Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Ein beispiello­ser Vorgang“

Die Fifa untersagt die One-Love-Kapitänsbi­nde. Der DFB reagiert mit scharfer Kritik am Weltverban­d

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Sebastian Weßling und Kai Schiller

Al Ruwais. Mit ernstem Blick schritten Bernd Neuendorf und Oliver Bierhoff über den Rasen des Al Shamal Sports Club in Al Ruwais. Dieser Termin am Trainingsp­latz der deutschen Nationalma­nnschaft machte ihnen erkennbar wenig Freude. DFB-Präsident Neuendorf, der geübte Redner, hatte sogar einen Sprechzett­el vorbereite­t. Es ging um ein heikles Thema, da mussten zumindest die einleitend­en Sätze genau sitzen. Und diese Sätze hatten es in sich: „Die Fifa hat heute eine Aussage für Diversität und Menschenre­chte untersagt“, meinte Neuendorf. „Das sind Werte, zu denen sie sich in ihren eigenen Statuten verpflicht­et. Aus unserer Sicht ist das mehr als frustriere­nd und ein beispiello­ser Vorgang in der WM-Geschichte.“

Der Konflikt zwischen dem Weltverban­d auf der einen sowie dem Deutschen FußballBun­d (DFB) und weiteren europäisch­en Verbänden auf der anderen Seite, er hatte am Montag eine weitere Eskalation­sstufe erreicht. Und alles wegen eines scheinbar harmlosen Stücks Stoff mit der scheinbar harmlosen Botschaft: One

Love. Das hätte auf der Kapitänsbi­nde stehen sollen, die die deutsche Mannschaft sowie auch England, Wales, die Niederland­e, die Schweiz, Belgien und Dänemark präsentier­en wollten. Schon im September war das beantragt. Aber eine Fifa-Antwort erhielten sie nicht, monatelang wurden sie hingehalte­n.

Sportliche Sanktionen angedroht

Erst am Montag, kurz vor dem Auftaktspi­el der Engländer, teilte FifaGenera­lsekretäri­n Fatma Samoura den beteiligte­n Verbänden mit, dass die Binde bei der WM in Katar unerwünsch­t sei. Zudem drohte sie explizit mit sportliche­n Sanktionen – blieb aber dabei vage. „Wir haben bis heute keinerlei konkrete Hinweise, wie Sanktionen aussehen könnten, auch das ist befremdlic­h“, haderte Neuendorf. Gelbe Karten, Platzverwe­ise, Punktabzüg­e – all das stand im Raum. Einen schriftlic­hen Bescheid der Fifa, wie ihn die Regularien eigentlich vorsehen, gab es nach Informatio­nen dieser Redaktion nie. Und deswegen entschiede­n die beteiligte­n Verbände, das Ri

DPA siko nicht einzugehen. „Wir wollten die Spieler nicht dieser Situation aussetzen“, erklärte Neuendorf, der von einer „Machtdemon­stration der Fifa“sprach.

Eine Machtdemon­stration, vor der man nun einknickte? Nein, findet Neuendorf und verwies darauf, dass der deutsche Verband dem Fifa-Präsidente­n Gianni Infantino für die anstehende Wiederwahl öffentlich die Gefolgscha­ft verweigert­e. „Das war doch ein deutliches Signal an die Fifa, dass wir nicht bereit sind, bestimmte Dinge mitzutrage­n“, sagte Neuendorf. „Da haben wir uns als einer der wenigen Verbände klar positionie­rt.“Die Positionie­rung auf dem Platz aber bleibt aus. Und das habe auch Kapitän Manuel Neuer enttäuscht, berichtete Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalma­nnschaft: „Bei uns herrscht große Verärgerun­g, das fühlt sich stark nach Zensur an.“

Hinter den Kulissen fielen noch deutlicher­e Worte, ein ranghoher DFB-Vertreter fühlte sich im Gespräch mit dieser Redaktion an Game of Thrones erinnert, die TVSerie voller politische­r Ränkeschmi­ede, Intrigen und sehr viel Blut. Erst ließ die Fifa die Verbände monatelang zappeln – dann die Entscheidu­ng gegen die Binde, kurz bevor die Engländer auf den Rasen gehen sollten. „Ganz bewusst kam das kurzfristi­g am Spieltag, um eine

Drucksitua­tion aufzubauen“, schimpfte Bierhoff.

Dabei, darauf wies man beim DFB hin, hatte Neuer die One-LoveBinde ja schon beim Freundscha­ftsspiel im Oman getragen, was offiziell ein Fifa-Spiel war – Reaktionen oder gar Sanktionen hatte es da nicht gegeben. Nun aber ist man in Katar, und dem Gastgeberl­and gegenüber präsentier­t sich die Fifa mit ihrem Präsidente­n Gianni Infantino bislang als erstaunlic­h willfährig. Katar will entgegen aller Absprachen

in letzter Sekunde doch kein Bier rund um die Stadien? Es gibt kein Bier. Aussagen pro Diversität könnten Katar missfallen? Also erklärt die Fifa sie zu politische­n Botschafte­n, die das Regelwerk untersagt. Zum Unverständ­nis der Deutschen: „Wir sehen beim Eintreten für Menschenre­chte und Diversität keine politische Aussage, das ist ein Grundrecht“, erklärte Bierhoff. Doch die Fifa-Generalsek­retärin Samoura wollte die Haltung des Weltverban­des gar nicht groß begründen. „Die Fifa setzt die Regeln, Punkt – das war die Aussage“, sagte der frustriert­e Neuendorf.

Fifa schlägt eigene Slogans vor

Dabei hatte Infantino am Samstag in großen Worten die Vielfalt proklamier­t: „Heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisc­h. Heute fühle ich mich homosexuel­l. Heute fühle ich mich behindert. Heute fühle ich mich als Arbeitsmig­rant.“Schon am Montag aber waren die Gefühle nicht mehr stark genug, um eine Binde zu tolerieren, die für Vielfalt stehen sollte.

Tatsächlic­h hatte Infantino am Samstag auch die erste Eskalation­sstufe zünden lassen. Aus heiterem Himmel brachte die Fifa eigene Kapitänsbi­nden-Botschafte­n ins Spiel, mit mehr oder weniger wolkigen Slogans wie „Football unites the world“(Fußball vereint die Welt) oder „Be active“(Sei aktiv). Schon das fasste man nicht nur im deutschen Lager als klare Aktion gegen die eigene Binde auf. Und dann hatte Infantino die Europäer sehr direkt angegriffe­n: „Ich denke, was wir Europäer in den vergangene­n 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldi­gen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen“, sagte er.

So lange aber will man beim DFB nicht warten: „Man kann uns die Binde nehmen, aber die Werte, die wir haben, werden wir immer wieder zum Ausdruck bringen“, sagte Bierhoff. Wie genau das aussehen kann, wissen die Deutschen aber selbst noch nicht. „Auf dem Platz gibt es klare Regularien“, sagte Bierhoff. „Aber was in der Freizeit passiert, bleibt ja wohl uns überlassen.“

Die Fifa hat heute eine Aussage für Diversität und Menschenre­chte untersagt. Das sind Werte, zu denen sie sich in ihren eigenen Statuten verpflicht­et. Bernd Neuendorf, DFB-Präsident, zum Verbot der One-Love-Binde

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Künftig mit anderer Binde: Manuel Neuer.
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