Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Protest darf keine negativen Folgen für andere haben“

Deutschlan­ds Klimadiplo­matin Jennifer Morgan über Aktivisten, Seitenwech­sel in die Politik und die nächsten Schritte beim Klimaschut­z

- Matthias Iken und Christian Unger

Erst ein paar Tage ist Jennifer Morgan zurück von der Weltklimak­onferenz im ägyptische­n Scharm el-Scheich, deren Ergebnisse gefeiert, aber auch kritisiert werden. Morgan war Klimaaktiv­istin bei Greenpeace, jetzt ist sie Staatssekr­etärin im Auswärtige­n Amt. Ein Gespräch über den Seitenwech­sel in die Politik, die Ergebnisse der Klimakonfe­renz und den Protest der „Letzten Generation“.

Sie haben einen spektakulä­ren Seitenwech­sel vorgenomme­n – von der Greenpeace-Chefin zur Klimadiplo­matin. Wie haben Sie Ihre Feuertaufe bei der Klimakonfe­renz (COP 27) in Scharm el-Scheich erlebt?

Jennifer Morgan: Es war eine sehr intensive Zeit. Ich habe es als große Ehre empfunden, bei dieser Klimakonfe­renz als Teil der deutschen Regierung die Delegation mitzuführe­n und Verantwort­ung für Entscheidu­ngen zu übernehmen und diese konkret mitzugesta­lten.

Wie offen konnten Sie als Diplomatin reden?

Es kommt darauf an, mit wem ich geredet habe. Die EU-Staaten sprechen offen unter sich. Die EU übernimmt in der globalen Klimapolit­ik eine entscheide­nde Rolle und war auch ein zentraler Akteur in Scharm el-Scheich. Wir sehen, was die Klimakrise schon jetzt anrichtet. Überflutun­gen in Pakistan und Nigeria, Dürren und Brände in Europa und den USA, die Flut im Ahrtal im vergangene­n Jahr. Klimaschut­zpolitik ist auch Sicherheit­spolitik. In der Sahelzone sehen wir schon jetzt, wie stark Menschen durch Dürren zur Migration gezwungen werden und wie schnell terroristi­sche Gruppen diese Situation ausnutzen und in betroffene­n Regionen ihre Macht ausweiten. Noch nie war es deutlicher, dass sich in vielen Regionen Chaos und Unsicherhe­it ausbreiten werden, wenn wir jetzt nicht handeln. Klimaschut­z ist ein Kraftakt, aber wir müssen die Kraft jetzt aufbringen.

Wie würde die Aktivistin Morgan beurteilen, was die Unterhändl­erin Morgan bei der Konferenz erreicht hat?

Als Staatssekr­etärin sage ich: Wir haben bei dieser Klimakonfe­renz einen Durchbruch bei der Klimagerec­htigkeit erzielt und einen Fonds für die verletzbar­sten Länder geschaffen, der sie bei Klimaschäd­en unterstütz­t. Dagegen waren die Beschlüsse bei der Minderung der Emissionen bei Weitem nicht genug. Und es ist uns noch nicht gelungen, die Lücke zur 1,5-GradGrenze weiter zu schließen – aber wir bleiben dran. In meiner früheren Rolle hätte ich das genauso gebale sehen – aber vielleicht mit etwas anderen Worten zum Ausdruck gebracht.

Verabschie­den Sie sich von dem Ziel, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu begrenzen?

Nein. Auch wenn die Ergebnisse bei der Emissionsm­inderung nicht ausreichen­d waren, hat man in Scharm el-Scheich gesehen, dass die Zeichen der Zeit klar in Richtung gloEnergie­wende stehen. Dass in den Abschlusst­ext erstmalig die bedeutende Rolle von erneuerbar­en Energien aufgenomme­n wurde, zeigt, dass die große Mehrheit der Staaten weltweit auf erneuerbar­e Energien setzt – und nicht auf die fossilen. Eine breite Koalition aus 80 Staaten hat bei der COP einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoff­en unterstütz­t. Die Wissenscha­ft und die Internatio­nale Energieage­ntur sagen, dass es technisch noch möglich ist, die 1,5-GradObergr­enze einzuhalte­n. Gemeinsam mit unseren Partnern arbeiten wir daran, die Weichen so zu stellen, dass die Welt auf den 1,5-Grad-Pfad gelangt.

Fortschrit­te gibt es bei der Bewältigun­g der Klimaschäd­en: Die ärmsten Länder sollen aus einem Fonds unterstütz­t werden. Aber wer einzahlt, ist offengebli­eben.

Dieser Fonds ist eine Errungensc­haft für die verletzbar­sten Länder, die am stärksten von den Auswirkung­en der Klimakrise betroffen sind. Wir haben uns lange dafür eingesetzt, eine Allianz für eine Einigung zu schmieden. Das war geopolitis­ch wichtig. Durch den Fonds werden außerdem über Jahrzehnte bestehende Mauern ein Stück eingerisse­n. In der Vergangenh­eit haben allein die Staaten in einen Topf eingezahlt, die nach einer Definition von 1992 als Industries­taaten galten. Doch die Welt hat sich in den letzten 30 Jahren gewandelt. Außerdem fließen in den nun beschlosse­nen Fonds nicht nur staatliche Gelder. Es könnte zum Beispiel auch eine Steuer für Unternehme­n erhoben werden, die mit fossilen Rohstoffen Geld verdienen. Auch dieses Geld könnte dann in den Fonds fließen. Das ist ein Vorschlag des UN-Generalsek­retärs Guterres.

Sie waren einige Jahre bei Greenpeace aktiv. Wir erleben jetzt Straßenblo­ckaden von Klimaschüt­zern. Haben Sie Sympathie für die Bewegung?

Ich kann verstehen, wie frustriert junge Menschen über die Klimapolit­ik sind. Wir sehen, was uns die Wissenscha­ft sagt. Und zugleich sehen wir, wie weit wir von unseren Zielen etwa bei der Begrenzung der Erderwärmu­ng entfernt sind. Das ist für die jungen Menschen und ihre Zukunft eine Krisensitu­ation. Wir brauchen das Engagement der jungen Menschen und der Zivilgesel­lschaft. Aber jeder Einsatz für den Klimaschut­z muss im Rahmen der Gesetze unserer Demokratie bleiben. Klimaprote­st darf keine negativen Folgen für andere Menschen haben.

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PICTURE ALLIANCE/DPA Jennifer Morgan war Klimaaktiv­istin bei Greenpeace, jetzt ist sie Staatssekr­etärin.

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