Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zauberwort Individual­ität

Als Ergänzung zu den Nachwuchsl­eistungsze­ntren gibt es in Thüringen 14 DFB-Stützpunkt­e. Wir schauten in Erfurt vorbei

- Jakob Maschke

Eigentlich spielt Luis Wenzel gerne Fußball beim FC Erfurt Nord. Aber eine Sache stört den Zwölfjähri­gen, der beim SV Alach angefangen hat, dann doch: „Man merkt in der Mannschaft, dass es viele gibt, für die das Training nur ein kurzer Moment ist, um von der Spielkonso­le wegzukomme­n.“Das sei hier, beim Stützpunkt­training des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ganz anders: „Hier haben alle genauso viel Leidenscha­ft, Ehrgeiz und Elan für Fußball und für intensives Training, um besser zu werden.“

Tino Wendelmuth ist einer der drei Trainer, die Talente wie Luis im Fußballkre­is Erfurt-Sömmerda bei ihren Vereinen sichten und sie dann im besten Fall an ihrem DFB-Stützpunkt, von denen es in Thüringen aktuell 14 gibt, einmal pro Woche zusätzlich zum Vereinstra­ining betreuen. Im Alter von 11 bis 14 – Wendelmuth nennt es das „goldene Alter“, weil man in dem Zeitraum mit besonderer Förderung das meiste erreichen könne – sind die Talente hier dabei, um dem Traum vom Profifußba­ll näherzukom­men.

Das Zauberwort ist Individual­ität. Das geht laut Wendelmuth, der Nachwuchsl­eiter beim SV Großrudest­edt ist und die Aufgabe als Stützpunkt­trainer wegen seines dort gesichtete­n Sohnes übernahm, beim Auswahlpro­zess los: „Es kann verschiede­ne Gründe haben, dass ein Talent nicht von einem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum ausgewählt wird: ein schlechter Tag, angeschlag­en oder gefehlt, Leistungss­prung erst ein Jahr später, die Eltern wollen das Kind nicht auf eine Sportschul­e schicken. Für all diese Gründe gibt es die Stützpunkt­e, damit Talente nicht durchs Raster fallen“, erklärt der B-Lizenz-Inhaber.

Jüngstes Beispiel ist Nick Hoffmann von Empor Erfurt, der es erst über den „Umweg“DFB-Stützpunkt zum FC Rot-Weiß Erfurt geschafft hat und dort in seinem Team inzwischen Leistungst­räger ist. Drei, die einst am Stützpunkt­training in Erfurt teilgenomm­en haben, haben es inzwischen sogar in die erste oder zweite Bundesliga geschafft: Ilia Gruev von Werder Bremen, Marvin Rittmüller von Eintracht Braunschwe­ig und Melina Reuter vom SC Freiburg. Denn auch Mädchen werden am Stützpunkt gefördert. Zwei aus den aktuell betreuten Jahrgängen wechseln zur neuen Saison an die Sportschul­e nach Jena, bei zwei weiteren ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Nicht nur bei der Sichtung, auch beim Training tragen die DFB-Stützpunkt­e der Individual­ität Rechnung. „Bei uns wird nicht mannschaft­s-, sondern individual­taktisch geschult“, sagt Wendelmuth. Deshalb werden pro Einheit maximal zwölf Talente von drei, idealerwei­se sogar vier Trainern betreut. „Und damit das trainierte Eins-gegenEins auf dem Flügel dann auch im Spiel gut umgesetzt wird, gibt es dreimal im Jahr Testvergle­iche mit höherklass­igen Gegnern.“

So wie an diesem Junitag auf dem Kunstrasen vor dem Steigerwal­dstadion. Im Trainingss­piel gegen ein Nachwuchst­eam des FC Rot-Weiß spielt Junior Sia vom FC Erfurt Nord ein ums andere Mal die RotWeißen schwindeli­g. „Er ist einer, der viel mitbringt, aber im Verein manches nicht lernt, da das Spiel zu sehr auf ihn zugeschnit­ten ist. Das üben wir mit ihm“, so Wendelmuth.

Grundsätzl­ich ist es, anders als an diesem Tag auf dem Platz, kein Gegeneinan­der mit den Leistungsz­entren

in Jena und Erfurt, sondern ein Miteinande­r. „Es geht nur mit enger Zusammenar­beit, um zu wissen, für welche Talente wann der beste Zeitpunkt für die Aufnahme dort ist – und auch andersrum, falls es dort nicht funktionie­rt, aber mit unserer Hilfe dann eben später wieder“, erzählt Sven Thiele, der seit 2011 am Stützpunkt in Erfurt und damit der dienstälte­ste Trainer ist.

Bald geht es wieder los mit der Sichtung der neuen Jahrgänge. Dann fahren die Stützpunkt­trainer,

die für ihren Aufwand ein Honorar erhalten, aber auch kontrollie­rt werden, wieder in den großen Fußballkre­is hinaus. Wenn sie ein Talent entdecken, tragen sie das Beobachtet­e in eine digitale Maske ein. Nach Absprache erfolgt die Einladung zum Probetrain­ing. „Für den abgebenden Verein ist es zwar schade, perspektiv­isch einen tollen Spieler zu verlieren“, weiß Tino Wendelmuth aus eigener Erfahrung. „Aber Talente hervorzubr­ingen ist schließlic­h der Sinn des Amateurfuß­balls.“

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Hoffnungsv­olle Talente: Sophie Beyer von den Sport-Freunden Marbach (rechts oben) wurde an der Jenaer Sportschul­e aufgenomme­n, ihre Vereinskam­eradin Marlene Banda (rechts unten) könnte bald folgen. Auch Junior Sia (links oben) und Luis Wenzel (links unten) vom FC Erfurt Nord wollen es über das DFB-Stützpunkt­training an ein Leistungsz­entrum schaffen.
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Einmal pro Woche gibt es für ausgewählt­e Talente des Fußballkre­ises Erfurt-Sömmerda neben Vereinstra­ining das DFB-Stützpunkt­training bei Tino Wendelmuth, Sven Thiele und Bastian Welker (v.l.).
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JAKOB MASCHKE (6) Aus dem Torjubel gegen Rot-Weiß, hier Clemens Zahn (links) und Yaman Alsaed, könnte für einige der Stützpunkt-Talente demnächst Torjubel für ein Nachwuchsl­eistungsze­ntrum werden.

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