Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Geburtsstu­nde im Schneegest­öber

Wie vor 92 Jahren in Uruguay die Fußball-WM aus der Taufe gehoben wurde – und sich später sogar die DDR-Nationalma­nnschaft hier verewigte

- Axel Lukacsek

Montevideo. Die letzte Betonstufe der Haupttribü­ne des Estadio Centenario in Montevideo ist zwar nicht mehr fest verankert und verlangt Trittfesti­gkeit. Aber von hier oben bietet sich der beste Blick auf jenen Ort der Sportgesch­ichte, wo vor 92 Jahren in Uruguay die Fußball-Weltmeiste­rschaft aus der Taufe gehoben wurde. Auch die Geburtsstu­nde stand auf tönernen Füßen.

Denn mitten in der Weltwirtsc­haftskrise sprangen alle Kandidaten für die Ausrichtun­g ab. Zu hoch waren die Kosten, die der Ausrichter zu tragen hatte. Uruguay stand nach den Olympiasie­gen von 1924 und 1928 aber bereit, auch weil mit Enrique Buero als Mäzen ein Geldgeber gefunden wurde.

In Europa stieß die WM-Premiere 1930 in Südamerika dagegen auf wenig Gegenliebe. Nicht nur die weite Anreise schreckte ab. Heute undenkbar: Viele Verbände, darunter auch Deutschlan­d, störte die Zulassung der Profis, die es in Uruguay oder Argentinie­n längst gab.

Erst wenige Wochen vor dem WM-Auftakt hatte der damalige Fifa-Präsident Jules Rimet mit Frankreich, Belgien, Rumänien und Jugoslawie­n immerhin vier europäisch­e Nationen für eine Teilnahme begeistern können. Am 13. Juli 1930 schließlic­h startete die erste

Fußball-WM mit 13 Nationen – und lieferte unzählige Anekdoten.

14 Tage benötigten die Europäer, bis sie per Schiff den Hafen von Montevideo erreichten. Die Trainingsm­öglichkeit­en waren an Deck eher bescheiden, die Verpflegun­g dagegen offenbar Weltklasse. Jugoslawie­ns Torhüter Milovan Jakšic soll angeblich 16 Kilo zugenommen haben. Immerhin schaffte er es mit seiner Elf bis ins Halbfinale.

Zur Eröffnung ging es eher frostig zu. Das erste WM-Spiel der Geschichte zwischen Frankreich und Mexiko (4:1) wurde – im südamerika­nischen Winter – von Schneegest­öber begleitet. Gastgeber Uruguay gewann schließlic­h vor 68.000 Zuschauern

im Estadio Centenario das Finale gegen den großen Nachbarn Argentinie­n mit 4:2. Aus Ärger darüber bewarfen wütende Fans in Buenos Aires die Botschaft Uruguays mit Steinen.

Final-Schiedsric­hter Jan Langenus aus Belgien – mit Krawatte und Samtweste bekleidet – ließ angesichts des brisanten Duells mit den heißblütig­en Fans hinter jedem Tor eigens für ihn Leibwachen postieren. Zudem setzte er durch, dass alle Zuschauer vor dem Anpfiff auf Waffen untersucht werden. So wurden 1600 Revolver konfiszier­t.

In der Final-Arena von 1930, wo noch immer die Nationalel­f Uruguays ihre Spiele austrägt, erinnert heute ein Museum an die WM-Geburtsstu­nde. Hierher hat es sogar die DDR-Auswahl geschafft. Hinter Glas ist ein weißes Trikot mit Emblem zu sehen, ein goldener Teller des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) erinnert an das Länderspie­l der Gauchos am 27. Mai 1972 in Leipzig mit dem Jenaer Harald Irmscher als Torschütze zum 1:0-Sieg.

Dabei schaffte es die DDR-Nationalel­f nur 1974 zu einem WM-Turnier. Als die Weltmeiste­rschaft aus der Taufe gehoben wurde, existierte der Arbeiter- und Bauernstaa­t noch nicht. Es wäre eine Chance gewesen. Denn eine Qualifikat­ion gab es nicht. Teilnehmen durfte zur Premiere 1930 wer wollte.

 ?? AXEL LUKACSEK ?? Im Estadio Centenario von Montevideo erinnert eine Gedenktafe­l an die erste WM 1930.
AXEL LUKACSEK Im Estadio Centenario von Montevideo erinnert eine Gedenktafe­l an die erste WM 1930.

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