Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Katar ist schon jetzt PR-Weltmeister“
Die Kritik am WM-Gastgeber ist gewaltig. Das Emirat ist dennoch zuversichtlich, seinen ramponierten Ruf aufzupolieren
Doha. Fedor Turbin will vor der großen Eröffnungsfeier und vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar am liebsten gar nichts mehr sagen. Der Russe, der seit 2020 für das katarische WM-Organisationskomitee arbeitet, hat vor dem ersten Anstoß am Sonntag zwischen Katar und Ecuador (17 Uhr/ZDF) ja auch schon mehr als genug gesagt. Dabei war es eigentlich nur ein Satz: „Wollen wir uns jetzt ein wenig die Gegend anschauen?“, fragte Turbin ZDF-Moderator Jochen Breyer und den offiziellen WM-Botschafter Khalid Salman, als dieser wenige Sekunden zuvor in der vielbeachteten Fernseh-Dokumentation „Geheimsache Katar“Homosexualität als „haram“, also „unrechtmäßig“und sogar als „geistigen Schaden“bezeichnet hatte – und damit Turbins Bemühungen der vergangenen zwei Jahre mit nur zwei Wörtern zunichte machte.
Ein „geistiger Schaden“also. Salmans Worte waren brutal – und ein Image-Eigentor wenige Tage vor der WM, die wahlweise als „die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten“(Fifa-Präsident Gianni Infantino) oder „die umstrittenste Weltmeisterschaft aller Zeiten“(DFB-Präsident Bernd Neuendorf) bezeichnet wird. Für Fedor Turbin, der schon bei zahlreichen Fifa-Turnieren die Medienarbeit organisiert hat und der bei der Katar-WM die internationale Kritik abfedern und für ein positives Image sorgen soll, ist sie vor allem eines: die mühseligste Weltmeisterschaft aller Zeiten.
200 Milliarden Euro soll Katar seit 2010 investiert haben
Ob man sich nun den Basar Souq Waqif anschauen wollte, fragte also Turbin, als der offizielle WM-Botschafter Salman das gesagt hatte, was viele Katarer denken, aber nicht auszusprechen wagen. Schon gar nicht vor der Kamera. Der russische PR-Profi, der einen Großteil der internationalen Medien – darunter auch diese Zeitung bei einer ersten Recherchereise im März und April – in den vergangenen Monaten in Doha begleitet hatte, wusste natürlich, dass ein Spaziergang durch die künstlich errichtete Altstadt Dohas nicht mehr helfen würde. Auf Nachfrage dieser Zeitung, wie er mit der heftigen Kritik umgehe, wollte sich Turbin nicht äußern. Rund 200 Milliarden Euro soll Katar seit der WM-Vergabe 2010 in die wohl größte PR-Show aller Zeiten gesteckt haben – und nun das.
Wenzel Michalski sitzt wenige Tage vor dem ersten Anstoß dieser WM in seinem Berliner Büro und gibt offen zu, dass ihn die Demaskierung des WM-Botschafters sogar gefreut habe. „Die WM ist für Katar eine riesengroße Werbefläche, die das Land in einem glänzenden Licht dastehen lassen soll“, sagt der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, der seit der Vergabe 2010 daran arbeitet, die Schattenseiten Katars aufzuzeigen. „Katar will durch die WM seinen Ruf in der Welt als gastfreundliches, modernes, lebensbejahendes Land aufpolieren“, sagt Michalski. „Man kann sagen: Katar ist schon jetzt ein PR-Weltmeister.“
Das Fachwort für diese Strategie heißt Sportswashing. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Wörtern „Sport“und „Whitewashing“. Ansehen und Reputation sollen verbessert werden. Man nutzt den Sport also, um das eigene Land in einem progressiven und positiven Licht erscheinen zu lassen. Man wäscht das eigene Image rein. Und wenn man so will, dann ist Fedor Turbin einer der Haupt-Saubermänner von Katar.
