Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Der Mann ohne Foto
Der Erfurter Arzt Oskar Moses ist ein Revolutionär des Gesundheitswesens. Der Lauf der Geschichte ließ ihn in Vergessenheit geraten
Vermutlich würde heute eine Straße in Erfurt nach ihm benannt sein oder eine medizinische Einrichtung. Doch der verdiente Arzt Dr. Oskar Moses ist in Vergessenheit geraten. Es gibt nicht einmal ein Foto von ihm, lediglich ein Schriftstück mit seiner Unterschrift im Stadtarchiv. Und doch hat er das Gesundheitswesen unserer Stadt revolutioniert. Am kommenden Montag wäre Oskar Moses 150 Jahre alt geworden.
Erste Arztpraxis in der Magdeburger Alle
Oskar Moses wurde am 6. Februar 1873 im niederschlesischen Glogau geboren. Kurz nach der Jahrhundertwende richtete er eine Arztpraxis in der heutigen Magdeburger Allee ein. Er praktizierte im Erfurter Norden, in den Arbeitervierteln. Reiche Privatpatienten gab es hier nicht, dafür viel Elend, schlechte Wohnverhältnisse, immer wieder Seuchen und Unfälle.
Oskar Moses wurde Armenarzt, er kümmerte sich um Menschen, die sich medizinische Hilfe nicht leisten konnten. Als 1912 der Arbeiter-Samariter-Bund in Erfurt gegründet wurde, war er als ehrenamtlicher Verbandsarzt von Anfang an dabei. Fortan leitete er Kurse in Erster Hilfe, gab Laien Tipps, wie sie sich in Notfällen verhalten sollten. Das war angesichts zahlreicher Unrung
fälle in den Betrieben bitter nötig, wurde aber von den meisten seiner Standeskollegen strikt abgelehnt.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm seine ehrenamtliche Arbeit beim Arbeiter-Samariter-Bund immer größeren Umfang an. Durch politische Unterstützung in der Stadt konnten die Erste-Hilfe-Kurse stark ausgebaut werden, öffentliche
Unfallwachen wurden ins Leben gerufen, die Vorläufer der heutigen Rettungswachen.
Moses legt Grundstein für organisierten Pflegedienst
Ende der 1920er-Jahre nahm ein Pflegedienst seine Arbeit in Erfurt auf. Oskar Moses wusste um den Bedarf im armen Teil der Bevölke
und organisierte Hilfe, wo er nur konnte. Doch all dieses Engagement zählte nicht mehr, als die Nazis 1933 an die Macht kamen.
Geschichte des Erfurter Arztes erfährt eine tragische Wendung
Der Arbeiter-Samariter-Bund wurde verboten, Oskar Moses als Jude aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Einen hässlichen Prozess musste der Sechzigjährige noch ertragen: Weil in seinem Haus auch eine alleinstehende Frau mit ihrer minderjährigen Tochter wohnte, wurde ihm „Blutschande“unterstellt. Ohne Beweise, allein aufgrund von Behauptungen verurteilte das Gericht ihn zu einer Geldstrafe und zum Verlust seiner Approbation.
Vom Prozess gezeichnet, siedelte Moses 1937 nach Leipzig über, wo er am 3. November 1938 starb. In Erfurt, wo er so viel für die Menschen bewirkt hatte, geriet sein Name vollständig in Vergessenheit. Erst als der ASB im Jahr 2012 seinen 100. Geburtstag beging, wurde Oskar Moses wiederentdeckt. Heute erinnert ein Gedenkstein und ein kleiner Baumhain in Stotternheim an den verdienstvollen Arzt.
Der Autor ist aktueller Erfurt-Botschafter. Am Sonntag, 5. Februar, laden der ASB, die Jüdische Landesgemeinde und der Weimarer Republik e.V. zur Geburtstagskaffeerunde mit Musik und Gesprächen ein. Beginn ist um 15 Uhr in der Kleinen Synagoge.