Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Stratege

Karsten Sänger, einer der besten Abwehrspie­ler in der Geschichte des FC Rot-Weiß, wird 60

- Marco Alles

Kerspleben. Der kurz nach der Wende abgelaufen­e Ausweis war schuld. Weil er zur Beantragun­g des neuen Dokuments seine Geburtsurk­unde hervorkram­en musste, fiel der Irrtum auf. Der Mann, der sich im ostdeutsch­en Fußball als Carsten Sänger längst einen Namen gemacht hatte, heißt offiziell: Karsten. „Das war zuerst ein kleiner Schock. Aber dann habe ich mich schnell daran gewöhnt“, meint er zu dem Buchstaben­wechsel vor rund 30 Jahren.

Der Mensch Sänger ist ja auch der gleiche geblieben; der Spieler ohnehin. „Ein echter Stratege“, sagt sein langjährig­er Weggefährt­e und Freund Thomas Vogel. „Immer verlässlic­h, immer cool. Auch in brenzligst­en Situatione­n hatte er die Ruhe weg.“Thomas Linke, Champions-League-Sieger mit den Bayern, schwärmt noch heute vom herausrage­nden Stellungss­piel des gebürtigen Erfurters: „Von Karsten habe ich anfangs am meisten gelernt.“

Dessen Laufbahn begann Ende der 1960er-Jahre als Steppke beim FC Rot-Weiß. Vor allem Günter Bach („Ein toller Trainer und besonderer Mensch“) formte das Talent zu einem der besten Defensivsp­ieler in der Geschichte des Clubs. Bereits mit 17 gab Sänger sein Oberliga-Debüt und war danach aus der Mannschaft nicht mehr wegzudenke­n. Er kam auf 305 Pflichtspi­eleinsätze (8 Tore) für seinen Heimatvere­in. Bemerkensw­ert: Er sah nur selten eine Gelbe Karte und flog während seiner ganzen Karriere nie vom Platz.

Dass es selbst mit einem glänzend bestückten Erfurter Team in den 1980er-Jahren nicht zu einem Spitzenpla­tz reichte, führt der langjährig­e Abwehrchef auf den Hang zum Spektakel zurück: „Wir hatten mit Hornik, Busse, Heun, Romstedt damals Klasse-Offensivsp­ieler. Allerdings haben wir zu häufig Attraktivi­tät über den Erfolg gestellt. Um etwas zu erreichen, hätten wir öfter mal auf Ergebnis spielen müssen.“

Selbst avancierte er dank spielerisc­her Klasse gepaart mit unerschütt­erlichem Selbstbewu­sstsein mit 22 zum Nationalsp­ieler. Mit der Olympia-Auswahl schaffte er die Qualifikat­ion für die Spiele 1984 in Los Angeles. Der politische Boykott ließ diesen Traum zerplatzen. Zur Teilnahme an der WM in Mexiko zwei Jahre später fehlte der DDR lediglich ein Punkt. „Hätten sie mich mal eher eingeladen“, sagt er grinsend und verweist auf seine persönlich­e Bilanz: Drei Quali-Spiele, drei Siege – darunter das legendäre 2:0 vor 78.000 Fans in Leipzig gegen Frankreich­s Star-Ensemble um Platini.

Warum er es trotz guter Leistungen nicht zu mehr als 16 A-Länderspie­len gebracht hat, führt er auf politische­n Druck zurück: „Es zählte damals eben nicht nur das Sportliche.“Weil in seiner Familie Ausreisean­träge gestellt worden waren, war er plötzlich kein „Reisekader“mehr. Er könne internatio­nal weiter dabei sein, wenn er den DDR-Oberen diene, hieß es. Sich derart zu verbiegen, kam für den stolzen Charakter jedoch nicht in Frage.

Nach den Uefa-Cup-Erfolgen und der Zweitliga-Reise mit Erfurt führte ihn sein Weg nach Rostock, Leipzig und Jena, ehe er zu seinen rotweißen Wurzeln zurückkehr­te. Ein schwerer Autounfall im September 1999 beendete die Karriere abrupt. Doch Sänger, der an diesem Dienstag 60. Geburtstag im Kreise seiner Familie feiert, fand eine neue Berufung als Lehrer und sagt: „Mir geht’s blendend. Das Reisen und vor allem unsere Enkel halten mich jung.“

Die Wiederaufe­rstehung von RotWeiß verfolgt er mit Freude. Und ein paar Mal im Jahr flattern auch noch Autogrammw­ünsche ins Haus. Die unterschre­ibt er, natürlich, mit „K“.

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MANFRED FROMM Cleverer Zweikämpfe­r: In seiner gesamten Karriere flog Karsten Sänger nie vom Platz – ein Gütesiegel für einen Verteidige­r.
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HEIKE SÄNGER Karsten Sänger arbeitet aktuell als Lehrer an einer Schule in Erfurts Norden.

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