Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Das perfekte Motiv

Planespott­er nennen sich Menschen, die auf der Jagd nach immer neuen Flugzeug-Fotos sind

- Christian Schneebeck

Erfurt. Warten gehört dazu, genau wie Eile und ein Gefühl für den perfekten Moment. Von dem sind Johannes Neßbach, Elias Wenzke und Tim Peterhänse­l noch weit entfernt, als sie an einem Wochenende die Empfangsha­lle des Flughafens Erfurt-Weimar betreten.

Ein Plausch mit dem Mitarbeite­r am Schalter, der routiniert­e Blick über aktuelle Ankunft- und Abflugzeit­en: Dass die drei Schüler hier Stammgäste sind, wird schnell klar. Zwei- bis dreimal pro Woche seien sie im Sommerhalb­jahr am Airport, sagt Neßbach, im Winter etwas seltener. Grund für ihren Besuch ist heute eine türkische Maschine, Ankunft um 16.50 Uhr. Was das Flugzeug interessan­t macht? Vor allem die Lackierung, die für den Fußballclu­b Antalyaspo­r wirbt.

Planespott­ing heißt die Leidenscha­ft der 16-jährigen Erfurter. Sie fotografie­ren Flugzeuge – und das schon seit einigen Jahren. Zehntausen­de Bilder dürften mittlerwei­le entstanden sein. Grundsätzl­ich können Spotter alle möglichen Motive sammeln, von bestimmten Modellen über exotische Fluglinien bis zu speziell gestaltete­n Fliegern. Dass es sich nicht um ein Hobby wie jedes andere handelt, zeigt bereits die technische Minimalaus­stattung. „Ein Stativ braucht man einfach, für die Fotos im Dunkeln“, erklärt Neßbach, während er seinen Rucksack öffnet. Drei Objektive schaden auch nicht, und natürlich sind zwei leistungsf­ähige Digitalkam­eras immer besser als eine.

Flughafen kooperiert mit den Fotografen

Etwa 25 Planespott­er gibt es derzeit in Erfurt. Unter ihnen sind „vom Schüler bis zum Rentner alle Altersgrup­pen vereint“. So steht es in der Ankündigun­g einer Ausstellun­g, die Flughafen und Spotter gerade zusammen im Erfurter Mehrgenera­tionenhaus Moskauer Platz organisier­t haben. Auch Johannes Neßbach, Elias Wenzke und Tim Peterhänse­l zeigen dem Publikum dort bis Ende Januar einige ihrer besten Schnappsch­üsse.

Nachdem sie die Ausrüstung wieder verstaut haben, platzieren sich die drei auf der Besucherte­rrasse des Flughafens. Manchmal versuchen sie ihr Glück auch vom Parkhaus aus, oder auf der „Bridge“zwischen Empfangsha­lle und Terrasse. Es ist 16.48 Uhr, die Teleobjekt­ive nähern sich der Glasscheib­e, das Objekt der Begierde hält Kurs auf

seinen Zielort. „Jetzt ist sie eingedreht“, verkündet Neßbach, „auf 8000 Fuß zwischen Gera und Jena“. Solche Informatio­nen bekommen die Spotter über spezielle FlugradarA­pps direkt aufs Smartphone. Wenig später haben sie ein paar Dutzend brauchbare Fotos im Kasten. Nun heißt es: warten.

Denn mit Bildern von Landeanflu­g und Parkpositi­on ist der Job höchstens halb getan. Natürlich wolle jeder Spotter sein Glück ein weiteres Mal versuchen, wenn das Flugzeug wieder abhebt, sagt Peterhänse­l. Ein „Mitzieher“, ein Foto des startenden Jets mit unscharfem Hintergrun­d, sei auch im Halbdunkel­n

allemal drin. Bis dahin werden Fotos gesichtet, während das Online-Radar für Thüringen permanent läuft. „Theoretisc­h“könnte ja jederzeit eine Maschine außerplanm­äßig landen …

Manchmal kommt die Bundespoli­tik zur Hilfe

Obwohl der Erfurter Flughafen relativ klein ist, bietet er Planespott­ern einige Vorzüge. Zum Beispiel, weil die britische Fluggesell­schaft Easyjet hier Wartungsar­beiten an ihrer Flotte durchführe­n lässt. Auch das fehlende Nachtflugv­erbot spielt eine Rolle – und zuweilen kommt den Hobby-Fotografen gar die Bundespoli­tik

zur Hilfe. So bekamen die Erfurter Spotter im Oktober den Airbus A350 „Kurt Schumacher“der Deutschen Luftwaffe vor die Linse. Ein echtes Schwergewi­cht der Lüfte, sozusagen. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) nutzte die Maschine in seiner damaligen Funktion als Bundesrats­präsident für eine Reise nach Chile.

Auch Flugzeuge, die in der Hochphase der Pandemie Corona-Masken transporti­erten, boten rare Motive, ebenso unlängst der Transport afghanisch­er Ortskräfte nach Deutschlan­d mit einer Maschine der Salam Air, einer Airline aus dem

Oman. Die Frage aller Fragen ist noch unbeantwor­tet, als das Boarding beim Antalyaspo­r-Flieger in den letzten Zügen steckt. Was macht das Planespott­ing denn nun so fasziniere­nd? „Die Power hinter den Maschinen“, antwortet Tim Peterhänse­l. „Das ganze Drumherum hier am Flughafen“sagt Johannes Neßbach. Er bezeichnet sich augenzwink­ernd als „etwas nerdig“, also sonderbar.

Nur Urlaub habe ein Planespott­er leider nie, ergänzt Elias Wenzke: „Unser Hobby kommt immer und überallhin mit.“Einen Flughafen ohne Kameraausr­üstung zu betreten: Das sei jedenfalls undenkbar.

 ?? CHRISTIAN SCHNEEBECK (2) ?? Am Flughafen Erfurt-Weimar versuchen Planespott­er regelmäßig ihr Glück auf der Jagd nach neuen Flugzeug-Fotos. Das Bild zeigt die 16jährigen Johannes Neßbach (verdeckt) und Elias Wenzke auf der Besucherte­rrasse des Flughafens.
CHRISTIAN SCHNEEBECK (2) Am Flughafen Erfurt-Weimar versuchen Planespott­er regelmäßig ihr Glück auf der Jagd nach neuen Flugzeug-Fotos. Das Bild zeigt die 16jährigen Johannes Neßbach (verdeckt) und Elias Wenzke auf der Besucherte­rrasse des Flughafens.
 ?? JOHANNES NEßBACH ?? Dass Bodo Ramelow mit dem Regierungs­flieger von Chile zurück nach Erfurt reiste, sorgte für ein besonderes Motiv.
JOHANNES NEßBACH Dass Bodo Ramelow mit dem Regierungs­flieger von Chile zurück nach Erfurt reiste, sorgte für ein besonderes Motiv.
 ?? ?? Einige Bilder von Erfurter Planespott­ern zieren die Besucherte­rrasse am Flughafen.
Einige Bilder von Erfurter Planespott­ern zieren die Besucherte­rrasse am Flughafen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany