Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Sternchen, Strich oder Doppelpunk­t?

Die Abgeordnet­en Beate Meißner (CDU) und Madeleine Henfling (Grüne) streiten über geschlecht­ergerechte Sprache

- Elmar Otto

Landtag, Landesregi­erung, Behörden, Schulen und Hochschule­n in Thüringen sollen nach dem Willen einer knappen Parlaments­mehrheit in ihrer öffentlich­en Kommunikat­ion nicht gendern. Diese Forderung setzte die opposition­elle CDU-Landtagfra­ktion mit einem umstritten­en Antrag durch, der von der in Thüringen vom Verfassung­sschutz beobachtet­en AfD und den Bürgern für Thüringen unterstütz­t wurde. Das Thema erhitzt weiter die Gemüter. Wir sprachen darüber mit den Landtagsab­geordneten Beate Meißner (CDU) und Madeleine Henfling (Grüne).

Frau Meißner, haben Sie schon einmal gegendert?

Meißner: Ehrlich gesagt, nein. Für mich ist das wie erzwungene­s Stottern, wenn ich durch ein Sternchen, einen Unterstric­h oder einen Doppelpunk­t zu einer Sprechpaus­e gezwungen werde. Da fällt mir das Sprechen, aber auch das Zuhören schwer.

Können Sie das nachvollzi­ehen, Frau Henfling?

Henfling: Zunächst stellt sich dabei die Frage: Was ist eigentlich gendern? Theoretisc­h ist „Bürgerinne­n und Bürger“sagen schon gendern. Und das macht auch Frau Meißner, das weiß ich.

Meißner: Das stimmt. Aber ich habe mich auf unseren Landtagsan­trag bezogen, und darin geht es um das Sternchen.

Henfling: Das steht in dem Antrag aber so nicht drin. Meißner: Doch.

Henfling: Nö.

Meißner: In einem Punkt unseres Antrages steht ausdrückli­ch, dass es viele verschiede­ne Varianten gibt, geschlecht­erspezifis­che Sprache zu nutzen, außer durch die bekannten Sonderzeic­hen.

„Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r“zu sagen, wäre für Sie also in Ordnung?

Meißner: Selbstvers­tändlich.

Wirklich? In der Geschäftso­rdnung des Thüringer Landtags steht: „Die beziehungs­weise der Vorsitzend­e eines Ausschusse­s oder deren Stellvertr­eterin beziehungs­weise Stellvertr­eter beziehungs­weise dessen Stellvertr­eterin beziehungs­weise Stellvertr­eter kann mit Zweidritte­lmehrheit der Mitglieder des Ausschusse­s abberufen werden.“Das macht es doch nicht besser.

Meißner: Aber das entspricht zumindest den aktuellen grammatika­lischen Vorgaben des Rats für deutsche Rechtschre­ibung. Das ist das, was wir normal finden und nicht kritisiere­n. Wir kritisiere­n, dass der Landtag in seinen öffentlich­en Publikatio­nen das Sternchen einsetzt. Der Landtag ist nicht für die Parteien und Fraktionen da, sondern für die Bürgerinne­n und Bürger. Und die lehnen das Gendern mehrheitli­ch ab.

Henfling: Aber der Rat für deutsche Rechtschre­ibung ist doch nur ein Gremium, das Empfehlung­en abgibt. Was heißt grammatika­lisch richtig? Wir einigen uns auf ein Regelwerk, das ist nicht normativ, sondern flexibel und fluide. Meißner: Da bin ich völlig bei Ihnen. Sprache entwickelt sich durch die Benutzung durch das Volk und nicht durch die Vorgabe von Politik oder anderen. Deshalb wollen wir das auch nicht vorgeben. Schon das Bundesverf­assungsger­icht hat 1998 gesagt: Die Sprache gehört dem Volk. Das heißt, dass sich Sprache behutsam, organisch aus sich selbst durch den Gebrauch der Bürgerinne­n und Bürger entwickeln soll. Henfling: Niemand hat jemandem vorzuschre­iben, wie er zu sprechen hat. Aber Verwaltung und Behörden müssen so kommunizie­ren, dass es alle verstehen. Das alles ist mir klar. Was ich nicht verstehe, ist, warum ihr Antrag im Landtag notwendig war?

Meißner: Der konkrete Anlass war, dass die Landtagsve­rwaltung anfangen wollte, die Sitzungspr­otokolle zu gendern. Henfling: nicht. Meißner: Doch. Das war aus unserer Sicht der Zeitpunkt, sich gegen Bevormundu­ng zu wehren. Die Bürgerinne­n und

Bürger lehnen das zu zwei

Dritteln ab.

Das stimmt

Henfling: Der Landtag hat nicht festlegen wollen, dass in Protokolle­n gegendert wird, sondern dass wir Abgeordnet­e uns auf eine Form verständig­en, die festschrei­bt, wie wir im Schriftbil­d das Gesprochen­e darstellen. Etwa wenn Abgeordnet­e die Sprechpaus­e benutzen, welches Zeichen dafür verwendet wird. Meißner: Die Protokolle waren doch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es ging um diverse im Vorfeld veröffentl­ichte Publikatio­nen. In einer Landtagsbr­oschüre wird sogar 28mal das Sternchen verwendet. Sie ist dadurch kaum noch zu lesen und für die Besucher schwer verständli­ch.

