Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Der Kampf der Trans-Offizierin
Anastasia Biefang suchte Sex auf Tinder und kassierte eine Rüge ihres Generals. Jetzt trägt sie den Fall vor das höchste deutsche Gericht
Berlin. Wenn Anastasia Biefang heute von diesem einen Klick erzählt, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat, dann sagt Biefang, dass sie diesen Post auf der Datingplattform Tinder „nicht unbedacht“getan habe. Dass sie sich Zeit genommen habe. Und Anastasia Biefang sagt, dass sie damals auch schon geahnt habe, dass dieser Klick anecken könnte. Trotzdem fühlte sie sich im Recht. Bis heute sieht sie es so, mehr als drei Jahre später. Biefang schrieb damals: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“Sie sucht nach Dates. Ein Klick, dann ist der Text im Internet, neben etlichen anderen Kontaktanzeigen in den sozialen Netzwerken. Bald aber könnten ihre 14 Worte vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Anastasia Biefang, Oberstleutnant im Generalstab im Kommando Cyberund Informationsraum der Bundeswehr, ist an diesem Herbsttag in ihrer Berliner Wohnung nicht im Dienst. Sie trägt keine Uniform.
Im Afghanistan-Einsatz – einmal als Mann und einmal als Frau
28 Jahre ist Biefang Soldatin. In den 90ern kam sie zur Bundeswehr, war beim Kommando Luftwaffe, später im Verteidigungsministerium. Sie führte danach ein Bataillon, und Biefang war im heiklen Einsatz in Afghanistan. Einmal als Mann, in den Jahren 2011 bis 2012, und 2018 bis 2019 als Frau. Biefang ist Transmensch, der erste, der es so hoch in der Führung der Bundeswehr geschafft hat. Sie hat ihr Geschlecht umgewandelt, lebt nun mit einer anderen Frau in einer offenen Beziehung.
Geblieben ist sie in all den Jahren immer Soldatin. In einer Armee, die noch immer von Männern dominiert ist. In der die Frauen, und noch mehr schwule und queere Menschen, eher Ausnahme als Regel sind. „Ich bin Soldatin, ich bin es auch gern. Aber ich darf auch Privatperson sein“, sagt Biefang. Ihr Verhältnis zu der Truppe ist ein anderes. Seit der Sache mit der Datingplattform. Die Bundeswehr und sie sind im Rechtsstreit. Biefang sagt, dass sie die Uniform gern trage.
Aber dass die Uniform seit diesem Streit manchmal auch zu einem Korsett geworden sei, das ihr die Luft abschnüre. Wie darf das Soldatsein in Biefangs privates Leben eindringen? Wie weit darf der Arbeitgeber mitreden? Darum geht es in diesem Rechtsstreit. Er begann 2019. Der Post über Biefangs „Suche nach Sex“auf der Plattform Tinder landet bei ihrem damaligen Vorgesetzten. Biefangs Brigadegeneral rügt sie, stellt ein Dienstvergehen fest. Das Soldatengesetz hält fest, dass Angehörige der Truppe das „Ansehen der Bundeswehr“oder „die Achtung und das Vertrauen“nicht „ernsthaft beeinträchtigen“dürfen. Im Dienst und außerhalb nicht. Der General sieht die „außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht“offenbar verletzt durch den privaten Tinder-Post. Damals führt Biefang als Kommandeurin ein Bataillon.
Der Fall landet vor dem Truppendienstgericht. Und das billigt die Rüge des Generals. Soldatin Biefang muss sich vorhalten lassen, dass ihr Tinder-Profil den Eindruck erwecke, sie sehe sich selbst und ihre Partner als „reine Sexobjekte“. Die Bundeswehr ist besorgt um ihren Ruf. Das ist vor 2019 noch anders. Als sie sich 2015 als trans outet, arbeitet sie im Verteidigungsministerium. Und bekommt viel Rückhalt. „Das lief super“, sagt sie heute. „Auch das ist die Bundeswehr.“Und sie macht Karriere in der Truppe, Vorgesetzte loben ihre Führungsqualitäten.
So gelöst ist es nicht mehr zwischen der Militärführung und Soldatin Biefang. Sie will vor das höchste deutsche Gericht nach Karlsruhe ziehen, vor die letzte Instanz, hat nun Beschwerde eingereicht gegen eine erneute juristische Niederlage im Mai. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte die Entscheidung des Truppendienstgerichtes bekräftigt – allerdings mit deutlichen Bedenken an der Begründung. Die Bundeswehrjustiz habe die Privatsphäre von Biefang nicht ausreichend gewürdigt. Sie trägt auf dem Tinder-Post keine Uniform, das Grundrecht sichert die „sexuelle Selbstbestimmung“. Und doch stützt das Verwaltungsgericht die Bundeswehrentscheidung. Durch ihre Wortwahl in dem Post habe Biefang „Mangel an der erforderlichen
charakterlichen Integrität“aufkommen lassen, den „falschen Eindruck“eines „wahllosen Sexlebens“erweckt. Schließlich habe sie zu dem Zeitpunkt 1000 Soldatinnen und Soldaten unter ihrer Führung gehabt. Es ist ein Gerichtsbeschluss, der zwischen Recht und Moral wabert. Biefang will jetzt ein Grundsatzurteil vom Bundesverfassungsgericht.
Auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer sagt Biefang heute, dass ihr „einvernehmliches Sexualleben“
niemandem schade. „Das lebe ich abseits der Kaserne aus, wieso werde ich jetzt dafür verurteilt?“Und dass sie auf Tinder „kein Geschlecht ausschließe“, bedeute nicht, dass sie „mit jedem ins Bett gehe“. Der Gegenwind kommt nicht nur vor Gericht, sondern auch im Netz. Die Hetze gegen sie begleitet ihre Prozesse. Andererseits erhält Biefang auch Zuspruch. Viele kritisieren die Bundeswehr für eine „Moral der 50er-Jahre“, sehen Vielfalt eher als PR denn als Realität in
der Truppe. Auf Nachfrage unserer Redaktion zu dem Fall verweist die Bundeswehr an das Verteidigungsministerium. Dort schreibt eine Sprecherin, man äußere sich nicht zu der Gerichtsentscheidung. Sie werde derzeit „sorgfältig ausgewertet“. Sollten geänderte Regelungen zum Umgang mit Sexualität in der Bundeswehr notwendig werden, geschehe dies „zeitnah“. Die Sprecherin hebt hervor, dass „soldatische Gemeinschaft auf dem Prinzip der Kameradschaft“beruhe – und das schließe Diskriminierung aus. Anastasia Biefang erlebt das anders, fühlt sich verletzt. Entschlossen geht sie in den juristischen Kampf. Sie sagt: „Wenn ich jetzt nichts mehr machen würde, wenn ich sagen würde, ich habe keine Kraft mehr – was passiert denn dann?“Sie kämpfe gegen den Dienstverweis, aber auch für die Frage, welche moralischen Maßstäbe die Bundeswehr an queere Menschen anlege. Auf dem Bauch hat Biefang ein Tattoo. „SLUT“steht dort. Schlampe. „Wenn man mich schon so brandmarkt, dann mache ich es mir eben zu eigen.“