Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Zauberwort Individualität
Als Ergänzung zu den Nachwuchsleistungszentren gibt es in Thüringen 14 DFB-Stützpunkte. Wir schauten in Erfurt vorbei
Eigentlich spielt Luis Wenzel gerne Fußball beim FC Erfurt Nord. Aber eine Sache stört den Zwölfjährigen, der beim SV Alach angefangen hat, dann doch: „Man merkt in der Mannschaft, dass es viele gibt, für die das Training nur ein kurzer Moment ist, um von der Spielkonsole wegzukommen.“Das sei hier, beim Stützpunkttraining des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ganz anders: „Hier haben alle genauso viel Leidenschaft, Ehrgeiz und Elan für Fußball und für intensives Training, um besser zu werden.“
Tino Wendelmuth ist einer der drei Trainer, die Talente wie Luis im Fußballkreis Erfurt-Sömmerda bei ihren Vereinen sichten und sie dann im besten Fall an ihrem DFB-Stützpunkt, von denen es in Thüringen aktuell 14 gibt, einmal pro Woche zusätzlich zum Vereinstraining betreuen. Im Alter von 11 bis 14 – Wendelmuth nennt es das „goldene Alter“, weil man in dem Zeitraum mit besonderer Förderung das meiste erreichen könne – sind die Talente hier dabei, um dem Traum vom Profifußball näherzukommen.
Das Zauberwort ist Individualität. Das geht laut Wendelmuth, der Nachwuchsleiter beim SV Großrudestedt ist und die Aufgabe als Stützpunkttrainer wegen seines dort gesichteten Sohnes übernahm, beim Auswahlprozess los: „Es kann verschiedene Gründe haben, dass ein Talent nicht von einem Nachwuchsleistungszentrum ausgewählt wird: ein schlechter Tag, angeschlagen oder gefehlt, Leistungssprung erst ein Jahr später, die Eltern wollen das Kind nicht auf eine Sportschule schicken. Für all diese Gründe gibt es die Stützpunkte, damit Talente nicht durchs Raster fallen“, erklärt der B-Lizenz-Inhaber.
Jüngstes Beispiel ist Nick Hoffmann von Empor Erfurt, der es erst über den „Umweg“DFB-Stützpunkt zum FC Rot-Weiß Erfurt geschafft hat und dort in seinem Team inzwischen Leistungsträger ist. Drei, die einst am Stützpunkttraining in Erfurt teilgenommen haben, haben es inzwischen sogar in die erste oder zweite Bundesliga geschafft: Ilia Gruev von Werder Bremen, Marvin Rittmüller von Eintracht Braunschweig und Melina Reuter vom SC Freiburg. Denn auch Mädchen werden am Stützpunkt gefördert. Zwei aus den aktuell betreuten Jahrgängen wechseln zur neuen Saison an die Sportschule nach Jena, bei zwei weiteren ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Nicht nur bei der Sichtung, auch beim Training tragen die DFB-Stützpunkte der Individualität Rechnung. „Bei uns wird nicht mannschafts-, sondern individualtaktisch geschult“, sagt Wendelmuth. Deshalb werden pro Einheit maximal zwölf Talente von drei, idealerweise sogar vier Trainern betreut. „Und damit das trainierte Eins-gegenEins auf dem Flügel dann auch im Spiel gut umgesetzt wird, gibt es dreimal im Jahr Testvergleiche mit höherklassigen Gegnern.“
So wie an diesem Junitag auf dem Kunstrasen vor dem Steigerwaldstadion. Im Trainingsspiel gegen ein Nachwuchsteam des FC Rot-Weiß spielt Junior Sia vom FC Erfurt Nord ein ums andere Mal die RotWeißen schwindelig. „Er ist einer, der viel mitbringt, aber im Verein manches nicht lernt, da das Spiel zu sehr auf ihn zugeschnitten ist. Das üben wir mit ihm“, so Wendelmuth.
Grundsätzlich ist es, anders als an diesem Tag auf dem Platz, kein Gegeneinander mit den Leistungszentren
in Jena und Erfurt, sondern ein Miteinander. „Es geht nur mit enger Zusammenarbeit, um zu wissen, für welche Talente wann der beste Zeitpunkt für die Aufnahme dort ist – und auch andersrum, falls es dort nicht funktioniert, aber mit unserer Hilfe dann eben später wieder“, erzählt Sven Thiele, der seit 2011 am Stützpunkt in Erfurt und damit der dienstälteste Trainer ist.
Bald geht es wieder los mit der Sichtung der neuen Jahrgänge. Dann fahren die Stützpunkttrainer,
die für ihren Aufwand ein Honorar erhalten, aber auch kontrolliert werden, wieder in den großen Fußballkreis hinaus. Wenn sie ein Talent entdecken, tragen sie das Beobachtete in eine digitale Maske ein. Nach Absprache erfolgt die Einladung zum Probetraining. „Für den abgebenden Verein ist es zwar schade, perspektivisch einen tollen Spieler zu verlieren“, weiß Tino Wendelmuth aus eigener Erfahrung. „Aber Talente hervorzubringen ist schließlich der Sinn des Amateurfußballs.“