Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Jamal lächelte, als er das Konsulat betrat“

Hatice Cengiz, die Witwe des getöteten Journalist­en Jamal Khashoggi, warnt Deutschlan­d vor Deals mit Saudi-Arabien

- Diana Zinkler

Berlin. Hatice Cengiz hat Unglaublic­hes erlebt. Die türkische Journalist­in ist die Witwe des „Washington Post“-Kolumniste­n Jamal Khashoggi, der am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet wurde. Bis in die Abendstund­en wartete sie vor dem Konsulat – ohne zu ahnen, was drinnen geschah. Seit diesem Tag setzt sich Hatice Cengiz für die Aufklärung des Falls ein und kämpft dafür, dass diejenigen zur Rechenscha­ft gezogen werden, die den brutalen Mord an ihrem Verlobten zu verantwort­en haben. Beim Bundesbezi­rksgericht in Washington DC hat Hatice Cengiz zusammen mit der Organisati­on „Democracy for the Arab World Now“(Dawn) eine Zivilklage gegen den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman eingereich­t. Auf Einladung der HelmutSchm­idt-Stiftung ist sie nach Deutschlan­d gereist, spricht unter anderem mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck. Sie warnt vor jeder Art von Abhängigke­it von Saudi-Arabien.

Frau Cengiz, Ihr Verlobter Jamal Kashoggi wollte am 2. Oktober 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul Dokumente abholen, um Sie heiraten zu können. Hatten er oder Sie Befürchtun­gen, dass ihm dort etwas passieren könnte?

Hatice Cengiz: Weder er noch ich hatten irgendeine Vorahnung. Es war ja nicht sein erster Besuch im Konsulat, wir waren drei Tage zuvor schon dort. Außerdem hatte mir Jamal erzählt, dass die Stimmung beim ersten Mal gut war, dass er sehr warmherzig empfangen wurde. Er fühlte sich glücklich und entspannt, im Vorfeld sagte er sogar: dass das saudi-arabische Konsulat sich für ihn wie ein Besuch in der Heimat anfühlen würde, die er verlassen musste. Jamal lächelte, als er das Konsulat betrat. Es ging ja um die Papiere, die uns unsere Hochzeit ermögliche­n sollten.

Sie standen vor dem saudi-arabischen Konsulat in Istanbul, als drinnen Ihr Verlobter ermordet wurde. Wann haben Sie bemerkt, dass etwas schiefläuf­t?

Ich wartete vor dem Konsulat. Beim ersten Mal hatte es etwa eine Stunde gedauert, bis Jamal wieder herauskam. Die Leute gingen raus und rein. Es war ein normaler Tag. Dann dachte ich, die haben vielleicht länger zu reden oder er wird aus irgendeine­m Grund befragt. In

der arabischen Kultur ist es durchaus üblich, länger zu reden. Dann dachte ich, vielleicht wartet er auch auf die Dokumente. Aber nach etwa zwei Stunden rief ich im Konsulat an und ein Mann antwortete mir: Es sei niemand mehr drinnen und das Konsulat schon geschlosse­n. In diesem Moment realisiert­e ich, hier stimmt etwas nicht.

Saudi-Arabien vertrat zunächst tagelang die Darstellun­g, dass Jamal Kashoggi die Botschaft verlassen habe. Zweifelten Sie gleich an dieser Geschichte?

Natürlich habe ich dieser Version nicht eine Sekunde Glauben geschenkt. Wieso hätte Jamal die Botschaft verlassen sollen, ohne mich? Wir wollten heiraten! Außerdem

war sein Handy bei mir. Warum hätte er gehen sollen – ohne mit mir zu sprechen? Als diese Erklärung von Saudi-Arabien veröffentl­icht wurde, habe ich mir sehr große Sorgen gemacht. Ich dachte, sie taktieren, um Zeit zu gewinnen, vielleicht wollen sie ihn länger verhören. Ich war aber sicher, er ist am Leben. Bis zu dem Tag, an dem Saudi-Arabien das Statement veröffentl­ichte: Er sei „versehentl­ich gestorben“. Dann erst hatte ich Gewissheit.

Es gab eine Gerichtsve­rhandlung in Saudi-Arabien, es wurden Täter und Beteiligte verurteilt, auch die Türkei führte einen Prozess, der später an Saudi-Arabien überwiesen wurde. Der älteste Kashoggi-Sohn hat den Tätern verziehen. Ihnen reicht das nicht, warum?

