Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Beschützter Schnee unter Sägespänen
Dirk Pille glaubt an Wintersport in Thüringen, nur anders
Als Hans Renner vor fast 70 Jahren die Skisprungmatten erfand, da dachte der Thüringer sicher noch nicht an den Klimawandel. Nach dem schlechten Abschneiden der DDR-Skispringer bei der WM 1954 in Falun, suchte Nationaltrainer Renner nach Trainingsmöglichkeiten in der schneelosen Zeit. Auf die revolutionäre Idee sei der ZellaMehliser gekommen, als er vor seiner Haustür auf dem nassen Fußabtreter aus Plasteborsten ausrutschte, berichtete später seine Tochter. Im August 1954 fand das erste Springen auf den modernen Matten einer Firma Elaston aus Friedrichroda auf dem Schwarzen Hügel bei Zella-Mehlis statt.
Noch heute sorgt Renners Erfindung für Skispringen im Sommer – und vielleicht auch bald im Winter, wenn es zu warm wird oder nicht mehr genug schneit. Im Weltcup wurde Anfahren auf der Eisspur und Landen auf Matten jetzt erstmals ausprobiert. Schnee hätte es bei zehn Grad und Regen Anfang November im polnischen Wisla auch mit Kanonen nicht gegeben. Allerdings benötigen die SchanzenHelden deutlich weniger Weiß für ihre Bakken als Biathleten oder SkiLangläufer für die Loipen. Skispringer müssen also nicht wirklich zittern, wenn es wärmer wird.
In Oberhof, der übrigens nach Erfurt und Weimar meistbesuchten Stadt Thüringens, denkt man nicht erst seit gestern über die Folgen der Erderwärmung für den dort oben so wichtigen Wintersport nach.
Ich fand es in Oberhof eigentlich immer zu kalt. Als Kind hatte mein Vater in den 1970er-Jahren mal eine FDGB-Urlaubswoche im Panorama-Hotel ergattert. Meine Mutter meinte, wir nehmen doch die Skijacken mit. Ich fand das merkwürdig.
Es war ja Juli. Doch auf der Höh’ wurden wir dann von knapp zehn Grad, kaltem Wind und Regenschauern erwischt. Später als Journalist folgten zahllose stimmungsvolle Wintersport-Wettbewerbe bei Schnee, Regen oder Nebel. Sonne schien eher selten.
Doch die Vergangenheit spielt für die Zukunft keine Rolle. Zumindest was das Wetter angeht. Oberhofs Bürgermeister Schulz rechnet in den nächsten Jahrzehnten mit 20 Schneetagen weniger. Zwar bleiben dann immer noch 80 übrig. Aber nicht am Stück. Deshalb bereitet sich das größte Wintersportzentrum der Welt auf den Klimawandel vor. Das kostet Millionen. Die Alternative wäre, Sport und Tourismus im Winter aufzugeben. Doch so weit sind wir noch nicht.
Aktuell gibt es noch Schnee. In den vergangenen zehn Jahren schwächelte der Winter auf dem Rennsteig nur 2014 und 2020. Sonst lag Oberhofs durchschnittliche Schneehöhe zwischen 40 und 80 Zentimetern (2013/2021). Doch das kalte Weiß ist zum beschützten Gut geworden. Es wird nicht wieder vorkommen, dass siebzig Lkw-Fuhren gecrushtes Eis aus dem fernen Bremerhaven geholt werden, um einen Biathlon-Weltcup zu retten. Inzwischen liegt der Schnee des Vorwinters unter dicken Planen und einem halben Meter Sägespäne. Da taute auch in diesem heißen Sommer nicht mehr als 30 Prozent weg. Sogar eine eigene Schneefabrik hat man in Oberhof, die bei plus 20 Grad noch produzieren kann.
Die Energie kommt dabei von der Abwärme der Rodelbahn und der Skihalle, bald auch von den Dächern, die mit Photovoltaik-Platten Sonnenwärme einfangen. Strom soll auch die Zella-Mehliser Restabfall-Fabrik aus Rapsöl und Methanol liefern. Überschüssige Energie der Sportstätten wird künftig sogar ganz Oberhof mit Elektrizität versorgen. Ideen bestehen reichlich, damit der Wintersport in Oberhof bald klimaneutral ablaufen kann.
Und wenn es irgendwann wirklich nicht mehr schneit, gibt es Rollerski, Sommerbobs und Hans Renners großartige Skisprungmatten.