Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wie uns die vollen Gasspeiche­r helfen

In Rekordzeit wurden die deutschen Speicher gefüllt. Eine sichere Energiever­sorgung und stabile Preise bedeutet das aber noch nicht

- Björn Hartmann

Berlin. Rechtzeiti­g vor dem Winter sind Deutschlan­ds Gasspeiche­r fast vollständi­g gefüllt – schneller als gedacht. Reicht die Menge, um Firmen und Haushalte durch den Winter zu bringen? Und was passiert mit dem weiteren, bereits georderten Gas? Fallen eventuell sogar die Preise? Antworten auf die wichtigste­n Fragen:

Woher kommt das Gas, das Deutschlan­d eingespeic­hert hat?

Noch 2021 lieferte Russland mehr als 50 Prozent des in Deutschlan­d verbraucht­en Erdgases, im Sommer waren es noch 26 Prozent. Seit August kommt nichts mehr durch die Pipelines. Seither bezieht die Bundesrepu­blik das meiste Erdgas aus Norwegen. Zudem liefern die Niederland­e und Belgien Gas. Beide Länder verfügen über Häfen, in denen Flüssiggas, vor allem aus den USA, anlandet. Gut ein Zehntel des deutschen Gasbedarfs stammt aus heimischer Förderung.

Wofür sind die Speicher nötig?

Üblicherwe­ise sind Gasspeiche­r wichtig für den Markt. Der Betreiber vermietet Teile an Gashändler. Diese kaufen Gas, lagern es ein und verkaufen, wenn der Preis gestiegen ist. So werden unter anderem kurzfristi­ge Verbrauchs­spitzen ausgeglich­en. Da Gas in der Regel im Sommer günstig und im Winter teurer ist, weil es mehr nachgefrag­t wird, füllen die Händler die Speicher bis zum Herbst, um dann bis zum Frühjahr zu verkaufen. 2022 ist alles anders: Russland hat die Ukraine angegriffe­n und nutzt die Abhängigke­it Europas von seinen Gaslieferu­ngen als Waffe. Die Gaspreise stiegen im Sommer auf Rekordhöhe­n, der Markt funktionie­rte nicht mehr. Die Bundesregi­erung verpflicht­ete die Speicherbe­treiber per Gesetz, bis zum Winter bestimmte Füllmengen zu garantiere­n, damit Deutschlan­ds Industrie durch den Winter kommt und in den Häusern niemand frieren muss.

Wie voll sind die Gasspeiche­r?

Die Bundesregi­erung hatte für den 1. November einen Zielwert von 95 Prozent vorgegeben. Deutschlan­ds Gasspeiche­r waren am Wochenende mit 99,19 Prozent nahezu vollständi­g gefüllt. Einzelne Speicher lagen leicht unter 95 Prozent, unter anderem weil sie sehr groß sind.

Wie viele Gasspeiche­r gibt es in Deutschlan­d mit welcher Kapazität?

In Deutschlan­d gibt es nach Angaben der Initiative Energie speichern (Ines) etwa 44 unterirdis­che Gasspeiche­r. Insgesamt stehen rund 23 Milliarden Kubikmeter

Speicherka­pazität zur Verfügung. Das reicht für etwa 256 Terawattst­unden und entspricht rund einem Viertel des deutschen Jahresverb­rauchs 2021. Im europäisch­en Vergleich besitzt Deutschlan­d rund 22 Prozent der Speicherka­pazität. Oberirdisc­he Gasspeiche­r dienen oft als Puffer etwa für ein Kraftwerk oder eine Fabrik. Für die Versorgung sind sie vernachläs­sigbar.

Wo liegen die Speicher?

Der größte Gasspeiche­r Deutschlan­ds ist ein ehemaliges Erdgasfeld in Niedersach­sen. 2000 Meter unter Rehden liegt gut ein Sechstel der deutschen Speicherka­pazität. Weitere große Speicher liegen im ostfriesis­chen Etzel, bei Gronau an der niederländ­ischen Grenze, in der Nähe von München und bei Halle (Saale). Große Speicher gibt es auch bei Hannover und nahe

Ludwigslus­t.

Was passiert mit dem Gas, das importiert wird, wenn die Speicher voll sind?

Auch wenn die Speicher gefüllt werden mussten und Haushalte und Unternehme­n bis zu 20 Prozent Gas sparten – vor allem die Wirtschaft verbraucht für sogenannte Prozesswär­me und als Rohstoff in großen Mengen Gas. Und auch die Haushalte heizen und kochen mit Gas. Dieser Bedarf ist weiterhin da. Sind die Speicher voll und wird weiter mehr eingeführt, als zunächst benötigt wird, greift der Marktmecha­nismus: Das große Angebot dämpft die Preise. Gas wird billiger, die Nachfrage dürfte wieder steigen. Das zusätzlich importiert­e Gas wird also sehr wahrschein­lich verbraucht – oder meist zum Tagespreis an die Nachbarn

Deutschlan­ds verkauft, die ebenfalls Gas speichern. Sinken die Preise unter einen bestimmten Wert, kann es für Lieferante­n von Flüssiggas (LNG) interessan­t sein, mit dem Entladen von Schiffen zu warten, bis die Preise wieder anziehen. Weil auch bei einem milden Winter geheizt werden muss, wird der Verbrauch aber zwangsläuf­ig steigen.

Wie lange speichert man Gas?

Im Prinzip beliebig lange. Die unterirdis­chen Speicher, etwa Hohlräume in Salzstöcke­n und ehemalige Gaslager, sind dicht, sonst taugten sie nicht als Speicher.

Wie lange reicht das gespeicher­te Gas?

Wesentlich sind die Temperatur­en in diesem Winter. Sollte es mild bleiben, kommt Deutschlan­d gut bis in den März. Wird es sehr kalt, leeren sich die Speicher schnell. Die Bundesnetz­agentur warnt deshalb, ein Mangel könne nur vermieden werden, wenn das Sparziel von mindestens 20 Prozent erreicht werde. Und die Flüssiggas­terminals in Wilhelmsha­ven und Lubmin müssen im Dezember fertig sein.

Was passiert, wenn das Gas doch nicht ausreicht?

Hier kann die Bundesregi­erung die Notfallstu­fe ausrufen. Dann bestimmt die Bundesnetz­agentur, wer Gas bekommt. Private Haushalte und soziale Einrichtun­gen wie Krankenhäu­ser, Haushalte und Gaskraftwe­rke, die auch Haushalte mit Wärme versorgen, sind geschützt. Es wird also vor allem die Wirtschaft treffen. Dafür gibt es bereits Pläne, zu Einzelheit­en äußert sich die Bundesnetz­agentur nicht.

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PA Die Verdichter­station in Werne im Münsterlan­d ist die zentrale Drehscheib­e im deutschen Erdgasnetz.

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