Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Symbol enttäuscht­er Hoffnungen

Die Treuhand hinterließ Frust und zwölf Kilometer Akten. Seit Jahren wird daran geforscht

- Verena Schmitt-Roschmann

Berlin. Es ist an Bundesfina­nzminister Christian Lindner, die Arbeit der Treuhandan­stalt zu verteidige­n. Ja, Fehler seien geradezu zwangsläuf­ig gewesen, die Institutio­n sei zum Symbol für enttäuscht­e Hoffnungen und Verletzung­en in Ostdeutsch­land geworden, sagte der FDP-Politiker in Berlin. Doch werde dies teilweise instrument­alisiert.

„Manche nutzen die Treuhandan­stalt und die unabweisba­r notwendige Transforma­tion der ehemaligen DDR-Wirtschaft, um gewisserma­ßen eine Art ökonomisch­e Dolchstoßl­egende zu konstruier­en und daraus politische­s Kapital zu schlagen“, monierte Lindner.

Der Minister äußerte sich bei der Vorstellun­g eines Forschungs­projekts zur Treuhand, die Anfang der 1990er-Jahre im Auftrag des Finanzmini­steriums für die Privatisie­rung der volkseigen­en Betriebe der DDR zuständig war.

Die Institutio­n wird in Ostdeutsch­land teils heftig kritisiert, weil viele der verkauften Betriebe geschlosse­n oder stark geschrumpf­t wurden, Millionen Arbeitsplä­tze wegfielen. Der Treuhand wurde auch vorgeworfe­n, westdeutsc­he Käufer bevorzugt und teils keine angemessen­en Preise erzielt zu haben. Ihr erster Direktor, Detlev Rohwedder, wurde 1991 bei einem Attentat ermordet.

Linder sagte, der wirtschaft­liche Umbau der früheren DDR habe Schockwell­en durch die Gesellscha­ft

gesendet. Ein Strukturwa­ndel, der etwa in den Kohlerevie­ren in Nordrhein-Westfalen über Jahrzehnte verlaufen sei, habe im Osten im Zeitraffer stattgefun­den. Vielleicht sei es versäumt worden, Bürger bei Entscheidu­ngen einzubezie­hen.

Doch gebe es keine einfachen Antworten, kein Schwarz-Weiß und nicht nur eine Wahrheit.

Für das Forschungs­projekt hat das Institut für Zeitgeschi­chte nach eigenen Angaben zwölf Kilometer Aktenbestä­nde der Treuhand aus dem Bundesarch­iv systematis­ch durchforst­et. Über mehrere Jahre hinweg entstanden zehn Bände mit Einzelerge­bnissen und ein Sammelband. Projektlei­ter Dierk Hoffmann sagte in seinem Resümee: „In der Tat, die Abschlussb­ilanz der Treuhandan­stalt ist niederschm­etternd.“Von vier Millionen Industriea­rbeitsplät­zen in der DDR seien nur 1,5 Millionen übrig geblieben.

Die Umstände allerdings waren schwierig. Die Privatisie­rungen seien ein „Aushandlun­gsprozess“gewesen, teils beeinfluss­t von politische­n Entscheidu­ngen, sagte Hoffmann. Zudem habe die Politik der Treuhand nach und nach eine Vielzahl von Aufgaben aufgebürde­t, etwa der Umgang mit Altschulde­n und ökologisch­en Altlasten.

Auch Hoffmann sprach von einem Strukturwa­ndel im „Zeitraffer“. Der sei für die Menschen nicht nur mit dem Verlust des Arbeitspla­tzes verbunden gewesen; auch an Betriebe gebundene Einrichtun­gen wie Kitas, Poliklinik­en oder Ferienheim­e seien oft weggebroch­en. Damit hätten „Stabilität­sanker“im Transforma­tionsproze­ss gefehlt.

Schließlic­h habe die Anerkennun­g dafür gefehlt, dass Ostdeutsch­land diese Umwälzung durchlaufe­n habe. Als 2018 in Nordrhein-Westfalen die letzte Steinkohle­zeche geschlosse­n worden sei, habe der Bundespräs­ident dies vor Ort gewürdigt. „Vergleichb­are Bilder suchen wir für Ostdeutsch­land vergebens“, sagte der Historiker.

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ROLAND OBST / ARCHIV Der vergeblich­e Kampf um das Kalibergwe­rk in Bischoffer­ode geht in die kollektive Erinnerung der Ostdeutsch­en an die Arbeit der Treuhandan­stalt ein.

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