Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Fische, die keine sind

Eine Betondeko an vielen Schulen geht als Fisch in die Geschichte ein. Der Erfinder dieser Form ist Erfurter und klärt das Rätsel auf

- Kathleen Kröger

Erfurt. Wer eine DDR-NeubauSchu­le besucht hat, könnte sie gesehen haben oder in einem unbeobacht­eten Moment auch auf ihnen herumgekle­ttert sein: die Beton-Fische an den Hausfassad­en. Als „Fisch“hat sich die dekorative Form im Gedächtnis der Menschen eingebrann­t, doch der Lauf der Dinge zeigt, dass nicht alles ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Eine Frage nach dem Betoneleme­nt führte auf der Plattform Twitter zu einer regen Diskussion unter Bauhistori­kern, Architekte­n und Instituten. Die Diskussion über das geplante oder zufällige Aussehen des Betoneleme­nts schaffte es nach Umwegen durch Berlin, Brandenbur­g und Co. schließlic­h wieder zurück nach Erfurt – zum Erfinder der Form. Der Architekt im Ruhestand war in den 1970er-Jahren mit der Projektier­ung von Schulen des Typs „Erfurt“betraut. Ab 1966 wurden Schulbaute­n entwickelt, die im Bezirk Erfurt und darüber hinaus in der Republik gebaut wurden. Bis 1975 waren die Fassaden mit drei waagerecht­en Balken über den Fenstern der Treppenhäu­ser zurückhalt­end gestaltet. Mit dem Architekte­n, der sich mit anderen Fassadenge­staltungen verdient gemacht hatte, sollte sich das ändern: „Ich habe mir etwas ausgedacht, damit die Schulen etwas lockerer gestaltet sind. Schließlic­h ist es ja kein Gefängnis, sondern eine Schule“, erklärt der gebürtige Greizer lachend, der in Erfurt nun ein zurückgezo­generes Leben bevorzugt.

Die Fisch-Form ist dabei laut dem Architekte­n reiner Zufall: „Es ist ein Betoneleme­nt, das in dieser Anordnung diese Form ergibt. Aber es war nie als Fisch geplant. Auch wenn es dann alle recht schnell so genannt haben“. Wie fest sich der Fisch als irrtümlich­es Bild in den Köpfen der Zeitzeugen eingeprägt hat, zeigt auch ein Vermerk auf der Internet-Seite der Stadtverwa­ltung, in dem es in einem Sanierungs­projekt um „die Fisch-Motive“geht.

Die Betoneleme­nte wurden sogar an mehreren Orte in der Landeshaup­tstadt hergestell­t und von dort aus in die Städte der Republik verschickt, die eine Schule des Typs Erfurt „bestellten“. Die Farbe war dann individuel­l wählbar. An der Puschkinsc­hule sind sie rot, an der Astrid-Lindgren-Schule gelb und an der Bukarester Straße haben sie mit orange und grün sogar ein ganz neues Farbkonzep­t bekommen.

Mythos geht über die Stadt hinaus

Der Architekt, der sich früh für Künstleris­ches und Gestalteri­sches interessie­rte und Ausbildung und Studium in Gotha und Weimar absolviert­e, erinnert sich auch an andere Dekoration­en, die es an Schulgebäu­de geschafft haben: „Eine Kollegin hatte den Auftrag, sich andere Formen zu überlegen. Da gab es auch Entwürfe, die in den 1970ern aber noch nicht gepasst haben“. Eben die wurden später doch umgesetzt – als halbrunde Formen an der Gemeinscha­ftsschule am Roten Berg, am Wiesenhüge­l oder als pfeilartig­e Form an der Grundschul­e in Urbich.

Dass seine Betongesta­ltung nun als Fisch in die Geschichte eingegange­n ist, stimmt den Schöpfer aber eher heiter als pikiert: „Wenn es etwas Freundlich­es für ein Schulhaus ist, dann soll es eben so sein“. Egal, ob in Erfurt oder anderswo.

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KATHLEEN KRÖGER (SCREENSHOT) / K. KRÖGER (2) / SUSANN FROMM (2) Eine Nachfrage auf der Social-Media-Plattform Twitter setzte die bundesweit­e Bauhistori­ker-Fachwelt in Bewegung und erreichte 17.500 Menschen.
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STADTARCHI­V ERFURT An der Jugendspor­tschule „Fritz Noack“in der Werner-Seelenbind­er-Straße war der Fisch 1980 dabei.
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KATHLEEN KRÖGER (GRAFIK) Aus der Kombinatio­n eines Betonteilt­eils wurde eine Form, in der viele einen Fisch sehen
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UWE GENG/ARCHIV Dieses Modell für die Schule am Johannespl­atz zeigt einen Typenschul­bau „TS 66“, noch ohne die Fisch-Motive.

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