Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Zwei junge Dichter am Ball
Mit Gavi und Pedri könnte eine neue spanische Ära beginnen. Die deutsche Mannschaft sollte gewarnt sein
Doha. Die Geschmäcker gehen auch unter Fans auseinander, wenn es darum geht, einzelne Spieler zu beurteilen. Die einen schwärmen von den Wadenbeißern, den Grätschern. Andere verneigen sich vor den Frechen, den Dribblern. Manche lieben die Strategen. Wohl keiner aber wird sich im ersten Spiel der spanischen Nationalmannschaft der Ballbehandlung von Pedri und Gavi entzogen haben können. Die beiden jungen Spanier streichelten das Spielgerät, zogen es mit ihren Füßen wie Magneten an sich. Das hatte etwas Kunstvolles, zwei Dichter am Ball. Selbst wenn der Gegner nur Costa Rica hieß.
Vor allem weckte der 7:0-Erfolg Erinnerung an eine Ära, in der die anderen Nationen an den Fußballern aus dem Süden Europas verzweifelten. Von 2008 bis 2012 erdrückte Spanien seine Kontrahenten mit einer Mischung aus Schönheit und Dominanz. Damals hießen die großen Strategen Xavi (42) und Andrés Iniesta (38), beide ausgebildet in der legendären La Masia, der Akademie des FC Barcelona. Nun ziehen zwei neue Fußballer des katalanischen Vereins die Aufmerksamkeit auf sich: Pedri, am Freitag feierte er seinen 20. Geburtstag, und Gavi, 18 Jahre jung. Am Sonntag (20 Uhr deutscher Zeit/ZDF) könnten sie auch die deutsche Defensive mit ihren Körpertäuschungen aushebeln.
Gavi bewegt sich dabei weiter vorne als Pedri, verspürt den stärkeren Drang, zum gegnerischen Tor zu ziehen. Gegen Costa Rica nutzte er eine Flanke von Alvaro Morata, um den Ball aus der Luft mit dem rechten Außenrist in die rechte Ecke zu drücken. Kraft und Eleganz kamen dabei zum Vorschein, mit 18 Jahren und 110 Tagen ist er nun der jüngste Spanier, der bislang bei einer WMEndrunde getroffen hat. Und man muss weit in der WM-Geschichte zurückblättern, um einen noch jüngeren Torschützen zu finden: die brasilianische Sturmlegende Pelé. Der vielleicht beste Fußballer der Geschichte traf bei der WM 1958 im Finale gegen Schweden in einem Alter von gerade einmal 17 Jahren und 249 Tagen. „Er ist außergewöhnlich“, sagte Spaniens Nationaltrainer Luis Enrique über Gavi. „Wir sind sehr glücklich, ihn in der Mannschaft zu haben. Ich denke, er wird einer der Stars des Weltfußballs werden. Er ist erst 18 Jahre alt, er hat aber die Persönlichkeit von einem erfahrenen Spieler.“
Preisschild: eine Milliarde Euro
Auf dem Platz wirkten Gavi und Pedri erwachsen. Ihre Jugend konnte man Mittwoch erst erkennen, als das Spiel schon lange abgepfiffen war. Mit gesenktem Kopf lief Pedri aus der Kabine an den Journalisten vorbei, nichts Exzentrisches ließ sich erkennen. Der Mittelfeldspieler erinnerte mehr an einen Schuljungen
als an einen kommenden Star. Sprechen wollte er nicht. Gavi musste sich stattdessen als ausgezeichneter Spieler des Spiels auf die Bühne der Pressekonferenz setzen. Er sei sehr stolz, er sei sehr glücklich, sagte er; Worthülsen, die aufstrebende Fußballer gerne benutzen. „Jetzt kommt das nächste Spiel. Wir alle haben heute gut gespielt.“Und: „Ich bin sehr froh über das, was ich mache.“
Geboren wurde Gavi, sein bürgerlicher Name lautet Pablo Martín Páez Gavira, in der Nähe von Sevilla. 2015 wurde der FC Barcelona auf den begnadeten Techniker aufmerksam, holte ihn von Betis Sevilla in die eigene Talentschule. Pedri, eigentlich Pedro González López, kam vier Jahre später. Barcelona verpflichtete ihn für fast 20 Millionen Euro vom spanischen Zweitligisten UD Las Palmas, mittlerweile wird sein Marktwert auf einen dreistelligen Millionenbetrag geschätzt. Allerdings soll in den Verträgen von Pedri und Gavi ohnehin eine Ausstiegsklausel von einer Milliarde Euro verankert worden sein. Ja, genau: eine eins und neun Nullen. Seit Paris St.-Germain 2017 für Neymar die nur vermeintlich in der Ausstiegsklausel zu hoch angelegte Ablösesumme von 222 Millionen Euro bezahlte, sichert sich Barça mit irrsinnigen Summen ab.
„Wir sind gute Freunde“, berichtete Gavi über Pedri. „Er ist ein großartiger Spieler. Es ist so einfach, mit ihm zusammenspielen.“Dies durfte die Öffentlichkeit gegen Costa Rica bestaunen, dies dürfte auch die deutsche Nationalmannschaft gewarnt haben. Spanien verfügt aber über noch mehr Hochveranlagte. Marco Asensio (26 Jahre/ Real Madrid) spielt schnörkelloser als Gavi und Pedri; Ferran Torres (22/FC Barcelona) wuselt vor dem gegnerischen Tor herum; Dani Olmo (24/RB Leipzig) ergänzt die Offensive mit seiner Intensität.
„Lust, etwas Großes zu schaffen“
„Ich weiß nicht, ob wir WM-Favorit sind, aber wir haben sicherlich gute Chancen. Wir haben große Lust, etwas Großes zu schaffen“, sagte der Doppel-Torschütze Ferrán Torres. „Es war nur das erste Spiel“, meinte Dani Olmo. „Wir müssen so weiterspielen.“Niemand dürfe vergessen, dass der nächste Gegner Deutschland sei, warnte Luis Enrique. „Und Deutschland muss gewinnen. Wenn sie uns schlagen, dann müssen wir sagen, dass sie besser waren als wir.“
2010 triumphierte Spanien bei der WM in Südafrika. 2014 stolperten die Südeuropäer in Brasilien bereits in der Vorrunde. 2018 in Russland endete das Turnier im Achtelfinale. Nun soll wieder etwas Besonderes entstehen. Die Voraussetzungen scheinen gut. Aber „Lob schwächt, das wissen wir, wir werden darauf nicht hereinfallen“, sagte Luis Enrique, der als Spieler des FC Barcelona übrigens eine Mischung aus Wadenbeißer und Torjäger war. Die Fans liebten ihn dafür.