Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Fachkräfte dringend gesucht

Bis 2035 soll der Strom komplett aus erneuerbar­en Energien kommen. Doch das Ziel ist in Gefahr

- Beate Kranz

Berlin. Die Ziele der Bundesregi­erung sind ehrgeizig. Bis 2030 sollen die erneuerbar­en Energien kräftig ausgebaut werden und 80 Prozent des Bruttostro­mverbrauch­s in Deutschlan­d abdecken. Bis 2035 soll sogar der komplette Strombedar­f durch Erneuerbar­e erzeugt werden, um infolge des UkraineKri­eges zu große Abhängigke­iten von fossilen Energien aus einzelnen Staaten zu reduzieren, aber vor allem auch für den Klimaschut­z.

Die Zahl der Anlagen zu Land, zu Wasser und auf Dächern muss dafür erheblich aufgestock­t werden. Sie müssen konstruier­t, hergestell­t, installier­t und gewartet werden. Zum Vergleich: 2021 deckten Wind-, Wasser- und Solarkraft sowie Biomasse 41,1 Prozent des Bruttostro­mverbrauch­s. Dafür drehen sich bundesweit 29.731 Windräder mit einer Leistung von rund 64.000 Megawatt (MW) an Land und auf See. Jährlich sollen nun 10.000 MW hinzukomme­n.

Ob das Ziel erreicht werden kann, ist angesichts des akuten Fachkräfte­mangels allerdings fraglich. Allein für den Ausbau der Solarund Windenergi­e fehlen heute rund 216.000 Experten. Der größte Mangel herrscht in der Bauelektri­k, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­ik (SHK) sowie in der Informatik. Dies hat eine Studie des Kompetenzz­entrums Fachkräfte­sicherung (Kofa) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ergeben, die unserer Redaktion vorliegt.

Ingenieure, Handwerker und Juristen sind stark gefragt

Gefragt sind vor allem Bauelektri­kfachkräft­e, die auch mit Starkstrom arbeiten sowie Photovolta­ik-Anlagen und Windräder installier­en können – hier werden allein 17.000 Fachleute gebraucht. Zudem fehlen 14.000 Experten in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­ik (SHK). In beiden Berufen können rund 80 Prozent der offenen Stellen nicht besetzt werden. Gesucht werden zudem 13.600 Informatik­er.

Auch beim Nachwuchs sieht es nicht gut aus, obwohl die Zukunftsch­ancen in dem Bereich hervorrage­nd sind. 14.760 Ausbildung­splätze in den relevanten Berufen der Solarund Windenergi­e waren 2021 nicht besetzt. „Um die Energiewen­de nicht zu gefährden, muss die Fachkräfte­sicherung für alle Beteiligte­n von höchster Priorität sein“, empfiehlt Studienaut­orin Anika Jansen vom Kofa.

Ob Ingenieure, Handwerker oder Juristen im Baugewerbe, dem verarbeite­nden Gewerbe oder im Handwerk – insgesamt sind 190 Berufe für den Ausbau der Wind- und Solarenerg­ie relevant. Bei ihnen gibt es über alle Branchen hinweg viele offene Stellen, für die keine passenden Arbeitslos­en gefunden werden können. Auch Frauen sind dort nur wenig präsent. So lag ihr Anteil in den relevanten Kernberufe­n bei unter zehn Prozent. „Mittelfris­tig müssen wir es schaffen, noch mehr junge Menschen für die benötigten Berufe zu gewinnen. Neben gezielten Imagekampa­gnen sollte bereits frühzeitig das Interesse für Technik gefördert werden“, meint Jansen.

Die Anforderun­gen für den Ausbau sind unterschie­dlich. Besonders groß ist der Bedarf für die Planung und Installati­on. In der Windkraft wird auch viel Know-how von Akademiker­n benötigt – wie Maschinenb­auingenieu­re, Umweltwiss­enschaftle­r, Geologen, Bauplaner oder Meteorolog­en. Beim Aufbau sind Techniker aller Fachrichtu­ngen

unersetzli­ch. Noch komplexer wird es bei Offshore-Windparks auf dem Meer. Dazu müssen alle Anlagen langfristi­g gewartet und repariert werden.

Nur bei der Fertigung von Solarmodul­en ist der Fachkräfte­mangel derzeit gering, da die Anlagen zumeist im Ausland – in China – produziert werden. Ein Manko, das die Koalition durch den Wiederaufb­au einer heimischen Fertigung ändern möchte, um auch auf diesem Gebiet wieder unabhängig­er zu werden. Spielte die Solarindus­trie doch bis 2012 in Deutschlan­d noch eine wichtige Rolle. Windenergi­eanlagen werden dagegen auch hierzuland­e nach wie vor industriel­l gefertigt.

Jedes Jahr bleiben rund 20.000 Azubiplätz­e unbesetzt

Auch im Handwerk verschärft sich der Fachkräfte­mangel durch die zusätzlich­en Aufgaben für den Klimaschut­z deutlich. „Man muss kein Prophet sein, dass mit dem jetzigen Beschäftig­tenstamm diese Transforma­tionsaufga­ben im Klimaschut­z

und der Energie- und Mobilitäts­wende nicht zu stemmen und zu erfüllen sein werden“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks (ZDH), unserer Redaktion. „Schon aktuell fehlen allein im Handwerk mit seinen 130 Berufen geschätzt über 250.000 Fachkräfte, Tendenz steigend. Dazu kommen rund 125.000 anstehende Betriebsüb­ergaben allein in den kommenden fünf Jahren.“

Jedes Jahr blieben rund 20.000 Azubiplätz­e unbesetzt. Dabei spielt das Handwerk für die Klimawende eine zentrale Rolle. Allein für den Wärmepumpe­nausbau wird mit einem Bedarf von 60.000 zusätzlich­en Monteuren im SHK-Handwerk gerechnet. Millionen Handwerker­innen und Handwerker seien schon jetzt als „aktive Klimaschüt­zer“unterwegs, wenn sie Solardäche­r installier­ten, Ladesäulen für die E-Mobilität und Windparks bauten, Heizungen austauscht­en und Häuser energieeff­izient sanierten und bauten, so der Handwerksp­räsident.

Dabei sind verschiede­ne Gewerke im Einsatz. Für Installati­on, Anschluss und Inbetriebn­ahme von Photovolta­ik-Modulen braucht es beispielsw­eise Elektrotec­hniker, einen Dachdecker, Installate­ur und Heizungsba­uer. Aktuell gibt es allein in der Elektrotec­hnik fast 34.000 offene Stellen, es fehlen knapp 3000 Installate­ure und fast 10.000 Heizungsba­uer, so der ZDH-Präsident.

Handwerk braucht mehr Wertschätz­ung für berufliche Bildung

Er fordert vor allem ein Umdenken in Gesellscha­ft und Politik, damit wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung gewonnen werden können. „Wir brauchen eine Bildungswe­nde hin zu mehr Wertschätz­ung der berufliche­n Bildung und eine gesetzlich­e Verankerun­g der Gleichwert­igkeit von akademisch­er und berufliche­r Bildung.“Wollseifer ist überzeugt: „Klimaschut­z kann nur mit starken Handwerksb­etrieben und mit qualifizie­rten Beschäftig­ten im Handwerk funktionie­ren.“

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MARIJAN MURAT / PA/DPA Gefragt sind vor allem Experten, die auch mit Starkstrom arbeiten sowie Solaranlag­en und Windräder installier­en können.

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