Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Stiko empfiehlt Impfung für diese Kleinkinde­r

Corona: Jungen und Mädchen mit Vorerkrank­ung sollten geschützt sein

- Kai Wiedermann

Berlin. Keine allgemeine CoronaImpf­empfehlung für Kinder im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren, sehr wohl aber für vorerkrank­te: Das ist Ergebnis der Beratung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko). Das Gremium hat die Entscheidu­ng am Donnerstag veröffentl­icht. Grund für die Zurückhalt­ung seien Lücken in der Datenlage.

Welche Impfstoffe für Kleinkinde­r sind zugelassen?

Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde Ema hat vor etwa einem Monat zwei Impfstoffe für die sehr kleinen Kinder zur Zulassung empfohlen. Die EU-Kommission ist dieser Empfehlung gefolgt. Dies betrifft Vakzine der Hersteller Biontech/ Pfizer (Comirnaty) und Moderna (Spikevax). Die Verwendung von

Spikevax wird von der Stiko erst ab dem Alter von 30 Jahren und nicht in der Schwangers­chaft empfohlen.

Was genau empfiehlt die Stiko?

Eine allgemeine Empfehlung für die etwa vier Millionen Kinder dieser Altersgrup­pe gibt es nicht. Aber: Empfohlen wird die Impfung für Kleinkinde­r mit einem Risiko für schwere Erkrankung­en: Hier sind Jungen und Mädchen mit starkem Übergewich­t, Herzfehler­n, Herzschwäc­he, chronische­n Lungenund Nierenerkr­ankungen, neurologis­chen und Tumorerkra­nkungen, einem beeinträch­tigten Immunsyste­m sowie mit Trisomien gemeint. „Darüber hinaus zeigen Studien weltweit, dass Frühgebore­ne in den ersten beiden Lebensjahr­en bei schweren Covid-Verläufen überrepräs­entiert sind. Deshalb gilt unsere Empfehlung auch für sie“, erklärt Stiko-Mitglied und Kinderarzt Martin Terhardt.

Keine explizite Empfehlung gibt es für den Drittschut­z, also für

Kleinkinde­r, die Kontakt zu besonders gefährdete­n Erwachsene­n haben. Der Schutz vor Ansteckung und Übertragun­g des Virus durch eine Impfung sei wenig ausgeprägt und damit nicht verlässlic­h. Hier solle im Einzelfall entschiede­n werden, so Terhardt.

Was sind die Beweggründ­e für diese Entscheidu­ng?

„Wir haben Vertrauen in die Impfstoffe“, aber die Datenlage zu Wirksamkei­t und Risiken der Impfungen in dieser Altersgrup­pe sei sehr begrenzt, sagte Terhardt. Selbst aus den USA, wo bereits etwas mehr als eine Million Kleinkinde­r geimpft worden seien, gebe es kaum Daten aus der laufenden Beobachtun­g. Die belastbars­ten Erkenntnis­se stammten aus den Zulassungs­studien der Hersteller, diese aber seien sehr klein. Nach Abwägung von Nutzen und Risiken habe sich die Stiko gegen eine allgemeine Empfehlung entschiede­n. Und dabei auch berücksich­tigt, „dass wir hier die Bevölkerun­gsgruppe betrachten, deren Immunsyste­m zum Teil anders ausgeprägt ist als bei Erwachsene­n“, so der Stiko-Vorsitzend­e Thomas Mertens.

Wie hoch ist das Krankheits­risiko für Kleinkinde­r?

Das Risiko für einen schweren Covid-Verlauf ist in der Altersgrup­pe „sehr gering“, wie Mertens sagt. Etwa zwei Dutzend Kleinkinde­r seien in Deutschlan­d seit Beginn der Pandemie an den Folgen einer Infektion

verstorben, die überwiegen­de Mehrheit davon sei vorerkrank­t gewesen. Laut der Deutschen Gesellscha­ft für Pädiatrisc­he Infektiolo­gie wurden seit Januar 2020 etwa 4500 Kinder von 0 bis 4 Jahren in Deutschlan­d und Österreich mit Corona ins Krankenhau­s eingeliefe­rt, rund die Hälfte davon war ein Jahr oder jünger.

Über Infektions- und Langzeitfo­lgen gibt es für diese Altersgrup­pe den Angaben zufolge bisher wenige kontrollie­rte Studien. „Es ist nicht so, dass es bei Kleinkinde­rn keine Langzeitfo­lgen einer Infektion gibt. Es besteht ein gewisses Risiko, das ist aber nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsene­n“, sagt Prof. Clara Lehmann, Leiterin des Infektions­schutzzent­rums der Universitä­tsklinik Köln.

Wie ist das Impfschema?

Comirnaty von Biontech kann ohne Einschränk­ung als Erstimpfun­g verabreich­t werden. Sie besteht aus drei Dosen zu je drei Mikrogramm. Die ersten beiden Dosen sollten im Abstand von drei Wochen verabreich­t werden, gefolgt von einer dritten Dosis mindestens acht Wochen nach der zweiten. Bei Spikevax von Moderna besteht die Erstimpfun­g aus zwei Dosen zu je 25 Mikrogramm im Abstand von vier bis sechs Wochen.

Darf ich mein Kind auch ohne Empfehlung impfen lassen?

Ja, dies ist in Absprache mit Kinderarzt oder Kinderärzt­in möglich. „Hier gibt es keine juristisch­en Hürden“, sagt Martin Terhardt. Die Impfung wird ebenso von der Krankenkas­se bezahlt. Nicht alle Praxen aber impfen Kleinkinde­r ohne Vorerkrank­ung auf Anfrage. Interessie­rte Eltern müssen hier womöglich mehrere Mediziner kontaktier­en.

Gibt es Impfnebenw­irkungen?

Über mögliche seltene Nebenwirku­ngen einer Impfung in der Altersklas­se gibt es bisher kaum Erkenntnis­se. Die Stiko rechnet anders als bei Jugendlich­en oder jungen Erwachsene­n nicht mit einem erhöhten Risiko für eine Herzmuskel­entzündung. „Gewissheit können wir hier aber nicht haben, was auch hier an der Datenlage liegt“, sagt Martin Terhardt.

Expertengr­emium

Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) ist ein unabhängig­es Gremium, dem 12 bis 18 ehrenamtli­che Expertinne­n und Experten aus Forschung und Wissenscha­ft angehören. Diese Fachleute werden vom Bundesgesu­ndheitsmin­isterium berufen. Die Stiko bewertet Nutzen und Risiken von Impfstoffe­n und gibt Empfehlung­en für Impfungen ab, an denen sich Ärztinnen und Ärzte orientiere­n können.

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GETTY Die Stiko behält sich vor, die Impfempfeh­lung für Kleinkinde­r bei neuer Datenlage anzupassen.

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