesen Schreibdra­ng früh im Keim ersticken wollte, gehörten der Familie mütterlich­erseits mehrere Künstler an. So auch der Musik-Kabarettis­t

Ingo Insterburg (1934 - 2018), der seinen Hit „Ich liebte ein Mädchen…“seiner Cousine widmete – Maas‘ Mutter.

Heute, sagt der gebürtige Krefelder, sei er dankbar und froh, dass er Deutschlan­d in seiner Vielfalt kennenlern­en durfte. „Wir sind eine gesamtdeut­sche Familie.“Die beiden Söhne und der Pflegesohn leben in Ostthüring­en und Anhalt. Auch auf deren Wunsch hin seien seine Frau und er zurückgeko­mmen in den Osten. Die Ortswahl stand bald fest: „Wenn, dann Gera.“

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ULRIKE MERKEL Christoph Maas, Autor und Pastor im Ruhestand, mit seiner Frau Martha

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