Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Wer ich bin – das sagst nicht du mir, sondern ich dir“
„Queeres Zentrum“in der Johannesstraße bietet seit einem Jahr Beratung und Unterstützung
Erfurt. Für viele Menschen sind es Selbstverständlichkeiten: Sie nennen ihren Namen und werden anschließend auch mit diesem angesprochen. Sie erzählen von ihrem Partner oder ihrer Partnerin und müssen sich nicht für ihre Sexualität rechtfertigen.
Diese Selbstverständlichkeiten gelten jedoch immer noch nicht für queere Menschen, also für Menschen, die nicht heterosexuell sind oder sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Ihnen bietet das „Queere Zentrum“in Erfurt seit nunmehr einem Jahr einen Raum, in dem sie sich niemandem erklären muss.
Im Oktober 2021 öffnete das Zentrum nach vier Jahre langer Planung in der Johannesstraße seine Räume, finanziert von der Antidiskriminierungsstelle der Thüringer Staatskanzlei und der Stadt Erfurt. Zwischen blauen Wänden, roten Stühlen, gelben Sesseln und grünen Schränken erhalten queere Personen
psychosoziale Beratung oder können bei Selbsthilfegruppen „Peers“– Gleichgesinnte – finden. Auch Workshops und Fortbildungen für Schüler und Erwachsene werden vom Zentrum angeboten.
Anlaufstelle für Betroffene, Eltern und auch Lehrkräfte
Marina Hahn, Zuständige für die Koordination und Verwaltung, erklärt, mit welchen Anliegen die Besucher ins „Queere Zentrum“kommen: „Einige möchten einfach psychische Unterstützung auf ihrem Weg, andere haben Fachfragen wie ‚Wie mache ich eine Personenstandsänderung?‘ oder ‚Wie bekomme ich eine geschlechtsangleichende OP?‘“Auch Eltern würden mit ihren Kindern kommen und Lehrkräfte würden Antworten suchen auf Rechtsfragen wie „Darf ich für das Zeugnis den neuen Namen des Kindes verwenden?“. Der Zulauf sei von Beginn an groß gewesen, so Hahn. „Wir müssen kaum Werbung machen. Die Leute suchen und finden uns einfach.“Viele würden erzählen, sie hätten zuvor jahrelang nach einer Beratungsstelle gesucht, um so einer gesellschaftlichen Isolation zu entfliehen.
Luna Karsubke, Projektkoordinatorin des Zentrums, sagt, auch in Erfurt würden queere Menschen bestimmte Orte zu bestimmten Uhrzeiten nicht mehr betreten: „Viele fahren abends keine Straßenbahn oder gehen mit den Dunkelheitsgrenzen einfach nicht mehr raus.“Besonders in den Randgebieten, im Erfurter Südosten und Norden, müsse man vorsichtig sein. Mit all seinen Angeboten versuche das Zentrum laut Hahn, für ganz Thüringen eine große Leerstelle zu füllen. „Wir haben jedoch nur sechs hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teilzeitstellen. Thüringen gänzlich abzudecken, ist im Moment utopisch.“Dabei würden vom Zentrum organisierte Veranstaltungen in Städten wie Gotha zeigen, wie groß der Redebedarf besonders im ländlichen Raum sei.
Der Queerfeindlichkeit entkommen – dabei will das Zentrum helfen. „Das hier ist ein Ort, an dem einige zum ersten Mal einen anderen
Namen verwenden. Das ist eine große Sache“, meint Hahn. Ihrer Meinung nach wäre es hilfreich, wenn Menschen grundsätzlich aufhörten, von ihren eigenen Erfahrungen auf die der anderen zu schließen. „Bei uns ist der Ansatz: Jede Person ist Expertin oder Experte für sich selbst. Wer ich bin – das sagst nicht du mir, sondern ich dir.“
Kontakt zum QZE
Das Team des Queeren Zentrums Erfurt ist montags bis donnerstags, von 10 bis 15 Uhr im Büro erreichbar. Termine sind auch nach Vereinbarung flexibel möglich. Das Büro liegt in der in der Johannesstraße 52 an der Ecke zur Waldenstraße.
Informationen und Termine gibt es unter Telefon: 0361/213 468 40 oder per E-Mail an: