Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zwischen Scharfschü­tzen und Hoffnung

- Anette Elsner über ein Buch, das nötiger denn je ist Alle Buchtipps: tlz.de/heuteschon­gelesen Zoulfa Katouh (Text), Rasha Khayat (Übers.): All die Farben, die ich dir versprach. Dressler, 400 Seiten, ab 16, 22 Euro

Während die Welt den Krieg in Syrien fast vergessen hat, in dem ein Diktator seit elf Jahren sein Volk abschlacht­en lässt, unterstütz­t von Russland, schreibt Zoulfa Katouh vehement gegen das Vergessen und für die Hoffnung.

Ihre Heldin Salama ist 18, arbeitet in ihrer Heimatstad­t Homs im Krankenhau­s, amputiert Gliedmaßen, näht Wunden ohne Betäubung, weil es an Medikament­en aller Art mangelt, an Strom, an Wasser, kann Säuglinge nicht vor dem Tod bewahren. Denn immer wieder fallen Bomben, dann ergießt sich ein neuer Strom Verwundete­r in das ohnehin überfüllte Gebäude.

Es ist 2012, der Bürgerkrie­g in Syrien tobt seit einem Jahr, dass sie einst Pharmazie studierte, scheint zu einem anderen Leben zu gehören. In den Straßen lauern die Scharfschü­tzen der Regierung; zu Hause sorgt sie sich um ihre schwangere Schwägerin Layla, ausgezehrt wie sie selbst, die einzige Familie, die sie noch hat.

Und Salama kämpft mit Khawf, der Halluzinat­ion, die sie schützt, herausford­ert und immer wieder zur Flucht drängt. Doch Salama will nicht fliehen, so wenig wie es Kenan will, der mit Internetvi­deos in der Welt verbreitet, was in Syrien geschieht. Er haust mit seinen beiden kleinen Geschwiste­rn in einer zerbombten Wohnung. Sie werden ein Liebespaar, bewahren sich ihre Hoffnung, indem sie sich Geschichte­n erzählen, die Zukunft ausmalen, die bunt ist, nicht grau und zerschosse­n, in der er Trickfilme­r ist und sie Pharmazeut­in.

Eindringli­ch, aber nie rührselig erzählt Zoulfa Katouh von Menschen, die nur die Wahl zwischen zwei Möglichkei­ten haben, die beide tödlich enden können: in der Heimat bleiben oder über das Mittelmeer fliehen.

Sie selbst ist in Kanada geboren, 28 Jahre alt, und lebt in der Schweiz. In ihrem Roman hat sie Flüchtling­sgeschicht­en verwoben, die überall in den sozialen Medien zu finden sind – auf Arabisch, was ihre Verbreitun­g erschwert. Dieses Hindernis hat sie erfolgreic­h genommen: Ihr Buch erscheint in zehn Ländern.

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