Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Wohnen und helfen
Der DRK-Kreisverband Jena-Eisenberg-Stadtroda startet ein unkonventionelles Projekt für Studenten und Azubis
Für den 19-jährigen Adrian Dietzsch ist es ein perfekter Deal: Er darf in einem Seniorenheim in Jena-Winzerla ein schönes Appartement zum moderaten Preis bewohnen – und leistet dafür rund 20 Stunden im Monat in der Pflege in diesem Heim. Gegen Vergütung, versteht sich. Der Medizinstudent aus Tübingen studiert seit Semesterbeginn in Jena und hat vorher alles Mögliche versucht, um eine Bleibe zu finden. Beim Studierendenwerk bekam er schließlich den Tipp mit dem DRK-Heim Am Kleinertal, in dem gerade erst dieses Projekt gestartet wurde. Der Betreiber, der DRK-Kreisverband Jena-EisenbergStadtroda, bietet dort Studenten an, teilmöblierte Einzel- oder Doppelzimmer in einem stillgelegten Bereich des Wohnheims zu nutzen und sich im Gegenzug im Heim nützlich zu machen.
Das heißt: Der Verband nimmt nur junge Mieter auf, die dazu bereit sind, entweder in der Pflege oder aber bei der sozialen Betreuung von Bewohnern dieses Heims mitzutun. Und das in einem Stundenumfang, der die Mieter, die sich damit auch ein Stück weit das Studium finanzieren können, nicht überfordert.
„Für mich hat es einfach gepasst“, sagt Adrian Dietzsch, der als Erster eines der sanierten Zimmer im Erdgeschoss des Heims bezog und sich inzwischen eingelebt hat. Er sei in der Stadt zwar viel mit dem Rad unterwegs, aber auch die Anbindung mit Bus und Bahn sei sehr gut. Mehrere Einkaufsmöglichkeiten finden sich gleich nebenan.
Drei Doppel-, acht Einzelzimmer mit Bad und Außenzugang
Und nicht zuletzt sei es von Vorteil für sein Studium, in der Pflege Erfahrungen zu sammeln. „Im Moment läuft er noch mit uns mit“, sagt Heimleiterin Carolina Buske. Aber sobald sich Adrian eingearbeitet habe und sich die Tätigkeiten auch selbst zutraue, werde er eingesetzt und im Dienstplan fest eingeplant.
„Wir helfen uns gegenseitig, im Grunde ist das eine klassische Winwin-Situation“, sagt Verbandsgeschäftsführer Peter Schreiber, der dieses Modell vor Jahren in den Niederlanden entdeckt hat.
Das Pflegeheim, berichtet Schreiber, sei 1988 als 200-Betten-Haus geplant und gebaut worden, seit 2002 ist das DRK der Betreiber. Zunächst seien 184 Bewohner in insgesamt sechs Wohneinheiten betreut worden. Doch gerade in den
vergangenen Jahren sei es immer schwieriger geworden, dafür genügend Personal zu finden. „Und das nicht etwa, weil wir unsere Leute schlecht bezahlen würden. Im Gegenteil: Wir bezahlen sie gut.“Der Pflegebereich, findet Schreiber, sei schlicht ein Stück weit „kaputterzählt worden“. Deshalb hätten nicht mehr alle Stellen nachbesetzt werden können.
Vor vier Jahren sei schließlich die Entscheidung gefallen, einen der Wohnbereiche zu schließen, um für die anderen fünf mit insgesamt 158 Pflegeplätzen genügend Pflegekräfte zu haben. „Seither stand der Wohnbereich 1 leer“, sagt Schreiber. Man habe überlegt, dort andere Betreuungsformen anzubieten. Doch auch die hätten wieder Personal vorausgesetzt, das es nicht gibt.
Im Frühjahr sei ihm dann wieder die Idee mit der Vermietung gegen Hilfe „durch den Kopf gegeistert“und letztlich in die Tat umgesetzt worden: „Wir bieten 14 Plätze in drei Doppel- und acht Einzelzimmern von 33 beziehungsweise 16 Quadratmetern Größe an, alle mit eigenem Bad“, sagt der Geschäftsführer. Die Appartements haben einen separaten Außenzugang, eine voll ausgestattete Gemeinschaftsküche, eine Terrasse und – für junge Leute wie Adrian nicht unwichtig – einen Hauswirtschaftsraum mit kostenfrei nutzbaren Waschmaschinen und Trocknern. Die Zimmer sind in Tipptopp-Zustand, die Mieter können sofort einziehen. Die Miete liegt bei 250 beziehungsweise 500 Euro im Monat, was in einer Studentenstadt wie Jena fast schon ein Schnäppchen ist.
Auch Auszubildende finden hier günstigen Wohnraum
Parallel zum Mietvertrag schließt der Heimbetreiber mit den Mietern einen Arbeitsvertrag; gezahlt wird Mindestlohn. „Es muss aber auch passen, menschlich und überhaupt“, ergänzt Heimleiterin Carolina Buske. Erfahrungen in der Pflege seien zwar keine Bedingung. Aber man dürfe keine Berührungsängste haben und müsse dazu bereit sein, sich auf die Heimbewohner zwischen derzeit 50 und 101 Jahren einzulassen. „Es braucht Akzeptanz
von beiden Seiten.“Zudem müsse es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Pflege und sozialer Betreuung geben, die beispielsweise Begleitung zum Einkauf oder Gesellschaftsspiele einschließe. „Würden alle nur in der Betreuung arbeiten wollen, wäre uns damit nicht gedient“, stellt Carolina Buske klar.
Inzwischen habe die Etage schon vier Bewohner, darunter zwei Auszubildende. Denn nicht nur für Studenten sei der Wohnraum extrem knapp und teuer, auch für Auszubildende, „an die wir anfangs überhaupt nicht gedacht haben“, so Peter Schreiber. Die neuen Bewohner kommen aus Vietnam, Marokko und Afghanistan und sind – wie Adrian Dietzsch schon festgestellt hat – „alle sehr ruhig“.
Bei Carolina Buske wecken die jungen Leute auch den Mutterinstinkt – sie ist für alle Fragen Ansprechpartnerin. Bei der Dienstplanung wird sie Rücksicht auf Klausuren und Prüfungen nehmen. Doch genauso setzt sie sich dafür ein, dass bei Medizinstudenten wie Adrian die in der Pflege geleisteten Stunden als Teil des 90-tägigen Pflichtpflegepraktikums anerkannt werden. Das DRK-Projekt „Wohnen und Helfen“, so viel ist bereits sicher, nimmt einen vielversprechenden Anfang.