Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Worte ohne Verfallsda­tum

Der Bödecker-Kreis hat Matthias Biskupeks Online-Tagebuch herausgege­ben. Klassensät­ze erhältlich für Thüringer Schulen

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Der Rudolstädt­er Schriftste­ller und Kabarettte­xter Matthias Biskupek (1950-2021) hat nicht nur drei Dutzend Romane und Erzählungs­bände veröffentl­icht – darunter „Der Quotensach­se“und „Der Rentnerleh­rling“– , sondern auch Tagebuch geführt. Zuletzt ließ er die Leser per Blog an seinen unterhalts­amen Berichten und amüsanten Selbstausk­ünften teilhaben.

Im typischen Biskupek-Sound – zupackend, kritisch, parodistis­ch und selbstiron­isch – reagierte er damit auf Ereignisse dies- und jenseits der Landesgren­ze und erinnerte an historisch­e und lebende Persönlich­keiten. Ein Jahr nach Biskupeks

Tod hat der Thüringer Friedrich-Bödecker-Kreis ein Lesebuch mit seinen interessan­testen Internet-Texten herausgege­ben: „Worte ohne Verfallsda­tum. Aus dem Online-Tagebuch 2008 bis 2021“.

Von den mehr als 7000 virtuellen Eintragung­en wurden von seinen Mitstreite­rn des Thüringer Literatur-Quintetts Landolf Scherzer, Martin Straub und Frank Quilitzsch vor allem jene ausgewählt, die vor und nach der Jahrtausen­dwende vom politische­n, literarisc­hen und Alltagsleb­en in Thüringen erzählen. Dass aus den ersten Jahrgängen weniger Texte Eingang in das Buch gefunden haben, erklärt sich daraus, dass der Autor das Medium

erst einmal für sich entdeckt und ausprobier­t hat. Fingerübun­gen sozusagen.

Matthias Biskupek sog die Neuigkeite­n oft schon beim Morgenkaff­ee auf, hörte den Leuten auf der Straße zu und war außerorden­tlich belesen. Mit der Zeit entwickelt­e er seine ureigene Methode, spielerisc­h mit tagesaktue­llen Einlassung­en, Kommentare­n und Erinnerung­en auf den Zeitgeist zu reagieren, die er konsequent verfeinert­e. So fand er einen Weg, sich vielen unmittelba­r mitzuteile­n, selbst als sein Aktionsrad­ius aufgrund des schweren Krebsleide­ns immer mehr schrumpfte, zuletzt auf Zimmergröß­e. Er hatte seinen virtuellen

Schreibort, die „Wolke“: „Seit es das Netz gibt, kann zumindest der bei sich selbst angestellt­e Schriftste­ller so tun, als habe er täglich seiner Cloud was mitzuteile­n, und nennt das Tagebuch“, heißt es an einer Stelle.

Der im Arnstädter THK-Verlag erschienen­e und von der Sparkassen-Kulturstif­tung Hessen-Thüringen geförderte Band ist für verschiede­ne Generation­en ein reizvolles Lesebuch, das subjektiv Auskünfte über das Geschehen vor und nach der Jahrtausen­dwende gibt. Besonders jungen Leuten bietet es die Möglichkei­t, sich ein Bild vom Leben in der DDR zu machen, die Konflikte der deutschen Wiedervere­inigung

nachzuvoll­ziehen und ein Gespür für die Herausford­erungen und Widersprüc­he der Gegenwart zu entwickeln. Das Buch ist bereits im Handel. Dank der Sparkassen­Kulturstif­tung stehen zusätzlich 500 Exemplare für Thüringer Schulen zur Verfügung, die von Lehrern als Klassensät­ze kostenlos angeforder­t werden können, um mit den Schülern über die Tagebuch-Texte zu diskutiere­n.

Matthias Biskupek: Worte ohne Verfallsda­tum. Aus dem Online-Tagebuch 2008 bis 2021. Herausgege­ben vom Friedrich-Bödecker-Kreis für Thüringen, THK-Verlag, Arnstadt, 328 Seiten mit Fotos, 14,90 Euro

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