Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Ausweitung der Kampfzone
Shakespeares „Othello“in Weimar nicht als die große Tragödie, mehr als politisches Theater
Da schimmert ein Bett durch den Vorhang und zwei Menschen, die genießen den Aufenthalt da. Am Rande steht ein Mann und schaut zu, er wär’ wohl auch gern dort. Er heißt Jago. Er beobachtet nur, er nimmt nicht teil. Wie wir.
Adewale Teodros Adebisi hat den schwierigen „Othello“, Shylocks schwarzen Bruder, im E-Werk inszeniert, nicht als die große Tragödie: als politisches Theater, unmittelbar bezogen auf die Themen unserer Gegenwart. Das hat seinen Preis.
Jago tritt vor und fragt, derweil sie es hinten leben, „Was ist Liebe?“, spricht von Nordafrikanern und „N punkt punkt punkt“, er liebe die doch auch und der habe wohl schon in seinem Sattel geritten. Und hat uns so erklärt, worum es hier geht: Er kann den Schwarzen nicht leiden und er ist eifersüchtig.
Sie haben radikal gestrichen und gegenwärtige Texte hinzugefügt
So erklärt er nicht nur sich, auch das Problem dieser Inszenierung. Das schaut sich mitunter an, als erkläre er das Stück in einem performativen Seminar. Marcus Horn wirbt um das Publikum als Komplizen, er buhlt mit dem Saal wie ein dritter Richard, aber das ist er nicht: weil ihm die umgehende Spielweise keinen Raum gibt zur Verführung, zur Dämonie. Er soll, wie alle anderen, einer sein wie alle hier und heute, die Texte – manchmal die Baudissin-Übersetzung, manchmal eben auch von hier und heute – , werden lässig weggesprochen.
Das kann er, das können sie alle. Aber Theater lebt weniger von luzider Analyse als von Schauspielerei.
Sie haben hier radikal gestrichen (Dramaturgie: Eva Bormann), die ganze dramaturgische Dekoration, den Vater, die Hure, den Hof. Die Bühne (Philipp Rubner, Alexander Grüner) ist ein schützender Käfig, gebaut aus transparenten Vorhängen, die dann, verschoben, Räume öffnen und verbauen.
Als Desdemona das berühmte Tuch verliert, nimmt Emilia es auf mit heiterer Ironie, – Huch! Das Tuch! – schließlich aber muss sie es doch ernst nehmen, sonst funktioniert es nicht. Das Tuch ist rot. Das rote Tuch, so erzählt der Abend, das ist für viele das Andere, das Fremde.
Aber sie bleiben nicht beim Rassismus, auch die Frauenfeindlichkeit wird ins direkte Wort genommen und die schönen Reden vom warmen Europa in die kalte Welt gerufen. So Othello, wenn er in Zypern
anlandet, so Desdemona, die weiß, wir leisten unseren Beitrag zum Frieden, den es nicht gäbe ohne Krieg. Wenn Rodrigo (Janus Torp) „Neger“sagt und Jago entgegnet, das dürfe man nicht, „aber wir sind doch unter uns“, dann verstehen wir das sofort, auch Emilia wird vom „Südseekönig“reden.
Das ist alles soweit klar, soweit richtig, indessen . . .
Die interessanteste Figur ist die Emilia von Isabel Tetzner
Indessen, dass alles soweit klar ist, macht Theater nur „richtig“, nicht spannend. Denn diese Konzeption, die Ausweitung der Kampfzone durch gegenwärtige Texte, das lässige Wegspielen von Text, von „Tragödie“, das dimmt, mit allem Respekt gesagt, die Schauspieler, die sich
hier kaum mit der Mechanik des Stückes verbinden und verbünden können. Insoweit mag das eine passende Arbeit für das E-Werk sein, das Premierenpublikum applaudierte heftig.
Vor allem Calvin-Noel Auer, dessen ungeschminkte Ausstrahlung die Regie vor der Blackfacing-Frage bewahrt. Er ist gleichsam ein Othello wie du und ich, kein Krieger, kein überragender Kerl, einfach ein junger Mann mit Führungsqualität. Und ein Normalo auch, wenn es ihn in die Eifersucht, den Wahn treibt.
Marcus Horn kämpft um das Publikum und seine Rache mit einer Anmutung, die reichte wohl für eine Intrige im Büro. Nadja Robiné ist nie das Lämmchen, das Opferchen, das Weibchen, eine erwachsene, kräftige moderne Frau,
natürlich singt sie nicht von der grünen Weide. Dennoch hat sie zum Ende hin eindrückliche Momente.
Cassio, der hier nicht überlebt, passiert seine Geschichte aus lauter Loyalität, Bastian Heidenreich gibt weniger den Leutnant des Krieges als den Verwalter der Firma. Die interessanteste Figur, merkwürdig genug, ist Emilia. Isabel Tetzner fängt punkig-rockig-rotzig an mit Bomberjacke und Babybauch, aber sie kann auch leise, dringend. Das geht nicht immer zusammen mit dem, was sie tun muss, das vermaledeite Tuch, aber sie ist die eine Figur, von der ich gern mehr wüsste : weil etwas in ihr ist, was ich nicht weiß.
Nächste Vorstellungen am Mittwoch, den 7., und am Sonntag, den 13. Dezember. nationaltheater-weimar.de