Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Zu wenige Typen im Team
Man möchte jetzt nicht in ihrer Haut stecken. Millionäre hin, Millionäre her – es sind keine Roboter. Am Sonntagabend werden elf Jungs auf dem Platz stehen, für die der Druck bis zur Unerträglichkeit gestiegen ist. Ja, sie haben es selbst zu verantworten. Sie haben gegen Japan vorne das Tor nicht getroffen und sich hinten extrem ungeschickt angestellt, man darf es sogar dämlich nennen. Aber keinem der deutschen Nationalspieler ist es egal, was jetzt gegen Spanien auf dem Spiel steht. Sie wollen nicht als Deppen der Nation dastehen, als Versager, für die das Turnier erstmals in der deutschen WM-Geschichte schon nach dem zweiten Vorrundenspiel gelaufen ist.
Jeder einzelne Spieler wird sich also zusammenreißen müssen, sie werden sich aber auch als Mannschaft präsentieren müssen – was leichter gesagt als umzusetzen sein dürfte, nachdem die normalerweise verpönten gegenseitigen Schuldzuweisungen nach der Auftaktpleite nicht zu überhören waren.
Eine vertrackte Situation, die nur auf eine Weise zu lösen ist: von innen. Bundestrainer Hansi Flick kann nun reden, was er will, er kann die Mannschaft personell und taktisch neu aufstellen – entscheidend wird sein, ob die Spieler selbst die mentale Kraft für die außergewöhnliche Prüfung aufbringen werden. Jetzt sind die stärksten unter ihnen gefragt. Die Führungsspieler, die schon alles erlebt haben und sich auch vor einem Endspiel nicht fürchten. Problematisch ist allerdings, dass Routiniers wie Thomas Müller und sogar Manuel Neuer gerade durchaus auch mit eigenen Problemen beschäftigt sind. Zudem könnte es sich auch als schwierig erweisen, Selbstbewusstsein bei Fußballern zu erzeugen, die zagen und zweifeln. Es ist ja schon alarmierend, wenn Ilkay Gündogan feststellen muss, dass gegen Japan „vorn nicht jeder den Ball haben wollte“. Versteckspiel statt Verantwortung – wie sollen diese Leute noch größeren Druck aushalten?
Im deutschen Fußball wurde jahrelang auf die Ausbildung ballsicherer Techniker Wert gelegt. Typen, die sowohl auf dem Platz als auch in der Kabine mal dazwischenhauen, haben leider Seltenheitswert.
Wortlaut
Ich würde das alles emotional nicht überbewerten. Wir werden uns wieder aufrappeln. Thomas Müller,
Weltmeister von 2014