Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Das perfekte Motiv
Planespotter nennen sich Menschen, die auf der Jagd nach immer neuen Flugzeug-Fotos sind
Erfurt. Warten gehört dazu, genau wie Eile und ein Gefühl für den perfekten Moment. Von dem sind Johannes Neßbach, Elias Wenzke und Tim Peterhänsel noch weit entfernt, als sie an einem Wochenende die Empfangshalle des Flughafens Erfurt-Weimar betreten.
Ein Plausch mit dem Mitarbeiter am Schalter, der routinierte Blick über aktuelle Ankunft- und Abflugzeiten: Dass die drei Schüler hier Stammgäste sind, wird schnell klar. Zwei- bis dreimal pro Woche seien sie im Sommerhalbjahr am Airport, sagt Neßbach, im Winter etwas seltener. Grund für ihren Besuch ist heute eine türkische Maschine, Ankunft um 16.50 Uhr. Was das Flugzeug interessant macht? Vor allem die Lackierung, die für den Fußballclub Antalyaspor wirbt.
Planespotting heißt die Leidenschaft der 16-jährigen Erfurter. Sie fotografieren Flugzeuge – und das schon seit einigen Jahren. Zehntausende Bilder dürften mittlerweile entstanden sein. Grundsätzlich können Spotter alle möglichen Motive sammeln, von bestimmten Modellen über exotische Fluglinien bis zu speziell gestalteten Fliegern. Dass es sich nicht um ein Hobby wie jedes andere handelt, zeigt bereits die technische Minimalausstattung. „Ein Stativ braucht man einfach, für die Fotos im Dunkeln“, erklärt Neßbach, während er seinen Rucksack öffnet. Drei Objektive schaden auch nicht, und natürlich sind zwei leistungsfähige Digitalkameras immer besser als eine.
Flughafen kooperiert mit den Fotografen
Etwa 25 Planespotter gibt es derzeit in Erfurt. Unter ihnen sind „vom Schüler bis zum Rentner alle Altersgruppen vereint“. So steht es in der Ankündigung einer Ausstellung, die Flughafen und Spotter gerade zusammen im Erfurter Mehrgenerationenhaus Moskauer Platz organisiert haben. Auch Johannes Neßbach, Elias Wenzke und Tim Peterhänsel zeigen dem Publikum dort bis Ende Januar einige ihrer besten Schnappschüsse.
Nachdem sie die Ausrüstung wieder verstaut haben, platzieren sich die drei auf der Besucherterrasse des Flughafens. Manchmal versuchen sie ihr Glück auch vom Parkhaus aus, oder auf der „Bridge“zwischen Empfangshalle und Terrasse. Es ist 16.48 Uhr, die Teleobjektive nähern sich der Glasscheibe, das Objekt der Begierde hält Kurs auf
seinen Zielort. „Jetzt ist sie eingedreht“, verkündet Neßbach, „auf 8000 Fuß zwischen Gera und Jena“. Solche Informationen bekommen die Spotter über spezielle FlugradarApps direkt aufs Smartphone. Wenig später haben sie ein paar Dutzend brauchbare Fotos im Kasten. Nun heißt es: warten.
Denn mit Bildern von Landeanflug und Parkposition ist der Job höchstens halb getan. Natürlich wolle jeder Spotter sein Glück ein weiteres Mal versuchen, wenn das Flugzeug wieder abhebt, sagt Peterhänsel. Ein „Mitzieher“, ein Foto des startenden Jets mit unscharfem Hintergrund, sei auch im Halbdunkeln
allemal drin. Bis dahin werden Fotos gesichtet, während das Online-Radar für Thüringen permanent läuft. „Theoretisch“könnte ja jederzeit eine Maschine außerplanmäßig landen …
Manchmal kommt die Bundespolitik zur Hilfe
Obwohl der Erfurter Flughafen relativ klein ist, bietet er Planespottern einige Vorzüge. Zum Beispiel, weil die britische Fluggesellschaft Easyjet hier Wartungsarbeiten an ihrer Flotte durchführen lässt. Auch das fehlende Nachtflugverbot spielt eine Rolle – und zuweilen kommt den Hobby-Fotografen gar die Bundespolitik
zur Hilfe. So bekamen die Erfurter Spotter im Oktober den Airbus A350 „Kurt Schumacher“der Deutschen Luftwaffe vor die Linse. Ein echtes Schwergewicht der Lüfte, sozusagen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nutzte die Maschine in seiner damaligen Funktion als Bundesratspräsident für eine Reise nach Chile.
Auch Flugzeuge, die in der Hochphase der Pandemie Corona-Masken transportierten, boten rare Motive, ebenso unlängst der Transport afghanischer Ortskräfte nach Deutschland mit einer Maschine der Salam Air, einer Airline aus dem
Oman. Die Frage aller Fragen ist noch unbeantwortet, als das Boarding beim Antalyaspor-Flieger in den letzten Zügen steckt. Was macht das Planespotting denn nun so faszinierend? „Die Power hinter den Maschinen“, antwortet Tim Peterhänsel. „Das ganze Drumherum hier am Flughafen“sagt Johannes Neßbach. Er bezeichnet sich augenzwinkernd als „etwas nerdig“, also sonderbar.
Nur Urlaub habe ein Planespotter leider nie, ergänzt Elias Wenzke: „Unser Hobby kommt immer und überallhin mit.“Einen Flughafen ohne Kameraausrüstung zu betreten: Das sei jedenfalls undenkbar.