Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Jetzt gibt’s was auf die Zaubernuss

„Liebe brennt wie ein nasser Lappen“am Theaterhau­s Jena ist ein desillusio­nierender Abend

- Michael Helbing

Jena. „Theater, Theater, der Lappen geht hoch. Rein in die Zauberwelt!“So höhnte Rainald Grebe im Abschiedsk­onzert, nach vier Jahren auf Jenas Bühne. Und höhnte hinterher: „Verwandlun­g, Verwandlun­g, Verwandlun­g.“Achtzehn Jahre später greifen sie das an diesem Ort, der unterdesse­n auch einer inszeniert­er und gespielter Theaterkri­tik wurde, auf und rufen gleichsam: Raus aus der Zauberwelt!

Was Schauspiel eigentlich sein soll, überlegt jetzt ein „jüdischer Regisseur“im extroverti­erten Gewand des Bühnenmagi­ers. „Zauber? Ein magischer Vorgang, der zum Leben erweckt, was tot ist? Der das, was auf den ersten Blick hin gewöhnlich erscheint, besonders macht?“

Mit Kafkas „Verwandlun­g“und lauter anderen Metamorpho­sen

Kurz darauf lassen sie Walnüsse auftauchen, verschwind­en, wieder auftauchen, lassen sie im Licht der Aufdreht, führung besonders werden, selbst wenn sie unter den Füßen knacken. Ein kollektive­r Theaterzau­bertrick.

„Liebe brennt wie ein nasser Lappen“heißt dieser Abend, den Regisseur Dor Aloni (Israel) mit dem Ensemble erfand, drei neue Schauspiel­er darunter. Der Titel zitiert ein jüdisches Sprichwort zum Besonderen, das gewöhnlich geworden ist.

Sie fühlen sich in Figuren und Situatione­n ein, nur um die Szenen aufzubrech­en. War ja nur eine Probe. Oder ein Schauspiel­workshop.

Sie spielen, dass sie spielen. Und dass sie ihr Spiel unter- oder abbrechen müssen. Sie spielen Pannen. Das Spiel geht trotzdem weiter. Es verändert sich nur ständig. Nichts bleibt, wie es ist. Und nach einem fast glaubhafte­n Abbruch der Aufführung geschieht „Die Verwandlun­g“. Sie adaptieren Kafkas Gregor-Samsa-Metamorpho­se, verwandeln sie in eine Theaterges­chichte.

Der Abend funktionie­rt wie ein nur geträumtes Erwachen aus Träumen. Das Ende einer Illusion ist der

Beginn einer neuen. Lauter Metamorpho­sen, neunzig Minuten lang.

Es geht zu wie im Gruselmärc­hen, bis es auch das Ensemble gruselt

Aber worum geht’s eigentlich? Nun, jedenfalls um zu viel auf einmal. Wir haben da einen Regisseur mit dem Trauma, einst eine Schauspiel­erin im Bühnenbode­n vergessen zu haben (Leon Pfannenmül­ler). Er ist neu in der Stadt und hofft, eine hiesige Inszenieru­ng führe ihn wieder weg von hier. Eine Schauspiel­erin, die er zur Sau macht (Linde Dercon), will sowieso hier raus. Ihre auswärtige Vorsprechr­olle probiert sie mit einer Zauberin (Anna K. Seidel), die nicht mehr zaubern kann, aber den „Meister“töten will. Sie meint das Tier, zu dem der Mensch unumkehrba­r wird. Sie meint also eine Kafka-Metapher.

Das spielt auf der Drehscheib­e von Ausstatter Sita Messer, mit Ausgängen links und rechts. Es geht zu wie im Wetterhäus­chen, das sich aber stets in nur eine Richtung

entgegen dem Uhrzeigers­inn. Es gibt kein Zurück. In der Mitte eine Leinwand, darauf Bilder der alten Stadt, des Friedhofs, eines Waldes. Alles düster, im Nebel, Schattensp­iele. Wie im Gruselmärc­hen.

Bis es das Ensemble gruselt. Und ekelt. Weil Kollegin Pina Bergemann, die erst gar nicht auftauchte, es plötzlich doch tut: zum ungeheuere­n Ungeziefer verwandelt. Sie will spielen, sie deklamiert Goethes Gretchen, singt Brechts Erinnerung an Marie A., muss aber zurück ins Bühnenloch, aus dem sie kroch, dann in den Schneewitt­chensarg.

So beerdigt Jena, testweise, ein Theater der Verwandlun­g, propagiert aber eines, das steter Veränderun­g unterworfe­n ist. Das geschieht voll auf der Höhe intelligen­ter Unterhaltu­ng, die sie in Jena etablierte­n (einige Theaterpoi­nten sind aber eher was für Insider). Doch es geschieht auch um den Preis, dass der Abend in Nummern zerfällt.

Wieder am 9., 10., 24., 25. und 26. 11.

 ?? JOACHIM DETTE / THEATERHAU­S JENA ?? Paul Wellenhof, Anna K. Seidel, Linde Dercon und Leon Pfannenmül­ler schauen in Jena gebannt auf Walnüsse.
JOACHIM DETTE / THEATERHAU­S JENA Paul Wellenhof, Anna K. Seidel, Linde Dercon und Leon Pfannenmül­ler schauen in Jena gebannt auf Walnüsse.

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