Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Mann ohne Foto

Der Erfurter Arzt Oskar Moses ist ein Revolution­är des Gesundheit­swesens. Der Lauf der Geschichte ließ ihn in Vergessenh­eit geraten

- Stephan Zänker

Vermutlich würde heute eine Straße in Erfurt nach ihm benannt sein oder eine medizinisc­he Einrichtun­g. Doch der verdiente Arzt Dr. Oskar Moses ist in Vergessenh­eit geraten. Es gibt nicht einmal ein Foto von ihm, lediglich ein Schriftstü­ck mit seiner Unterschri­ft im Stadtarchi­v. Und doch hat er das Gesundheit­swesen unserer Stadt revolution­iert. Am kommenden Montag wäre Oskar Moses 150 Jahre alt geworden.

Erste Arztpraxis in der Magdeburge­r Alle

Oskar Moses wurde am 6. Februar 1873 im niederschl­esischen Glogau geboren. Kurz nach der Jahrhunder­twende richtete er eine Arztpraxis in der heutigen Magdeburge­r Allee ein. Er praktizier­te im Erfurter Norden, in den Arbeitervi­erteln. Reiche Privatpati­enten gab es hier nicht, dafür viel Elend, schlechte Wohnverhäl­tnisse, immer wieder Seuchen und Unfälle.

Oskar Moses wurde Armenarzt, er kümmerte sich um Menschen, die sich medizinisc­he Hilfe nicht leisten konnten. Als 1912 der Arbeiter-Samariter-Bund in Erfurt gegründet wurde, war er als ehrenamtli­cher Verbandsar­zt von Anfang an dabei. Fortan leitete er Kurse in Erster Hilfe, gab Laien Tipps, wie sie sich in Notfällen verhalten sollten. Das war angesichts zahlreiche­r Unrung

fälle in den Betrieben bitter nötig, wurde aber von den meisten seiner Standeskol­legen strikt abgelehnt.

Nach dem Ersten Weltkrieg nahm seine ehrenamtli­che Arbeit beim Arbeiter-Samariter-Bund immer größeren Umfang an. Durch politische Unterstütz­ung in der Stadt konnten die Erste-Hilfe-Kurse stark ausgebaut werden, öffentlich­e

Unfallwach­en wurden ins Leben gerufen, die Vorläufer der heutigen Rettungswa­chen.

Moses legt Grundstein für organisier­ten Pflegedien­st

Ende der 1920er-Jahre nahm ein Pflegedien­st seine Arbeit in Erfurt auf. Oskar Moses wusste um den Bedarf im armen Teil der Bevölke

und organisier­te Hilfe, wo er nur konnte. Doch all dieses Engagement zählte nicht mehr, als die Nazis 1933 an die Macht kamen.

Geschichte des Erfurter Arztes erfährt eine tragische Wendung

Der Arbeiter-Samariter-Bund wurde verboten, Oskar Moses als Jude aus der Gesellscha­ft ausgeschlo­ssen. Einen hässlichen Prozess musste der Sechzigjäh­rige noch ertragen: Weil in seinem Haus auch eine alleinsteh­ende Frau mit ihrer minderjähr­igen Tochter wohnte, wurde ihm „Blutschand­e“unterstell­t. Ohne Beweise, allein aufgrund von Behauptung­en verurteilt­e das Gericht ihn zu einer Geldstrafe und zum Verlust seiner Approbatio­n.

Vom Prozess gezeichnet, siedelte Moses 1937 nach Leipzig über, wo er am 3. November 1938 starb. In Erfurt, wo er so viel für die Menschen bewirkt hatte, geriet sein Name vollständi­g in Vergessenh­eit. Erst als der ASB im Jahr 2012 seinen 100. Geburtstag beging, wurde Oskar Moses wiederentd­eckt. Heute erinnert ein Gedenkstei­n und ein kleiner Baumhain in Stotternhe­im an den verdienstv­ollen Arzt.

Der Autor ist aktueller Erfurt-Botschafte­r. Am Sonntag, 5. Februar, laden der ASB, die Jüdische Landesgeme­inde und der Weimarer Republik e.V. zur Geburtstag­skaffeerun­de mit Musik und Gesprächen ein. Beginn ist um 15 Uhr in der Kleinen Synagoge.

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STADTARCHI­V ERFURT (2) Sanitäter des ASB mit Uniform und Kappe auf einer Gruppenauf­nahme aus den 1920er-Jahren.
 ?? ?? Erste-Hilfe-Ausweis von 1925 mit der Unterschri­ft Oskar Moses.
Erste-Hilfe-Ausweis von 1925 mit der Unterschri­ft Oskar Moses.

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