Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Zwischen Scharfschützen und Hoffnung
Während die Welt den Krieg in Syrien fast vergessen hat, in dem ein Diktator seit elf Jahren sein Volk abschlachten lässt, unterstützt von Russland, schreibt Zoulfa Katouh vehement gegen das Vergessen und für die Hoffnung.
Ihre Heldin Salama ist 18, arbeitet in ihrer Heimatstadt Homs im Krankenhaus, amputiert Gliedmaßen, näht Wunden ohne Betäubung, weil es an Medikamenten aller Art mangelt, an Strom, an Wasser, kann Säuglinge nicht vor dem Tod bewahren. Denn immer wieder fallen Bomben, dann ergießt sich ein neuer Strom Verwundeter in das ohnehin überfüllte Gebäude.
Es ist 2012, der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit einem Jahr, dass sie einst Pharmazie studierte, scheint zu einem anderen Leben zu gehören. In den Straßen lauern die Scharfschützen der Regierung; zu Hause sorgt sie sich um ihre schwangere Schwägerin Layla, ausgezehrt wie sie selbst, die einzige Familie, die sie noch hat.
Und Salama kämpft mit Khawf, der Halluzination, die sie schützt, herausfordert und immer wieder zur Flucht drängt. Doch Salama will nicht fliehen, so wenig wie es Kenan will, der mit Internetvideos in der Welt verbreitet, was in Syrien geschieht. Er haust mit seinen beiden kleinen Geschwistern in einer zerbombten Wohnung. Sie werden ein Liebespaar, bewahren sich ihre Hoffnung, indem sie sich Geschichten erzählen, die Zukunft ausmalen, die bunt ist, nicht grau und zerschossen, in der er Trickfilmer ist und sie Pharmazeutin.
Eindringlich, aber nie rührselig erzählt Zoulfa Katouh von Menschen, die nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten haben, die beide tödlich enden können: in der Heimat bleiben oder über das Mittelmeer fliehen.
Sie selbst ist in Kanada geboren, 28 Jahre alt, und lebt in der Schweiz. In ihrem Roman hat sie Flüchtlingsgeschichten verwoben, die überall in den sozialen Medien zu finden sind – auf Arabisch, was ihre Verbreitung erschwert. Dieses Hindernis hat sie erfolgreich genommen: Ihr Buch erscheint in zehn Ländern.