Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Jetzt gibt’s was auf die Zaubernuss
„Liebe brennt wie ein nasser Lappen“am Theaterhaus Jena ist ein desillusionierender Abend
Jena. „Theater, Theater, der Lappen geht hoch. Rein in die Zauberwelt!“So höhnte Rainald Grebe im Abschiedskonzert, nach vier Jahren auf Jenas Bühne. Und höhnte hinterher: „Verwandlung, Verwandlung, Verwandlung.“Achtzehn Jahre später greifen sie das an diesem Ort, der unterdessen auch einer inszenierter und gespielter Theaterkritik wurde, auf und rufen gleichsam: Raus aus der Zauberwelt!
Was Schauspiel eigentlich sein soll, überlegt jetzt ein „jüdischer Regisseur“im extrovertierten Gewand des Bühnenmagiers. „Zauber? Ein magischer Vorgang, der zum Leben erweckt, was tot ist? Der das, was auf den ersten Blick hin gewöhnlich erscheint, besonders macht?“
Mit Kafkas „Verwandlung“und lauter anderen Metamorphosen
Kurz darauf lassen sie Walnüsse auftauchen, verschwinden, wieder auftauchen, lassen sie im Licht der Aufdreht, führung besonders werden, selbst wenn sie unter den Füßen knacken. Ein kollektiver Theaterzaubertrick.
„Liebe brennt wie ein nasser Lappen“heißt dieser Abend, den Regisseur Dor Aloni (Israel) mit dem Ensemble erfand, drei neue Schauspieler darunter. Der Titel zitiert ein jüdisches Sprichwort zum Besonderen, das gewöhnlich geworden ist.
Sie fühlen sich in Figuren und Situationen ein, nur um die Szenen aufzubrechen. War ja nur eine Probe. Oder ein Schauspielworkshop.
Sie spielen, dass sie spielen. Und dass sie ihr Spiel unter- oder abbrechen müssen. Sie spielen Pannen. Das Spiel geht trotzdem weiter. Es verändert sich nur ständig. Nichts bleibt, wie es ist. Und nach einem fast glaubhaften Abbruch der Aufführung geschieht „Die Verwandlung“. Sie adaptieren Kafkas Gregor-Samsa-Metamorphose, verwandeln sie in eine Theatergeschichte.
Der Abend funktioniert wie ein nur geträumtes Erwachen aus Träumen. Das Ende einer Illusion ist der
Beginn einer neuen. Lauter Metamorphosen, neunzig Minuten lang.
Es geht zu wie im Gruselmärchen, bis es auch das Ensemble gruselt
Aber worum geht’s eigentlich? Nun, jedenfalls um zu viel auf einmal. Wir haben da einen Regisseur mit dem Trauma, einst eine Schauspielerin im Bühnenboden vergessen zu haben (Leon Pfannenmüller). Er ist neu in der Stadt und hofft, eine hiesige Inszenierung führe ihn wieder weg von hier. Eine Schauspielerin, die er zur Sau macht (Linde Dercon), will sowieso hier raus. Ihre auswärtige Vorsprechrolle probiert sie mit einer Zauberin (Anna K. Seidel), die nicht mehr zaubern kann, aber den „Meister“töten will. Sie meint das Tier, zu dem der Mensch unumkehrbar wird. Sie meint also eine Kafka-Metapher.
Das spielt auf der Drehscheibe von Ausstatter Sita Messer, mit Ausgängen links und rechts. Es geht zu wie im Wetterhäuschen, das sich aber stets in nur eine Richtung
entgegen dem Uhrzeigersinn. Es gibt kein Zurück. In der Mitte eine Leinwand, darauf Bilder der alten Stadt, des Friedhofs, eines Waldes. Alles düster, im Nebel, Schattenspiele. Wie im Gruselmärchen.
Bis es das Ensemble gruselt. Und ekelt. Weil Kollegin Pina Bergemann, die erst gar nicht auftauchte, es plötzlich doch tut: zum ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Sie will spielen, sie deklamiert Goethes Gretchen, singt Brechts Erinnerung an Marie A., muss aber zurück ins Bühnenloch, aus dem sie kroch, dann in den Schneewittchensarg.
So beerdigt Jena, testweise, ein Theater der Verwandlung, propagiert aber eines, das steter Veränderung unterworfen ist. Das geschieht voll auf der Höhe intelligenter Unterhaltung, die sie in Jena etablierten (einige Theaterpointen sind aber eher was für Insider). Doch es geschieht auch um den Preis, dass der Abend in Nummern zerfällt.
Wieder am 9., 10., 24., 25. und 26. 11.