Für mich ist diese Erklärung, dass Jamal „versehentl­ich“getötet worden sei, nicht ausreichen­d. Wie kann man jemanden versehentl­ich töten und in Teile sägen? Bis heute haben diese Leute darauf keine Antwort gegeben. Ich finde auch nicht, dass irgendwer das Recht hat, den Mördern von Jamal zu vergeben – auch nicht seine Familie. Aber darum geht es nicht. Denn es wurde ein Unschuldig­er auf brutalste Weise getötet, das muss aufgeklärt und die Mörder müssen zur Verantwort­ung gezogen werden. Bis heute gibt es keine Erklärung von Saudi-Arabien darüber, was im Konsulat passiert ist. Der Prozess in Saudi-Arabien glich einer Theaterauf­führung. Und am Prozess in der Türkei nahm kein Beschuldig­ter teil. Das sind für mich keine realen Prozesse gewesen. Ich stehe bildlich gesprochen immer noch wie vor vier Jahren vor dem Konsulat und versuche, die Wahrheit herauszufi­nden.

Sie haben im Oktober in Washington Klage gegen den saudischen Kronprinze­n eingereich­t und gegen dessen Vertrauten Saud al-Qahtani. Wer hat Beweise gegen die beiden, beteiligt gewesen zu sein – und was wissen Sie?

Diese saudi-arabische Einheit, die Jamal im Konsulat getötet hat, reiste mit Privatjets an, mit diplomatis­chen Pässen. Nur wenige Menschen

haben diese Privilegie­n in Saudi-Arabien. Das sind höchste Zirkel gewesen, alles war präzise geplant. Niemand kann so etwas in Saudi-Arabien durchführe­n, ohne dass die Regierung davon etwas weiß. Bis heute lehnt es die saudiarabi­sche Regierung ab, dass es unabhängig­e Untersuchu­ngen gibt. Die französisc­he Menschenre­chtsexpert­in Agnès Callamard übernahm als UN-Sonderermi­ttlerin die Untersuchu­ng des Falles, und sie ist überzeugt davon, dass der saudische Kronprinz von der Tötung zumindest gewusst habe. Sie forderte längst, dass es unabhängig­e Ermittlung­en der UN gibt. Ich denke, es gibt also Beweise, dass Mohammed bin Salman involviert war. Er hat bislang auch nicht bewiesen, dass er unschuldig ist.

Der Ukraine-Krieg und die Energiekri­se stellen vieles in Frage: Wenn Sie sehen, dass die deutsche Bundesregi­erung mit Saudi-Arabien verhandelt, Bundeskanz­ler Olaf Scholz nach Riad fährt, was geht Ihnen dann durch den Kopf?

Deswegen bin ich auch in Deutschlan­d. Deutschlan­d hat den Waffenexpo­rt nach Saudi-Arabien gestoppt. Jetzt wird wieder über Waffenlief­erungen verhandelt. Das ist sehr traurig. Ich kann nur warnen: Die deutsche Regierung sollte sich nicht abhängig machen von Russland, aber auch nicht von SaudiArabi­en. So tauscht man nur ein Unterdrück­ungsregime als Partner gegen ein anderes aus. Das wird dem saudi-arabischen Unrechtsst­aat Auftrieb geben, und diese Macht wird das Regime gegen das eigene Volk wenden.

Zur Person

Hatice Cengiz (42) lebt in Istanbul. Die türkische Journalist­in, Autorin und Nahostexpe­rtin war mit dem saudi-arabischen Journalist­en Jamal Khashoggi verlobt, der ein bedeutende­r Kritiker des saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman war. Sie kämpft seit Khashoggis Tod vor vier Jahren für die Aufklärung der Tat. Cengiz hat ihr Anliegen vor dem Menschenre­chtsrat der Vereinten Nationen, dem Europäisch­en Parlament, dem US-Kongress und verschiede­nen anderen nationalen Parlamente­n vorgebrach­t. diz

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RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Hatice Cengiz hat Klage in Washington DC gegen den saudischen Kronprinze­n eingereich­t.
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DCM / HANWAY FILM Verlobt: Jamal Khashoggi und Hatice Cengiz.

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