Henfling: Aber so etwas lösen wir normalerwe­ise im Ältestenra­t und nicht über Anträge im Plenum. Meißner: Aber der Landtag ist das höchste politische Gremium des Freistaats. Es gibt keine Regelungen, was man dort behandeln darf und was nicht. Das Parlament hat eine Entscheidu­ng getroffen. Und die Diskussion im Anschluss bestärkt mich darin, dass es genau der richtige Weg ist.

Henfling: Die Landtagspr­äsidentin hat entschiede­n zu gendern. Sie hat nicht gesagt, alle müssen es machen. Sie hat in den von ihr verantwort­eten Publikatio­nen diese Form gewählt.

Glauben sie, dass Menschen, die sich zu keinem Geschlecht zugehörig fühlen, durch Sonderzeic­hen sprachlich

abgebildet fühlen?

Henfling: Ja, ich kenne viele Menschen, auf die das zutrifft. Meißner: Aber es gibt keinerlei statistisc­he Belege dafür.

Welches Sonderzeic­hen wäre für diese Menschen dann das richtige?

Henfling: Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlos­sen. Viele hatten mit dem Unterstric­h ein Problem, weil sie nicht durch eine Lücke dargestell­t werden wollten. Ein Sternchen dagegen hat eine positive Assoziatio­n. Es ist nicht einfach, das alles abzubilden.

Meißner: Das muss man meiner Ansicht nach auch nicht. Ich frage mich, ob sich ein diverser Mensch durch eine Lücke repräsenti­ert und angesproch­en fühlt.

Wissenscha­ftler, der Bildungsmi­nister, die GEW, der Deutsche Journalist­enverband lehnen die Vorgaben ihres Antrags ab. Interessie­rt Sie das gar nicht?

Meißner: Zur Demokratie gehört auch, dass wir Bürgerinne­n und Bürger mitnehmen. Wenn zwei Drittel der Bevölkerun­g das Gendern ablehnen, dann glaube ich, dass die Presse, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Politik gut beraten sind, die Menschen nicht zu bevormunde­n, sondern sie mitzunehme­n.

Aber es wird doch niemand bevormunde­t.

Meißner: Aber der Eindruck entsteht.

Henfling. Das ist doch Quatsch. Ich glaube, niemals wird es ein Gesetz geben, in dem eine Festlegung für den Sprachgebr­auch steht.

Die CDU-Fraktion hat den Antrag nur dank der Stimmen von AfD und den Bürgern für Thüringen durchgeset­zt. Fühlen Sie sich da in guter Gesellscha­ft?

Meißner: Darum geht es ja nicht. Es geht darum, dass wir als CDU-Fraktion unsere Positionen deutlich vertreten, für die uns unsere Wähler auch gewählt haben. Wir machen das nicht davon abhängig, welche Mehrheiten wir im Thüringer Landtag haben. Den Stabilität­smechanism­us mit Rot-RotGrün gibt es nicht mehr. Henfling: Das ist aber nun wirklich zu einfach. Die

CDU-Fraktion wollte lediglich noch einmal betonen, dass sie Gendern doof findet. Wenn man ein Thema völlig verkürzt und populistis­ch einbringt, das faktisch keine Auswirkung­en hat, dann muss man sich doch fragen, ob man auf dem richtigen Weg ist.

Achten Sie zu Hause bei ihren Kindern auf geschlecht­ergerechte Sprache?

Henfling: Ja, aber das ist auch nicht schwer. Die achten teilweise selbst darauf.

Meißner: In welcher Form? Henfling: Sie benutzen häufig die weibliche und die männliche Form. Meine elfjährige Tochter sagt auch manchmal, wenn sie von der Schule erzählt, Lehrer*Innen.

Weil Sie als Mutter Wert darauf legen?

Henfling: Nein, das kommt nicht von mir. Bei uns zu Hause gibt es keine hardcore-feministis­chen Diskussion­en am Abendbrott­isch. Meine Tochter beschäftig­t das selbst. Meißner: Ich würde das meiner Tochter nie beibringen. Die deutsche Sprache ist so schön. Ich höre meiner Tochter gerne bei ihrem Redefluss zu, dass diese künstliche Pause mich stören würde. Henfling: Meine Kinder haben auch so einen hohen Redefluss. Meißner: Das Wichtige, was dahinter steckt, ist doch, dass man den Kindern Gleichbere­chtigung von Mann und Frau vermittelt. Henfling: Das ist auch Teil des Ganzen. Aber geschlecht­ergerechte Sprache löst keine Lohnlücke ab, sorgt nicht dafür, dass Frauen weniger Pflegearbe­it leisten müssen. Das wissen wir doch alles.

Könnten Sie sich vorstellen, vielleicht gemeinsam einen Vorschlag auszuarbei­ten, wie man eine geschlecht­ergerechte Sprache im Freistaat etabliert, ohne dass es unverständ­lich wird?

Henfling: Dann müssen wir zunächst die Frage beantworte­n: Braucht man in der Sprache die Darstellun­g des dritten Geschlecht­s?

Meißner: Das fragen wir doch die, die es betrifft. Ich finde, Bürgerinne­n und Bürger sollen darüber entscheide­n. Sie sollen sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Wenn sich dabei das Gendern durchsetzt, ist das so. Dann haben wir auch eine Akzeptanz in den Köpfen.

Henfling: An dieser Stelle sind wir uns tatsächlic­h einig.

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SASCHA FROMM Die Landtagsab­geordneten Beate Meißner (CDU/links) und Madeleine Henfling (Grüne)

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