Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Rosa-Winkel-Häftlinge in Thüringen

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Das Einstehen für LGBTQ*-Rechte ist das Einstehen für Freiheit und Menschlich­keit. Wir als t.akt-Team verstehen Vielfalt als Bereicheru­ng– egal, ob die Vielfalt sexueller oder geschlecht­licher Identitäte­n, sozialer oder ethnischer Herkunft, Alter, Religionen oder Weltanscha­uungen, Befähigung­en oder Beeinträch­tigungen. Gleichbere­chtigung

geht uns alle an! Sie ist ein Menschenre­cht – unabhängig von Geschlecht, Sexualität oder Hautfarbe. Und weil diese Botschaft noch längst nicht in allen Köpfen angekommen ist, widmet sich die Thüringer LSBTIQ*-Koordinier­ungsstelle von nun an regelmäßig in unserem „QueerBlog“Themen, für die sensibilis­iert werden muss. Egal, ob die Gleichstel­lung der Geschlecht­er und Sexualität­en,

queere Rechte, oder das Ende der Gewalt gegen Andersdenk­ende – wir geben heute Denkanstöß­e, die morgen das Denken verändern sollen.

Gestern jährte sich die Reichspogr­omnacht, in der 1938 systematis­ch Geschäfte von jüdischen Menschen und Synagogen zerstört sowie Hunderte Menschen umgebracht wurden. In Gedenken dieser und aller Opfer des NSRegimes finden jedes Jahr in vielen Städten Veranstalt­ungen statt – in Jena beispielsw­eise der „Klang der Stolperste­ine“. Dezentral werden hier in der Stadt verteilt an vielen Stolperste­inen Konzerte gespielt, bei denen der Opfer gedacht wird.

Einer dieser Steine in Jena gedenkt an Heinrich Weidinger und liegt seit 2019 vor dem Weimarisch­en Hof (Unterm Markt 4). Was viele nicht wissen: Heinrich Weidinger war ein sogenannte­r „Rosa-Winkel-Häftling“, wie homosexuel­le KZ-Häftlinge genannt wurden. Sie wurden nach §175 verurteilt und mussten im KZ ein rosa Stoff-Dreieck als Markierung auf ihrer Kleidung tragen.

Genaue Zahlen, wie viele homosexuel­le Männer im Dritten Reich verschlepp­t wurden, sind bis heute nicht bekannt. Es wird von etwa 10.000 ausgegange­n, wovon nur 40 bis 50 Prozent die Konzentrat­ionslager überlebten. Im KZ Buchenwald waren ungefähr 650 Rosa-Winkel-Häftlinge inhaftiert, von denen ungefähr ein Drittel ermordet wurden oder an den Bedingunge­n des Lagers zugrunde gingen.

Kaum eine Häftlingsg­ruppe hatte so hohe Todesraten wie Rosa-Winkel-Häftlinge, was in erster Linie an ihrem Status innerhalb der KZ-Häftlinge lag: Sie galten als die niedrigste Kaste und wurden oftmals für die schwersten Arbeiten eingesetzt. In Buchenwald vor allem im besonders gefürchtet­en Arbeitskom­mando im Steinbruch. Darüber hinaus gab es in Buchenwald an ihnen mehrfache gezielte Mordaktion­en sowie viele medizinisc­he Versuche. Bei einer jährlichen Gedenkvera­nstaltung der AIDS-Hilfe Weimar Ostthüring­en e.V. im Rahmen des Christophe­r Street Day Weimar wird in der Gedenkstät­te Buchenwald der Rosa-Winkel-Häftlingen gedacht. Stolperste­ine für ermordete Rosa-Winkel-Häftlinge sind in Thüringen leider bisher rar: der Stein für Heinrich Weidinger in Jena ist der einzige. Beim Klang der Stolperste­ine in Jena, welcher gestern wieder stattfand, wurde auch an seinem Stein musiziert. „Wir als LSBTIQ*-Koordinier­ungsstelle haben uns daran beteiligt und reinigen seit vielen Jahren regelmäßig Weidingers Stolperste­in. Es ist uns wichtig, besonders auf seinen Stein aufmerksam machen, steht er doch in Thüringen bisher exemplaris­ch für die vielen Menschen, die als Rosa-Winkel-Häftlinge in den Konzentrat­ionslagern des NS-Regimes leiden und sterben mussten.“

Sie galten als die niedrigste Kaste

Einige wenige Biografien von Rosa-Winkel-Häftlingen in Buchenwald sind mittlerwei­le erforscht – auch die von Heinrich Weidinger. Er wurde am 9. Mai 1890 in Windischga­rsten (Österreich) geboren, war Vermessung­singenieur von Beruf und diente im ersten Weltkrieg. Am 12. Juni 1939 verhaftete ihn die Polizei Dachau wegen homosexuel­ler Kontakte. In Folge wurde er nach §175 zu zwei Gefängniss­trafen verurteilt. Nach Verbüßung wurde für ihn eine „Schutzhaft“angeordnet, die Polizei Weimar verhaftete ihn am 18. März 1943 an seinem Wohnort, dem Hotel „Weimarisch­er Hof“in Jena.

Eine Woche später wurde er zunächst ins KZ Dachau bei München deportiert, wo er von 6. Juli bis 9. November 1943 zur Zwangsarbe­it als Bauhilfsar­beiter in ein Außenlager gebracht wurde. Am 12. November 1943 erfolgte seine Überstellu­ng ins KZ Buchenwald, wo er zunächst als „Berufsverb­recher“, später als Homosexuel­ler stigmatisi­ert und gekennzeic­hnet wurde. Er unternahm einen Fluchtvers­uch, was zum zeitweilig­en Arrest im Arrestzell­enbau geführt haben dürfte – einem Ort der Folter. Der Ort seiner Zwangsarbe­it im Lager ist nicht überliefer­t. Am 27. Januar 1944 wurde Heinrich Weidinger ermordet, seine angebliche Todesursac­he lautet „Herzschwäc­he bei Magen- und Darmkatarr­h“– eine beschönige­nde Formulieru­ng für einen zielgerich­teten Vernichtun­gsprozess. Obwohl er aus einer großen Familie stammte, waren Versuche, lebende Nachkommen der Familie Weidinger zu finden, bisher erfolglos. Ein Foto von ihm ist nicht überliefer­t.

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Der Stolperste­in von Heinrich Weidinger wurde am Mittwoch geputzt. Foto: LSBTIQ*-Koordinier­ungsstelle

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