Als diese Zeitung im Frühjahr in Doha recherchierte, Arbeiter in ihren unwürdigen Quartieren besuchte, mit einer Nationalspielerin über die Rolle der Frauen sprach, nach den Rechten der LGBTQ-Gemeinde fragte und beim Human Rights Committee vorbeischaute, war auch Turbin schon vor Ort und wollte ganz andere Gesprächspartner vermitteln. Kronzeugen, die natürlich nur Gutes über den WMGastgeber berichten können.
Ronald de Boer zum Beispiel. Wie Khalid Salman ist auch der frühere niederländische Fußball-Star ein offizieller (und gut bezahlter) WM-Botschafter. „Katar hat sich in den vergangenen zehn Jahren extrem entwickelt – die Skyline genauso wie die Lebensumstände der Menschen hier“, sagte de Boer. „Der Emir ist ein Gentleman – er hat nur die besten Intentionen für die Menschen, die hier leben.“
Es sind drei Millionen Menschen, die in Katar leben. Und wenn man die 300.000 fragt, die auch tatsächlich Katarer sind, dann würden die meisten davon de Boer wahrscheinlich zustimmen. Sie sind in dem Wüstenstaat die Menschen erster Klasse. Ein Großteil der restlichen 2,7 Millionen Menschen, die für die Katarer arbeiten, sieht die Menschenrechtslage ein wenig differenzierter. Genauso wie die Menschenrechts-Organisation Amnesty International, die im Jahresbericht 2021 davon berichtete, dass Arbeitsmigranten trotz staatlicher Reformen „weiterhin von Ausbeutung betroffen“seien.
Befürworter der WM unterstreichen dagegen die positive Entwicklung seit der Vergabe. Der frühere Bayern-Präsident Uli Hoeneß zum Beispiel. „Die WM und das Engagement des FC Bayern und andere Sportaktivitäten in der Golf-Region werden dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter dort besser und nicht schlechter werden. Das sollte man endlich mal akzeptieren und nicht ständig auf die Leute draufhauen“, polterte Hoeneß am Telefon Ende September live in der Fußball-Stammtischsendung „Doppelpass“bei Sport1.
Eine Ansicht, über die HumanRights-Direktor Michalski mit dem Kopf schüttelt. „Die Bayern sind auf das Sportswashing der Katarer reingefallen“, sagt er – und wird deutlich: „Die kleinen Reformschritte in Katar kamen nicht durch Bayern München und die Fifa, sondern durch den immer größer werdenden Druck der Medien und von NGOs, die immer wieder auf Missstände hingewiesen haben.
Mehr als 500 internationale Sportveranstaltungen in Doha
Tatsächlich gibt es wohl kaum einen Staat in der Welt, der das von Michalski beschriebene Sportswashing so konsequent betreibt wie Katar. Nur ein Jahr nach der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft sicherte sich Katar die ersten Anteile an Paris Saint-Germain (PSG) und steckte seitdem über den Staatsfonds Qatar Investment Authority mehr als eine Milliarde Euro allein in Ablösesummen für die Messis und Neymars dieser Welt. Qatar Airways ist zudem Luftfahrtpartner der Fifa und nicht nur Sponsor bei den Bayern und PSG, sondern auch bei AS Rom und KAS Eupen. Bis 2017 war die katarische Fluggesellschaft zudem als Hauptsponsor beim FC Barcelona engagiert und löste dort die Qatar Foundations ab. Doch Fußball allein reicht der Herrscherfamilie in Katar schon lange nicht mehr. In den letzten 15 Jahren fanden mehr als 500 internationale Sportveranstaltungen in Doha statt.
„Fußball ist die schönste Form des Eskapismus. Für 90 Minuten kann man seine restliche Welt vergessen“, sagt Wenzel Michalski. „Doch selbst das hat die WM in Katar mir und vielen anderen Fußballfans genommen.“