Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Ich will den richtigen Ton treffen“
Erik Lesser über die Saisonstart der Biathleten, seine Expertenrolle und das Trainerstudium
Am kommenden Dienstag beginnt im finnischen Kontiolahti die Weltcup-Saison der Biathleten. Nicht mehr am Start wird der Oberhofer Erik Lesser sein, der die Wettkämpfe künftig als TV-Experte begleitet. Wir sprachen mit dem 34Jährigen über seine neue Rolle, sein Trainerstudium und die deutschen Chancen in der nacholympischen Saison – mit der Weltmeisterschaft am Grenzadler als Höhepunkt.
Mitte Oktober begann Ihr Studium an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Wie fühlt es sich an, wieder die Schulbank zu drücken?
Komisch. Es ist schon ungewohnt, von morgens 8.30 Uhr bis nachmittags 17.30 Uhr wieder im Unterricht zu sitzen. Aber momentan sind wir noch in der Einführungsphase, lernen alles erst einmal kennen. Das richtige Lernen und das selbstständige Erarbeiten kommen erst noch. Aber bisher passt es schon. Ich habe ganz gutes Sitzfleisch.
Vermissen Sie das Training, das über viele Jahre Ihr Leben bestimmt hat, nicht ein bisschen?
Ich wünsche mir nichts zurück und bereue es auch nicht, im März aufgehört zu haben. Vielmehr genieße ich es, nicht mehr müssen zu müssen. Mich nur zu bewegen, wenn ich Lust darauf habe, ist ein angenehmer Luxus. Allerdings: Das Streben nach Perfektion, auch wenn es immer mit Schmerz verbunden war, fehlt mir schon etwas. Genauso, wie das Unterwegssein mit den Jungs. An die gemeinsamen Abende auf der Hütte nach einem harten Trainingstag werde ich mich immer gern erinnern.
Ab dieser Saison analysieren Sie die Wettkämpfe für die TV-Zuschauer. Werden Sie ein strenger Experte sein?
Grundsätzlich sollte man als Sportler nie zufrieden sein. Aber nur streng zu sein, um eine Rolle zu bedienen, sollte man auch nicht. Ich werde versuchen, Leistungen und Entwicklungen
den Umständen entsprechend einzuordnen – und dabei den richtigen Ton zu treffen.
Wie nah müssen Sie dafür weiterhin an der Mannschaft sein?
Noch habe ich das Ohr an der Truppe und kenne vor allem die Trainingsinhalte der Oberhofer Jungs. Wenn wir dann während des Weltcups unterwegs sind, wird es natürlich viele Gespräche geben, um auch international auf dem Laufenden zu bleiben.
Was erwarten Sie von der nacholympischen Saison?
Im Biathlon haben wir ja jedes Jahr einen Höhepunkt, so dass es nicht so sein wird, dass die Sportler jetzt 20 Prozent weniger machen. Bei den Männern erwarte ich die üblichen Verdächtigen aus Norwegen und Frankreich
vorne; bei den Frauen wird es wohl durch die Ausfälle von Tiril Eckhoff und Marte Olsbu Röiseland auf die Öberg-Schwestern und Dorothea Wierer hinauslaufen.
Tiril Eckhoff leidet unter Motivationsund Schlafproblemen, was sich auf Ihre Leistungsfähigkeit im Training auswirkt. Haben Sie ähnliches selbst schon einmal erlebt?
Nicht während meiner WeltcupZeit. Im Jahr davor hatte ich mir jedoch viele Gedanken um die Zukunft gemacht und bin damals kaum zur Ruhe gekommen. Bei Tiril Eckhoff kann ich mir vorstellen, dass es bei ihr genügend Spielraum gibt, um Gedanken zu entwickeln. Wenn man so viel erreicht hat, fragt man sich mit Sicherheit: Was soll noch kommen? Dann geht es vielleicht auch um Familienplanung und andere persönliche Dinge. Da ist es bestimmt nicht einfach, immer den Fokus auf den Sport zu behalten.
Was trauen Sie den Deutschen zu?
Benni Doll ist unser Mann für die Top 10. Zu was Johannes Kühn läuferisch in der Lage ist, wissen wir auch. Bei ihm geht es ums solide Stehendschießen. Bei den Frauen bin ich gespannt, ob Denise Herrmann eine konstantere Saison erwischt wie die letzte.
Wird für Thüringens Hoffnungsträgerin Vanessa Voigt das zweite Jahr das schwierigere?
Eigentlich nicht, denn sie kann in ihrer Entwicklung ja jetzt auf den Leistungen aus der vorigen Saison aufbauen. Die Schwierigkeit für sie wird sein, konditionell den nächsten Schritt zu machen und am Schießstand weiterhin so toll zu performen. Zudem wird der Erwartungsdruck an sie – gerade vor der Heim-WM – nicht kleiner. Damit muss sie umgehen können.
Wie groß wird der Heimvorteil für das deutsche Team bei den Titelkämpfen im Februar in Oberhof sein?
Wenn man gut in Form ist, kann einen das Anfeuern im Wettkampf natürlich beflügeln. Das ist dann schon cool. Das ganze Drumherum kann aber auch zur Belastung werden. Den Sponsoren, den Medien und den Fans während einer WM zu Hause immer gerecht zu werden ist schwer. Da gilt es, den richtigen Spagat zu finden und bei allem
Trubel die Ruhe zu bewahren.
Könnte Erik Lesser, wie bei den Deutschen Meisterschaften im September, als Überraschungsstarter auftauchen?
Keine Sorge, das passiert nicht. Ich werde die Rennen als interessierter Zuschauer verfolgen.
Was wünschen Sie sich für die Weltmeisterschaften? Ich hoffe, dass die WM ein einzigartiges Event und allen Beteiligten im Kopf bleiben wird.
Weltcup-Auftakt in Kontiolahti, Dienstag, 13.15 Uhr: Männer, 20km-Einzelrennen, live in ARD und Eurosport