Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ende der Quarantäne: Trotz Corona ins Büro?

Baden-Württember­g und Bayern haben die Isolations­pflicht aufgehoben, weitere Länder wollen folgen. Doch es gibt Kritik

- Carlotta Richter

Berlin. Zwei rote Striche auf dem Corona-Test – in einigen Bundesländ­ern ist das kein Kriterium mehr, um der Arbeit fernzublei­ben. Baden-Württember­g, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein hatten angekündig­t, die Corona-Isolations­pflicht für positiv getestete Menschen aufzuheben – in Baden-Württember­g und Bayern wurde das nun umgesetzt. Wer sich hier mit dem Virus infiziert und keine Symptome hat, kann seit Mittwoch weiter regulär am Arbeitspla­tz erscheinen. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wie begründen die Länder ihre Entscheidu­ng?

Die vier Bundesländ­er berufen sich unter anderem auf die aktuell sinkenden Fallzahlen, die hohe Basisimmun­ität in der Bevölkerun­g und die Erfahrunge­n anderer EU-Länder wie Österreich, in denen die Isolations­pflicht zuvor abgeschaff­t wurde. Zudem verursache die dominieren­de Omikron-Variante zwar symptomati­sche, aber in der Regel keine schweren Krankheits­verläufe, hieß es in einer gemeinsame­n Erklärung der Bundesländ­er.

Was gilt nach dem Ende der Isolations­pflicht?

An die Stelle der Isolations­pflicht treten für Menschen, die positiv auf das Coronaviru­s getestet wurden, in den vier Bundesländ­ern nun verpflicht­ende Schutzmaßn­ahmen, die für mindestens fünf Tage angeordnet werden. Dazu gehört etwa eine Maskenpfli­cht außerhalb der eigenen Wohnung, mit Ausnahme von Aufenthalt­en im Freien, ein Betretungs­verbot für medizinisc­he Einrichtun­gen sowie ein Tätigkeits­verbot für Personen, die in bestimmten Bereichen, etwa im Gesundheit­swesen, arbeiten. Baden-Württember­gs Gesundheit­sminister Manne Lucha (Grüne) erklärte dazu: „Nach wie vor gilt: Wer krank ist, bleibt zu Hause.“

Wie sind die Reaktionen auf die Entscheidu­ng?

Vor allem kritisiert­e Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach den Vorstoß. Der SPD-Politiker bezeichnet­e die Entscheidu­ng als Fehler: „Das kommt jetzt zur Unzeit und findet nicht die Billigung der Bundesregi­erung.“Es gebe keinen medizinisc­hen Grund, auf die Isolations­pflicht zu verzichten. Immer noch gebe es etwa 1000 Todesfälle durch Covid-Infektione­n pro Woche, das Land befinde sich zudem vor einer neuen Winterwell­e, so Lauterbach. Außerdem müssten sich die Menschen sicher sein können, dass sie sich am Arbeitspla­tz nicht infizieren.

Der CDU-Vorsitzend­e Friedrich Merz zeigte sich hingegen offen für

die Abschaffun­g der Isolations­pflicht. „Ich teile den Alarmismus des Bundesgesu­ndheitsmin­isters nicht“, sagte Merz dieser Redaktion. „Beim ersten Lesen der Nachricht hatte ich ein gewisses Unbehagen. Beim längeren Nachdenken erscheint es mir aber verantwort­bar zu sein, so vorzugehen, wie Bayern, Baden-Württember­g, Hessen und Schleswig-Holstein dies nun tun.“Merz appelliert­e gleichzeit­ig an die Verantwort­ung der Menschen im Umgang mit dem Infektions­schutz. „Wer krank ist oder starke Symptome hat, sollte nicht zur Arbeit gehen“, warnte der CDU-Chef.

Was bedeutet das Ende der Isolations­pflicht für das Infektions­geschehen?

Auch unter Experten scheiden sich die Meinungen. „Wenn infizierte Beschäftig­te weiterhin zur Arbeit gehen, kann es natürlich passieren, dass sich unwissende Arbeitskol­leginnen und -kollegen anstecken und sich so das Virus stärker ausbreiten kann als in der Vergangenh­eit“, sagte der Vorsitzend­e des Bundesverb­ands der Ärztinnen

und Ärzte des öffentlich­en Gesundheit­sdienstes (BVÖGD), Johannes Nießen, dieser Redaktion. Er kritisiert­e den Alleingang der Bundesländ­er. Das sei für die Menschen am Arbeitspla­tz eine nicht einschätzb­are Gefahr. Andere halten die Entscheidu­ng für vertretbar. „Wir haben einen Rückgang der Zirkulatio­n des Virus, weniger schwere Verläufe und eine zunehmende Immunität in der Bevölkerun­g“, sagte der Infektiolo­ge Bernd Salzberger. Somit spreche alles dafür, dass die Isolations­pflicht nicht mehr gebraucht werde. Das bedeute allerdings nicht, dass Infizierte auch arbeiten gehen sollten.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund übte deutliche Kritik. „Menschen mit akuten Infektions­krankheite­n haben am Arbeitspla­tz nichts zu suchen. Oberstes Gebot muss sein, andere vor Ansteckung zu schützen und weitere Corona-Infektions­wellen zu verhindern“, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel dieser Redaktion. Es sei stark zu bezweifeln, ob jetzt der richtige Zeitpunkt sei, Isolations- und Quarantäne­pflichten aufzugeben. „Wo ohnehin schon Personalma­ngel

herrscht, stehen Beschäftig­te noch stärker unter Druck, trotz Infektion und Krankheits­symptomen zu arbeiten“, warnte Piel.

Können die Länder die Isolations­pflicht selbststän­dig abschaffen?

Die Entscheidu­ng über die Isolations­pflicht liegt in der Hand der einzelnen Bundesländ­er. Zwar existiert eine Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) zu einer fünftägige­n Isolation, die von den Ländern bisher geschlosse­n umgesetzt wurde – diese ist jedoch nicht verbindlic­h.

Wie ist die Situation in den anderen Bundesländ­ern?

Hessen und Schleswig-Holstein haben angekündig­t, die Isolations­pflicht ebenfalls „zeitnah“aufzuheben. In Schleswig-Holstein soll es ab Donnerstag so weit sein. Hessen ließ den Zeitpunkt für diesen Schritt noch offen. Auch andere Bundesländ­er wollen darüber nachdenken, die Isolations­pflicht aufzuheben. Länder wie Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersach­sen, Thüringen oder Bremen wollen an der Pflicht festhalten.

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GETTY IMAGES Wer positiv auf Corona getestet wird, darf in einigen Ländern künftig trotzdem am Arbeitspla­tz erscheinen.

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