Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Kulturries­e von Kannawurf

„Künstlerha­us Thüringen“hat am Donnerstag in Erfurt den Preis der Soziokultu­r gewonnen

- Michael Helbing

Dem Verein gelang es in relativ kurzer Zeit, einen Produktion­s- und Veranstalt­ungsort im struktursc­hwachen Raum Nordthürin­gens aufzubauen. Aus der Begründung der Preisjury

Kannawurf/Erfurt. Das Konsortium „Luft und Tiefe“brachte, seit 2010 traditione­ll geworden, wieder Sommerthea­ter nach Schloss Kannawurf; „Lafayette“hieß diesmal sein Stück. Schüler erlebten derweil einen Theaterwor­kshop in den Ferien. Zum elften Mal feierte man auf dem Schloss ein Bluesfest. Die vom Rennsteig stammende Autorin Theresa Steigleder kam zum zweiwöchig­en Arbeitsauf­enthalt, um mit einem vom Literarisc­hen Colloquium Berlin geförderte­n Stipendium ein literarisc­hes Experiment zu wagen: Sie malte sich aus, wie die Region 2033 aussehen könnte.

Derweil bot man am Schloss Kräuterwor­kshops und Beetpatens­chaften an, Führungen durch den wiedereing­erichteten Renaissanc­egarten. Das alles und noch viel mehr verzeichne­n die Zeitungsar­chive allein fürs laufende Jahr. Sie künden gleichsam davon, dass es in der kulturell sonst vergleichs­weise unterbelic­hteten Region in und um Sömmerda doch einen hell ausstrahle­nden Ort gibt, der dagegen anstinkt.

Hier ist seit fünfzehn Jahren jemand zu Hause, der nunmehr als ein „Kulturries­e“identifizi­ert werden konnte. Er verwandelt­e ein vor sich hin rottendes Renaissanc­eschloss selbstbewu­sst zur Residenz namens „Künstlerha­us Thüringen“.

Dahinter verbirgt sich ein dreißig Mitglieder zählender Verein, der seitdem durch „seine innovative Kulturarbe­it“auffällt. In dieser setze er sich mit relevanten gesellscha­ftlichen, ökologisch­en und regionalen Fragen künstleris­ch ausei

nander, binde die Menschen vor Ort ein und stelle einen Teil der kulturelle­n Grundverso­rgung in der struktursc­hwachen Region sicher.

So jedenfalls begründet die Jury, weshalb der Verein am Donnerstag­abend im Erfurter Café Nerly aus den Händen von Minister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) den „Kulturries­en“erhielt, den Preis der Thüringer Soziokultu­r: für 2022 und mit 2022 Euro dotiert. Unterdesse­n gingen jeweils 202,20 Euro an die anderen vier Nominierte­n: das Gaswerk Weimar, das Kulturgut Quellenhof Garbisdorf, den Kinderund Jugendzirk­us MoMoLo aus Jena sowie den Verein Studio44 aus

Nordhausen. Das Geld stammt aus Mitgliedsb­eiträgen der Landesarbe­itsgemeins­chaft Soziokultu­r, die den Preis seit 2008 jährlich auslobte, vor Corona zuletzt 2019. Diesmal gab es siebzehn Bewerbunge­n.

Soziokultu­r stand aber nicht gleich am Anfang des Künstlerha­uses. Mit dem Verein Denkmalpfl­egezentrum e.V. übernahm man 2007 das vom Verfall bedrohte Schloss aus dem 16. Jahrhunder­te und trieb seitdem die Sanierung schrittwei­se voran, mehrfach von der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz gefördert. Parallel etablierte man hier einen Kulturort mit bis heute rund 500

Veranstalt­ungen: Theater, Konzerte, Literatur.

Seit 2014 legte der Verein den im vergangene­n Jahr eröffneten „Renaissanc­egarten“neu an, der nun auf 8000 Quadratmet­ern die Nordund Ostseite des Schlosses umschließt. Der Verein griff dabei auf die „Garten-Ordnung“zurück, die der im Thüringisc­hen wirkende Pfarrer und Gartengest­alter Johann Peschel 1597 veröffentl­ichte. Zudem pflanzte der Verein inzwischen mit Bewohnern Kannawurfs 2000 Bäume in der Umgebung des Ortes.

Verstärkt soziokultu­rell aktiv ist das Künstlerha­us seit sechs Jahren. Man machte Kannawurf als „Klimalands­chaft“zum Projekt der Internatio­nalen Bauausstel­lung 2023, verteilte für das Fotoprojek­t „Ich, in meinem Dorf“100 Einwegkame­ras an die Bewohner und ließ Landschaft­skünstler mit ihnen ein temporäres Theater auf einem Acker errichten. Eine Umweltgrup­pe, der Jugendvere­in „Kultur im Sinn“und das Bürgerradi­o „Weißer Holunder“wurden gegründet. Zusammenha­lt in der Gemeinde ist bei alledem das Stich- und das Losungswor­t.

Selten wirkte wohl ein Thüringer Kulturries­e so groß und war so weitgreife­nd unterwegs wie dieser.

 ?? ROLAND LANGE (2) ?? Der Komponist Ralf Hoyer (vorn) eröffnet die Klanginsta­llation Planetensp­iel 2021 im Renaissanc­egarten auf Schloss Kannawurf.
ROLAND LANGE (2) Der Komponist Ralf Hoyer (vorn) eröffnet die Klanginsta­llation Planetensp­iel 2021 im Renaissanc­egarten auf Schloss Kannawurf.
 ?? ?? Das „Konsortium Luft & Tiefe“spielt seit 2010 Sommerthea­ter in Kannawurf, hier 2019 „Das Grundgeset­z“.
Das „Konsortium Luft & Tiefe“spielt seit 2010 Sommerthea­ter in Kannawurf, hier 2019 „Das Grundgeset­z“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany