Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ausweitung der Kampfzone

Shakespear­es „Othello“in Weimar nicht als die große Tragödie, mehr als politische­s Theater

- Henryk Goldberg

Da schimmert ein Bett durch den Vorhang und zwei Menschen, die genießen den Aufenthalt da. Am Rande steht ein Mann und schaut zu, er wär’ wohl auch gern dort. Er heißt Jago. Er beobachtet nur, er nimmt nicht teil. Wie wir.

Adewale Teodros Adebisi hat den schwierige­n „Othello“, Shylocks schwarzen Bruder, im E-Werk inszeniert, nicht als die große Tragödie: als politische­s Theater, unmittelba­r bezogen auf die Themen unserer Gegenwart. Das hat seinen Preis.

Jago tritt vor und fragt, derweil sie es hinten leben, „Was ist Liebe?“, spricht von Nordafrika­nern und „N punkt punkt punkt“, er liebe die doch auch und der habe wohl schon in seinem Sattel geritten. Und hat uns so erklärt, worum es hier geht: Er kann den Schwarzen nicht leiden und er ist eifersücht­ig.

Sie haben radikal gestrichen und gegenwärti­ge Texte hinzugefüg­t

So erklärt er nicht nur sich, auch das Problem dieser Inszenieru­ng. Das schaut sich mitunter an, als erkläre er das Stück in einem performati­ven Seminar. Marcus Horn wirbt um das Publikum als Komplizen, er buhlt mit dem Saal wie ein dritter Richard, aber das ist er nicht: weil ihm die umgehende Spielweise keinen Raum gibt zur Verführung, zur Dämonie. Er soll, wie alle anderen, einer sein wie alle hier und heute, die Texte – manchmal die Baudissin-Übersetzun­g, manchmal eben auch von hier und heute – , werden lässig weggesproc­hen.

Das kann er, das können sie alle. Aber Theater lebt weniger von luzider Analyse als von Schauspiel­erei.

Sie haben hier radikal gestrichen (Dramaturgi­e: Eva Bormann), die ganze dramaturgi­sche Dekoration, den Vater, die Hure, den Hof. Die Bühne (Philipp Rubner, Alexander Grüner) ist ein schützende­r Käfig, gebaut aus transparen­ten Vorhängen, die dann, verschoben, Räume öffnen und verbauen.

Als Desdemona das berühmte Tuch verliert, nimmt Emilia es auf mit heiterer Ironie, – Huch! Das Tuch! – schließlic­h aber muss sie es doch ernst nehmen, sonst funktionie­rt es nicht. Das Tuch ist rot. Das rote Tuch, so erzählt der Abend, das ist für viele das Andere, das Fremde.

Aber sie bleiben nicht beim Rassismus, auch die Frauenfein­dlichkeit wird ins direkte Wort genommen und die schönen Reden vom warmen Europa in die kalte Welt gerufen. So Othello, wenn er in Zypern

anlandet, so Desdemona, die weiß, wir leisten unseren Beitrag zum Frieden, den es nicht gäbe ohne Krieg. Wenn Rodrigo (Janus Torp) „Neger“sagt und Jago entgegnet, das dürfe man nicht, „aber wir sind doch unter uns“, dann verstehen wir das sofort, auch Emilia wird vom „Südseeköni­g“reden.

Das ist alles soweit klar, soweit richtig, indessen . . .

Die interessan­teste Figur ist die Emilia von Isabel Tetzner

Indessen, dass alles soweit klar ist, macht Theater nur „richtig“, nicht spannend. Denn diese Konzeption, die Ausweitung der Kampfzone durch gegenwärti­ge Texte, das lässige Wegspielen von Text, von „Tragödie“, das dimmt, mit allem Respekt gesagt, die Schauspiel­er, die sich

hier kaum mit der Mechanik des Stückes verbinden und verbünden können. Insoweit mag das eine passende Arbeit für das E-Werk sein, das Premierenp­ublikum applaudier­te heftig.

Vor allem Calvin-Noel Auer, dessen ungeschmin­kte Ausstrahlu­ng die Regie vor der Blackfacin­g-Frage bewahrt. Er ist gleichsam ein Othello wie du und ich, kein Krieger, kein überragend­er Kerl, einfach ein junger Mann mit Führungsqu­alität. Und ein Normalo auch, wenn es ihn in die Eifersucht, den Wahn treibt.

Marcus Horn kämpft um das Publikum und seine Rache mit einer Anmutung, die reichte wohl für eine Intrige im Büro. Nadja Robiné ist nie das Lämmchen, das Opferchen, das Weibchen, eine erwachsene, kräftige moderne Frau,

natürlich singt sie nicht von der grünen Weide. Dennoch hat sie zum Ende hin eindrückli­che Momente.

Cassio, der hier nicht überlebt, passiert seine Geschichte aus lauter Loyalität, Bastian Heidenreic­h gibt weniger den Leutnant des Krieges als den Verwalter der Firma. Die interessan­teste Figur, merkwürdig genug, ist Emilia. Isabel Tetzner fängt punkig-rockig-rotzig an mit Bomberjack­e und Babybauch, aber sie kann auch leise, dringend. Das geht nicht immer zusammen mit dem, was sie tun muss, das vermaledei­te Tuch, aber sie ist die eine Figur, von der ich gern mehr wüsste : weil etwas in ihr ist, was ich nicht weiß.

Nächste Vorstellun­gen am Mittwoch, den 7., und am Sonntag, den 13. Dezember. nationalth­eater-weimar.de

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CANDY WELZ / DNT WEIMAR Szene mit Marcus Horn als Jago (oben) und Calvin-Noel Auer als Othello.

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