Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
So entlastet der neue Tarifvertrag die Metaller
Der Konflikt in der größten Industriebranche ist abgeräumt. Arbeitgeber und Gewerkschaft loben das Ergebnis
Berlin/Ludwigsburg. Gegen drei Uhr morgens war der Abschluss am Freitag perfekt. Im Forum am Schlosspark in Ludwigshafen wurde bei viel Kaffee, Softgetränken und belegten Brötchen bis zuletzt um Details gefeilscht. In einer harten zwölfstündigen Schlussverhandlung hat die IG Metall in der größten Industriebranche des Landes deutliche Lohnsteigerungen durchgesetzt: Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie erhalten neben einer steuerfreien Inflationsprämie von 3000 Euro auch Entgelterhöhungen in zwei Schritten von insgesamt 8,5 Prozent. „Wir haben hart gerungen und verhandelt, am Ende liegt aber ein akzeptabler Kompromiss auf dem Tisch. Die Kolleginnen und Kollegen bekommen nun endlich die dauerhafte prozentuale Entgelterhöhung, die ihnen zusteht“, sagte der Bezirksleiter der IG-Metall Baden-Württemberg, Roman Zitzelberger, nach der fünften Tarifrunde. Das Ergebnis dient als Pilotabschluss für die gesamte Branche.
Die Tarifeinigung wird voraussichtlich in allen Tarifbezirken übernommen. Dies empfehlen sowohl der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, als auch der IG Metall-Chef Jörg Hofmann. Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und in Thüringen hat sich bereits für eine Übernahme ausgesprochen. Weil die Lohnforderungen der Gewerkschaft vielen Arbeitgebern zu hoch erschienen, stand die letzte Tarifrunde in Baden-Württemberg zwischenzeitlich vor dem Abbruch. Die Gewerkschaft IG Metall hatte zudem mit ganztägigen Warnstreiks und unbefristeten Streiks für den Fall des Scheiterns gedroht.
Der 24 Monate laufende Tarifvertrag ist komplex. Tabellenwirksame, also dauerhaft bleibende Lohnerhöhungen gibt es erstmals im Juni 2023 – nach acht Nullmonaten. Die Beschäftigten erhalten dann 5,2
Prozent mehr Geld. Der zweite Schritt erfolgt elf Monate später, im Mai 2024, mit weiteren 3,3 Prozent. Das durchschnittliche monatliche Entgeltplus über die gesamten zwei Jahre beträgt knapp 4,2 Prozent. Das ist etwas mehr als die Hälfte der von der IG Metall für eine Laufzeit von zwölf Monaten geforderten acht Prozent und liegt damit auf der Linie früherer Abschlüsse.
Die steuerfreie Einmalzahlung von 3000 Euro als Inflationsausgleich stand auch bei den Arbeitgebern nicht infrage. „Das Instrument ist für beide Seiten gut“, so der Gesamtmetall-Chef Wolf. Die Beschäftigten erhielten den Betrag steuerfrei und die Arbeitgeber ersparten sich die Sozialabgaben. Der Betrag kann in zwei Tranchen zu je 1500 Euro Anfang 2023 und 2024 ausgezahlt werden.
„Die Beschäftigten haben demnächst deutlich mehr Geld in der Tasche – und zwar dauerhaft“, sagte IG-Metall-Chef Hofmann. Das bringe den Beschäftigten eine spürbare Entlastung. Durch den Abschluss verdiene ein typischer Facharbeiter durch den Tarifabschluss rund 7000 Euro brutto mehr in den nächsten beiden Jahren, davon 3000 Euro steuerfrei.
In anderen Branchen – außer der Chemieindustrie – sei es den Unternehmen überlassen, diese Einmalzahlung freiwillig zu leisten, sagte Hofmann. Die großen Industriebranchen haben damit vorgelegt. Ob dieses Signal Wirkung zeigt, wird sich ab Januar 2023 herausstellen: Dann beginnt die Tarifrunde im
öffentlichen Dienst: Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Geld für die 2,5
Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen – das ist die höchste Verdi-Forderung aller Zeiten.
Gesamtmetall-Präsident Wolf räumte ein, dass es sich um einen „teuren Abschluss“handele, dieser aber „ein Vorschuss auf das Wachstum ist, auf das wir ab 2024 wieder hoffen“. Die Arbeitgeber erwarten 2023 eine Rezession. Ein Arbeitskampf hätte aber noch größeren Schaden verursacht und wäre ein fatales Signal für den Standort und die Tarifautonomie gewesen, so Wolf.
Wie immer gibt es einige Klauseln, die abweichende Lösungen für Unternehmen in schwieriger Lage beinhalten. Der Tarifabschluss gilt auch nicht automatisch für die 4133 Unternehmen der Branche, die im Arbeitgeberverband OT-Mitglieder sind – also ohne Tarifbindung. Diese vertreten 600.000 Beschäftigte. Die 3247 Vollmitglieder, für die auch der Tarifabschluss gilt, beschäftigen aber 1,86 Millionen Mitarbeiter. Je nach Lage im Betrieb sind Ausnahmen vorgesehen. Das ist nötig, weil Unternehmen in der Zulieferindustrie schon unter der Krise leiden, während die Autoindustrie und einige Maschinenbauer hohe Gewinne erzielen.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnet den Metall-Abschluss gegenüber dieser Redaktion als einen „klugen Kompromiss“, der zugleich eine „erstaunlich moderate Lohnsteigerung“beinhalte. „Die durchschnittliche jährliche Lohnsteige
rung beträgt 4,2 Prozent für die kommenden beiden Jahre, was deutlich unter der Inflation von 7 bis 10 Prozent liegen wird“, rechnet Fratzscher vor. „Somit erfahren Beschäftigte einen deutlichen Rückgang
ihrer Reallöhne und damit ihrer Kaufkraft.“Damit zeige auch der Tarifabschluss, dass Sorgen über eine Lohn-Preisspirale unbegründet seien. „Die Gefahr von zu geringen Lohnsteigerungen, und
damit einem starken Einbruch des Konsums und einer tieferen Rezession, ist höher als von zu starken Lohnerhöhungen, die die Unternehmen in Schieflage bringen könnten.“
Der Abschluss ist ein Vorschuss auf das Wachstum, auf das wir ab 2024 wieder hoffen. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall