Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Der Kulturriese von Kannawurf
„Künstlerhaus Thüringen“hat am Donnerstag in Erfurt den Preis der Soziokultur gewonnen
Dem Verein gelang es in relativ kurzer Zeit, einen Produktions- und Veranstaltungsort im strukturschwachen Raum Nordthüringens aufzubauen. Aus der Begründung der Preisjury
Kannawurf/Erfurt. Das Konsortium „Luft und Tiefe“brachte, seit 2010 traditionell geworden, wieder Sommertheater nach Schloss Kannawurf; „Lafayette“hieß diesmal sein Stück. Schüler erlebten derweil einen Theaterworkshop in den Ferien. Zum elften Mal feierte man auf dem Schloss ein Bluesfest. Die vom Rennsteig stammende Autorin Theresa Steigleder kam zum zweiwöchigen Arbeitsaufenthalt, um mit einem vom Literarischen Colloquium Berlin geförderten Stipendium ein literarisches Experiment zu wagen: Sie malte sich aus, wie die Region 2033 aussehen könnte.
Derweil bot man am Schloss Kräuterworkshops und Beetpatenschaften an, Führungen durch den wiedereingerichteten Renaissancegarten. Das alles und noch viel mehr verzeichnen die Zeitungsarchive allein fürs laufende Jahr. Sie künden gleichsam davon, dass es in der kulturell sonst vergleichsweise unterbelichteten Region in und um Sömmerda doch einen hell ausstrahlenden Ort gibt, der dagegen anstinkt.
Hier ist seit fünfzehn Jahren jemand zu Hause, der nunmehr als ein „Kulturriese“identifiziert werden konnte. Er verwandelte ein vor sich hin rottendes Renaissanceschloss selbstbewusst zur Residenz namens „Künstlerhaus Thüringen“.
Dahinter verbirgt sich ein dreißig Mitglieder zählender Verein, der seitdem durch „seine innovative Kulturarbeit“auffällt. In dieser setze er sich mit relevanten gesellschaftlichen, ökologischen und regionalen Fragen künstlerisch ausei
nander, binde die Menschen vor Ort ein und stelle einen Teil der kulturellen Grundversorgung in der strukturschwachen Region sicher.
So jedenfalls begründet die Jury, weshalb der Verein am Donnerstagabend im Erfurter Café Nerly aus den Händen von Minister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) den „Kulturriesen“erhielt, den Preis der Thüringer Soziokultur: für 2022 und mit 2022 Euro dotiert. Unterdessen gingen jeweils 202,20 Euro an die anderen vier Nominierten: das Gaswerk Weimar, das Kulturgut Quellenhof Garbisdorf, den Kinderund Jugendzirkus MoMoLo aus Jena sowie den Verein Studio44 aus
Nordhausen. Das Geld stammt aus Mitgliedsbeiträgen der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur, die den Preis seit 2008 jährlich auslobte, vor Corona zuletzt 2019. Diesmal gab es siebzehn Bewerbungen.
Soziokultur stand aber nicht gleich am Anfang des Künstlerhauses. Mit dem Verein Denkmalpflegezentrum e.V. übernahm man 2007 das vom Verfall bedrohte Schloss aus dem 16. Jahrhunderte und trieb seitdem die Sanierung schrittweise voran, mehrfach von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert. Parallel etablierte man hier einen Kulturort mit bis heute rund 500
Veranstaltungen: Theater, Konzerte, Literatur.
Seit 2014 legte der Verein den im vergangenen Jahr eröffneten „Renaissancegarten“neu an, der nun auf 8000 Quadratmetern die Nordund Ostseite des Schlosses umschließt. Der Verein griff dabei auf die „Garten-Ordnung“zurück, die der im Thüringischen wirkende Pfarrer und Gartengestalter Johann Peschel 1597 veröffentlichte. Zudem pflanzte der Verein inzwischen mit Bewohnern Kannawurfs 2000 Bäume in der Umgebung des Ortes.
Verstärkt soziokulturell aktiv ist das Künstlerhaus seit sechs Jahren. Man machte Kannawurf als „Klimalandschaft“zum Projekt der Internationalen Bauausstellung 2023, verteilte für das Fotoprojekt „Ich, in meinem Dorf“100 Einwegkameras an die Bewohner und ließ Landschaftskünstler mit ihnen ein temporäres Theater auf einem Acker errichten. Eine Umweltgruppe, der Jugendverein „Kultur im Sinn“und das Bürgerradio „Weißer Holunder“wurden gegründet. Zusammenhalt in der Gemeinde ist bei alledem das Stich- und das Losungswort.
Selten wirkte wohl ein Thüringer Kulturriese so groß und war so weitgreifend unterwegs wie dieser.