Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Warum Greta nicht zur Klimakonferenz fährt
Scharm el-Scheich: Was Klimaprotest in einem Land bedeutet, in dem Meinungsäußerungen gefährlich werden können
Berlin. Greta Thunberg wird nicht da sein, in den stark klimatisierten Konferenzhallen in Scharm elScheich, die die Weltklimakonferenz beherbergen. Die weltbekannte Aktivistin hatte im Voraus abgewunken. Eine Möglichkeit zum „Greenwashing“und zum Betrug sei die Konferenz. Der Raum für die Zivilgesellschaft werde sehr begrenzt sein, sagte Thunberg. „Es wird schwierig sein für Aktivisten, sich Gehör zu verschaffen.“
Für Thunberg ist es eine fast zurückhaltende Formulierung. Denn die Klimakonferenz findet statt in einem Land, in dem Kritik und freie Meinungsäußerungen eine gefährliche Angelegenheit geworden sind. Für die Aktivistinnen und Aktivisten, die aus der ganzen Welt zur COP27 gereist sind, bedeutet der Konferenzort ein hartes Pflaster.
Menschenrechtsorganisationen zeichnen von der Situation in Ägypten unter der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi seit Jahren ein düsteres Bild: Rund 60.000 Regierungskritiker sind inhaftiert, Presse- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt. Aus den Gefängnissen gibt es Berichte von brutalen Haftbedingungen und Folter.
Beispielhaft für den Umgang mit unliebsamen Stimmen steht der Fall des Bloggers und Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah, der als eine der Führungsfiguren während der ägyptischen Revolution galt. Der 40-Jährige ist zum wiederholten Mal in Haft – und hat nach 200 Tagen Hungerstreik kurz vor Beginn der Konferenz angekündigt, auch kein Wasser mehr zu trinken. Bundeskanzler Olaf Scholz und andere westliche Regierungschefs haben sich bei al-Sisi für ihn eingesetzt. Fattahs Familie fürchtet, dass er zwangsernährt wird.
Vor der Konferenz wurden zahlreiche Menschen festgenommen
Medienberichten zufolge wurden in den Wochen und Monaten vor Beginn zahlreiche Menschen festgenommen im Zusammenhang mit einem angekündigten Protest gegen die Regierung. Ajit Rajagopal, ein Klimaaktivist aus Indien, wollte von Kairo nach Scharm el-Scheich laufen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Auch er und in der Folge sein Anwalt wurden vorübergehend festgesetzt und kamen nur nach internationaler Kritik frei.
Festnahmen wie diese seien „eine ganz klare Warnung – wer hier zu viel sagt, wer hier kritisiert, der muss
damit rechnen, festgenommen zu werden“, sagt Katharina Rall, Expertin für Umwelt und Menschenrechte bei Human Rights Watch. „Das ist eine Drohgebärde und eine Maßnahme, die Angst macht und die Leute davon abhält, auf die Straße zu gehen.“
Das könnte auch Auswirkungen auf den Erfolg des Treffens haben, fürchtet sie. „Wir sind besorgt, dass der Gipfel vor diesem Hintergrund nicht die Ergebnisse liefern kann, die er jetzt liefern muss“, sagt Rall. Bei den Klimakonferenzen brauche es eine starke Zivilgesellschaft, die ihre Meinung frei äußere und die Regierung zur Verantwortung ziehe. Ähnlich hatte das am Dienstag auch die deutsche Klimasonderbeauftragte Jennifer Morgan formuliert – ohne eine aktive Zivilgesellschaft kämen „keine ambitionierten Klimaabkommen zustande“.
Doch gerade das scheint im Badeort am Roten Meer nicht gewünscht, sagt Rall. „Da sehen wir in Ägypten leider schwarz – die letzten Tage haben gezeigt, dass die Regierung hier das nicht hören will.“
Offiziell ist Protest vor Ort zwar erlaubt – doch nur unter hohen Auflagen. Eine „Designierte Zone“für Klimaproteste hat die ägyptische Konferenzleitung abgesteckt. Wer per Demonstration Druck ausüben will auf Regierungen, kann das dort tun – vorausgesetzt, der Protest wird drei Tage im Voraus angemeldet, das Ziel des Protests genannt und die Gruppe, die ihn organisiert. Demonstrationen in der „Designierten
Zone“sind zwischen zehn und 17 Uhr vorgesehen. Aktivistinnen und Aktivisten verlegen sich deshalb auf kleinere Aktionen innerhalb der „Blue Zone“, wo die Verhandlungen stattfinden. Dort gelten die Regeln des Sekretariats der UNKlimarahmenkonvention. Als zahlreiche Regierungschefs vor Ort waren, waren keine Aktionen erlaubt. In den Tagen danach müssen sie angemeldet werden. Wer gegen Regeln verstößt, riskiere den Rauswurf.
Die Bedingungen für Protest sind nicht das einzige Problem, sagt Romie Niedermayer von der deutschen Jugendorganisation Klimadelegation. „Es gibt für verschiedene Zivilgesellschaften verschieden viel Raum.“Die Vergabe der Akkreditierungen habe „koloniale Strukturen“,
sagt sie. „Es ist für Deutsche viel einfacher, ein Badge zu bekommen, als für Menschen aus den Län- dern, die am härtesten von Klima- folgen getroffen werden – das ist ein großes Problem.“
Schon im Vorfeld der Konferenz hatten Aktivistinnen und Aktivis- ten aus ärmeren Ländern hohe Hür- den beklagt. Neben der Vergabe von Visa und Akkreditierungen stellen auch die extremen Hotelpreise ein Problem dar. Gerade weil es für zi- vilgeschäftliche Stimmen schwer ist, gehört zu werden, sei es wichtig, vor Ort zu sein, wenn man könne, sagt Annika Kruse. Sie ist Teil der Gruppe von Fridays for Future, die sich entschieden habe, nach Scharm el-Scheich zu fahren. „Wir wissen, dass wir hier Privilegien ha- ben, dass wir hier mehr machen können als andere, weil es uns schützt, dass wir aus Deutschland kommen“, so Kruse. Mehr machen meint Aktionen wie die vom Dienstag, als FFF-Aktivistinnen und -Aktivisten sich den Protest gegen neue Gasfelder kamerawirksam auf die Handflächen schrieben. Still, ohne Schilder. Schon das testet Grenzen. Ärger hätten sie bekommen, sagt Kruse. „Aber es war nicht gefährlich.“Die Sicherheitskräfte der UN in der „Blauen Zone“sind nicht die ägyptischen draußen vor den Türen.