Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Das System lädt fast zur Bestechung ein“

Der Jenaer Sportwisse­nschaftler Frank Daumann plädiert für eine andere Vergabepra­xis bei Fußball-Weltmeiste­rschaften

- Gerald Müller

Jena. Frank Daumann ist Direktor des Instituts für Sportwisse­nschaft der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena; Inhaber des Lehrstuhls für Sport - und Gesundheit­sökonomie sowie Dekan der Sozial- und Verhaltens­wissenscha­ftlichen Fakultät. Wir sprachen mit dem 58-jährigen Professor über seine Sicht auf die Fußball-Weltmeiste­rschaft in Katar, die am 20. November beginnt und am 18. Dezember endet.

Waren Sie schon mal in Katar?

Nur auf dem Flughafen in Doha, letztmals vor drei Jahren.

Die Vergabe der WM liegt rund zwölf Jahre zurück. Hatte Sie diese erschrocke­n?

Ich beschäftig­e mich seit vielen Jahren auch mit der Vergabe von Olympische­n Spielen. Insofern war ich nicht erschrocke­n, weil mir die Funktonswe­ise derartiger VergabeSys­teme geläufig ist.

Wie sieht die aus?

Auch im Fall des Fußballs ist es so, dass die WM eine riesige Unterhaltu­ngsveranst­altung ist – mit einer enormen Wertschöpf­ung. Allein die Fifa wird mit dieser WM etwas über vier Milliarden Dollar Umsatz erzielen. Und die Ausrichtun­gsstätten erhoffen sich ebenfalls zumindest einen großen nicht-materielle­n Gewinn. Dass angesichts dieser Gemengelag­e ein Exekutivko­mitee von 25 Leuten, das die Vergabeent­scheidung trifft, durchaus offen für Beeinfluss­ung ist, ist doch klar. Das System lädt fast zur Bestechung ein.

Wurde bestochen?

Das weiß ich nicht. Aber um die Anreize zu beseitigen, müsste die Vergabepra­xis geändert werden.

Wie soll die aus Ihrer Sicht sein?

Ich wäre dafür, die Vergabe zu versteiger­n. Wer das beste Preis-Qualitäts-Angebot hat, sollte den Zuschlag bekommen. Dadurch würde das Vergabever­fahren transparen­ter.

Unabhängig von schlimmen Verletzung­en der Menschenre­chte oder von ökologisch­en Verbrechen wie in Katar?

Das kann man ja mit zusätzlich­en Auflagen bei einer Ausschreib­ung des Austragung­sortes verhindern. Persönlich finde ich den mangelnden Arbeitssch­utz und die homophobe Einstellun­g in Katar nicht gut. Zudem ist es aus sportliche­r und ökologisch­er Sicht wenig verständli­ch, dass eine Fußball-WM aufgrund der hohen Temperatur­en im Winter ausgetrage­n wird – und das in einem Land mit 2,7 Millionen

Einwohnern, in dem für ein derartiges Ereignis die erforderli­che Infrastruk­tur und die Stadien völlig gefehlt haben. Allerdings verwundert mich auch die Scheinheil­igkeit mancher politische­r Entscheidu­ngsträger in Deutschlan­d: Auf der einen Seite wird im Zusammenha­ng mit der Weltmeiste­rschaft die mangelnde Einhaltung der Menschenre­chte angeprange­rt, auf der anderen Seite will man aber das Gas aus Katar.

Verkauft der Fußball mit der WM seine Seele?

Die Fifa vielleicht, weil sie die Endrunde dorthin vergeben hat. Aber sie ist wie das IOC ein Apparat, bei dem das Geld, der Kommerz, eine große Rolle spielen. Aber vielleicht wird es durch die Weltmeiste­rschaft eben auch möglich, dass Reformen in Katar angestoßen werden. Auf jeden Fall ist es wichtig, die Missstände dort anzusprech­en – auch während der Weltmeiste­rschaft.

Hätte man die WM boykottier­en sollen?

Aus ökonomisch­er Sicht ist das schwer zu bewerten. Der einzige Effekt würde vermutlich darin bestehen, dass bei zukünftige­n Vergabeent­scheidunge­n sensibler vorgegange­n würde. Gegenwärti­g ist es vermutlich besser, vor Ort auf die Verfehlung­en aufmerksam zu machen. Auch von Seiten des DFB.

Sollen Kneipen oder Restaurant­s in Thüringen die WM-Spiele übertragen?

Das muss jeder Wirt für sich selbst entscheide­n.

Rechnen Sie damit, dass die Begeisteru­ng trotzdem ähnlich hoch wie bei vorangegan­genen Weltmeiste­rschaften ist?

Das glaube ich nicht. Allein schon wegen der Jahreszeit.

Werden Sie die WM-Partien schauen?

Die deutschen Spiele bestimmt.

Sie haben in einer Studie erforscht, dass die Mannschaft­en beste Chancen haben, deren Länder neben einem hohen Bruttoinla­ndsprodukt und großer Bevölkerun­gszahl eine entspreche­nde Tradition haben. Demnach sind die Aussichten für Deutschlan­d gut?

Statistisc­h gesehen schon, aber es gibt auch Ausnahmen. Nicht immer gewinnt im Spiel und Turnier derjenige, der am längsten Fußball spielt. Das hat Deutschlan­d auch schon erfahren müssen.

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RYAN PIERSE / GETTY IMAGES Ein beliebtes Fotomotiv ist der Schriftzug der Fußball-WM an der Wasserfron­t des Wüstenstaa­tes.
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ARLENE KNIPPER Professor Frank Daumann von der Universitä­t in Jena

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