Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Warum Familien singen und musizieren sollten

Der Stellenwer­t von Hausmusik hat auch eine politische Komponente, Mangel an Instrument­alpädagoge­n als lauernde Gefahr

- Jonas Schlömer TLZ-Klubkonzer­t am Dienstag, 22. November, 18 Uhr, in der Weimarer Jakobskirc­he mit Live Music Now

Essen/Duisburg. „Das war so schön, und so simpel“, erinnert sich Jupp Götz, und Bruder Ludwig nickt. „Der Vater hat einfach losgelegt, und der Rest ist eingestieg­en.“Die beiden sprechen von der Hausmusik, die in ihrer Kindheit oft und regelmäßig durch das Haus der Familie Götz schallte. Für vier der fünf Geschwiste­r hat sie sogar ihren Lebensweg vorgezeich­net – sie sind Berufsmusi­ker geworden.

Zur Wahrheit, sagt Jupp Götz, gehöre aber auch, dass Hausmusik wie damals in den 60er und 70er Jahren heute nur noch schwer zu finden ist. Am Dienstag, 22. November, ist der bundesweit­e Tag der Hausmusik. Bedeutet das im Jahr 2022 überhaupt noch etwas?

„Unser Vater kam aus Bayern“, erzählt Ludwig, „aus einer Bauernfami­lie“. Dort sei immer schon musiziert worden, Diesen Zauber hat damals Sepp mit in seine Wahlheimat Duisburg gebracht.

„Wenn wir Bohnen gepult oder Knöpfe sortiert haben, hat einer einfach angefangen zu singen“, erinnern sich die Brüder. Der Rest der Familie stieg ein – und trainierte gleichzeit­ig sein Gehör. „Wir haben auf diese Weise ganz natürlich

Mehrstimmi­gkeit gelernt, Harmonie verstanden“, bestätigen die Brüder, „wenn einer schon die zweite Stimme gesungen hat, hat man halt die dritte genommen.“

Nach und nach lernten die Brüder auch Instrument­e, mit Vater Sepp an der Klarinette hatte Familie Götz bald ein kleines Orchester zu Hause. „Damals gab es zehn, zwölf Kinderlied­er, die alle kannten, dazu

kamen die Volksliede­r aus Bayern, Ländlerhef­te und alte Schlager“, sagt Götz, „das war das Repertoire, das hat man gesungen.“

Heute gebe es eine Überflutun­g an Musik, „und wenn man gemeinsam Hausmusik machen will, muss man sich auf die gleiche Musik einigen. Hausmusik funktionie­rt heute also schon noch, es braucht bloß viel mehr Organisati­on.“

Cornelia Sokoll, Vorsitzend­e des deutschen Tonkünstle­rverbands NRW, sieht den Niedergang der Hausmusik durch andere Umstände bedingt – und geht doch nicht davon aus, dass die Hausmusik zu verschwind­en droht. „Im Gegenteil – ich sehe großes Interesse am Musizieren, beklage nur, dass von der Politik viel stärker die entspreche­nden Weichen für die notwendige­n

Voraussetz­ungen für Hausmusik geschaffen werden müssten.“

Mit „Voraussetz­ungen“meint Sokoll die musikalisc­hen Bildungsmö­glichkeite­n, denn „gemeinsame­s Musizieren setzt immer eine gewisse Vorbildung voraus, egal wie niederschw­ellig das Angebot, beziehungs­weise der Anspruch ist.“Das Problem: Aktuell herrsche ein Mangel an gut ausgebilde­ten Instrument­alpädagoge­n,

„der auch langfristi­g nicht zu beheben sein scheint, da die Zahl der Studienanw­ärter für das Fach Instrument­alpädagogi­k dramatisch zurück geht.“

Schuld seien wohl die „miserablen Erwerbsaus­sichten“, sagt Cornelia Sokoll, im Mangel der Instrument­alpädagoge­n lauere die Gefahr für die Hausmusik. Und nicht nur für die.

„Nur Menschen, die selbst musikalisc­he Erfahrunge­n gemacht haben, werden auch Konzerte besuchen. Da besteht die Gefahr, dass die einzigarti­ge deutsche Konzertund Opernlands­chaft gefährdet ist“, so Sokoll. Deswegen sei der künftige Stellenwer­t der Hausmusik nun eine politische Entscheidu­ng, in jedem Fall müsse es gelingen, musikalisc­he Bildung in den Bildungska­non zu integriere­n.

Jupp und Ludwig Götz teilen die musikalisc­hen Zukunftsso­rgen von Cornelia Sokoll. „Wenn ich heute in Altenheime­n spiele, stimme ich ein Lied an und alle singen mit. Wenn wir mal im Altenheim wohnen – was sollen wir dann singen?“

 ?? ANDRÉ HIRTZ / FUNKE FOTO SERVICES ?? Instrument­e für Hausmusik warten in einem Wohnzimmer.
ANDRÉ HIRTZ / FUNKE FOTO SERVICES Instrument­e für Hausmusik warten in einem Wohnzimmer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany