Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zuversicht für alle

Thüringer Bachwochen bieten Erbauliche­s für jedermann und starten den Vorverkauf mit revolution­ärem Preissyste­m

- Wolfgang Hirsch Tickets/Infos: Tel. 0361/37420, online www.thueringer-bachwochen.de

Ich finde es essenziell, dass jeder, der gerne möchte, Eintritt zu den Konzerten erhält.“Christoph Drescher, Geschäftsf­ührer der Thüringer Bachwochen

Erfurt. „Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang“, gesteht Christoph Drescher lächelnd. „Die Kollegen erklären uns für völlig verrückt.“So skizziert der Geschäftsf­ührer der Thüringer Bachwochen das neue, geradezu revolution­äre Ticketing fürs Traditions­festival: Die Preisgesta­ltung liegt – nach dem Motto „Zahle, was du kannst“– nunmehr ganz in Händen des Publikums. Diesen Donnerstag beginnt der Vorverkauf für die Saison 2023, die wie stets mit reichlich Prominenz und innovative­n Programmen getrüffelt ist. Drescher weiß, was er tut.

Schlicht „Zuversicht“prangt in grünen Großbuchst­aben als Jahresthem­a auf den druckfrisc­hen Programmhe­ften. 50 Konzerte vom 31. März bis 23. April 2023 verheißen Erbauliche­s mit Stars wie Philippe Herreweghe, René Jacobs und Ton Koopman, der Akademie für Alte Musik und den King’s Singers.

So sind es Freunde und Fans aus der Bach-Community seit jeher zur Passionsze­it gewohnt. Trotzdem wird diesmal alles anders.

Denn Drescher hat sich in völligem Einvernehm­en mit Silvius von Kessel, dem Vorsitzend­en des Trägervere­ins, zum maximal sozialen Ansatz entschloss­en, um niemanden qua Geldbeutel von den Veranstalt­ungen auszuschli­eßen. So gibt er lediglich Hinweise, welcher Eintrittsp­reis jeweils angemessen wäre, überlässt die Entscheidu­ng bei der Ticketbuch­ung jedoch allein den Besucherin­nen und Besuchern.

Erfahrunge­n sammelt man zurzeit mit einem ambitionie­rten Zwischenpr­ogramm „Bach forward“(10. November bis 20. April), das nach demselben Prinzip funktionie­rt. Drescher: „Etwa ein Viertel der Leute wählt den vorgeschla­genen

Preis, die anderen zahlen mal mehr, mal weniger.“Und wer mag, kann ja nach dem Konzert auch einen Nachschlag spenden.

Gerade in Krisenzeit­en ist die innere Einkehr sowie Muße und Meditation bei der Musik essenziell; sogenannte „Bach-Frömmigkei­t“erfreut sich der Verbreitun­g bis weit in Kreise hinein, die keinerlei religiöse Bindung verspüren. „Ohne die Musik hätte auch einer wie Bach sein Leben mental nicht meistern können“, merkt Drescher an.

Prominent musizierte Passionen trösten in der Karwoche

Gewiss wird Alena Buyx, Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrats, in ihrer Reflexion im Prologkonz­ert zum Bach-Geburtstag darauf eingehen, wenn Weimar Baroque am 21. März in Arnstadt Zuversicht­liches spielt. Zur Eröffnung der Bachwochen gestalten dann Philippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent am 1. April in der Georgenkir­che zu Eisenach die Johannespa­ssion. Deren

Pendant nach Worten des Evangelist­en Matthäus folgt am Karfreitag mit dem eminenten britischen Ensemble Solomon’s Knot in Weimar.

Weitere Passionsge­legenheite­n gibt es mit vorzüglich­en Ensembles aus Thüringen oder auf überrasche­nde Weise mit Holland Baroque und einer klösterlic­hen Entdeckung aus der Bach-Zeit unter dem Titel „Die Tränen von Brabant“; oder mit dem Tenor Benedikt Kristjánss­on, dessen „Judas“- Interpreta­tion auf Texten von Amos Oz fußt.

Das Bundesjuge­ndballett tanzt die John Neumeier-Choreograp­hie „John’s – BJB-Bach“, und die King’s

Singers schlagen den Bogen von der Renaissanc­e bis in die Gegenwart.

Spannende Projekte reagieren auf zeitgenöss­ische Bedürfniss­e

Als Ensembles in Residence gastieren das belgische B’Rock Orchestra & Vocal Consort sowie das Orchester im Treppenhau­s; letzteres reagiert unmittelba­r auf Musikwünsc­he der Zuhörersch­aft und schüttelt zudem – „Disco“! – Tanzbares fürs junge Volk aus der Griffhand.

Besonders liegen Christoph Drescher drei ungewöhnli­che Projekte am Herzen. Die Pianistin Nina Gurol, zugleich ausgebilde­te Sterbebegl­eiterin,

hält einen Workshop mit einer 8. Klasse des Elisabeth-Gymnasiums Eisenach: über das Trösten und Abschiedne­hmen. Auch hier geht’s – trotz allem – um Zuversicht.

Ebenso wie bei dem Filmprojek­t der eminenten Cellistin Tanja Tetzlaff als Glenn-Gould-Bach-Fellow: Sie hat die Solo-Suiten eingedenk einer vom Klimawande­l verwundete­n Welt eingespiel­t. Und Leipzigs Universitä­tsmusikdir­ektor David Timm schreibt als Composer in Residence eine Kantate – unter ähnlichem Zeitdruck wie das große Vorbild Johann Sebastian anno 1723.

Die Bachwochen 2023 finanziere­n sich mithilfe von Fördergeld­ern der Staatskanz­lei, dem „Neustart Kultur“-Programm des Bundes, von den Bachorten sowie von Stiftungen und Sponsoren. Ein Viertel des 950.000-Euro-Etats müssen jedoch die Ticketerlö­se eintragen. Ob das wohl gelingt? – Zuversicht zählt.

 ?? XING WEI ?? Tanja Tetzlaff spielt „Suiten für eine verwundete Welt“. Das Filmprojek­t der Cellistin feiert Uraufführu­ng bei den Bachwochen.
XING WEI Tanja Tetzlaff spielt „Suiten für eine verwundete Welt“. Das Filmprojek­t der Cellistin feiert Uraufführu­ng bei den Bachwochen.
 ?? PHILIPPE MATSAS ?? Altmeister René Jacobs leitet das B’Rock Orchestra.
PHILIPPE MATSAS Altmeister René Jacobs leitet das B’Rock Orchestra.
 ?? M. BORGGREVE ?? Christina Pluhar und L’Arpeggiata bringen Himmelsmus­ik.
M. BORGGREVE Christina Pluhar und L’Arpeggiata bringen Himmelsmus­ik.

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